Dreieinhalb Jahre lang haben wir gemeinsam daran gearbeitet, eine große Gefahr von Österreich abzuwenden. Auf diese Zeit blicke ich mit Stolz zurück – und mit Wehmut, denn ich nehme Abschied. Kommentar vom langjährigen Chefredakteur Thomas Walach.
Wien, 15. Juni 2022 | Den Titel dieses Textes habe ich mir vom ZackZack-Kolumnisten Daniel Wisser ausgeborgt. Es gibt keinen besseren für den Anlass. Als ich hörte, dass Peter Pilz ein Online-Boulevardmedium plante, war mein Interesse zunächst rein akademisch. Gemeinsam mit Kollegen aus Wien, Zürich und Hamburg hatte ich jahrelang zu Medientheorie geforscht und unterrichtet, an drei Universitäten auf zwei Kontinenten.
Wir waren überzeugt, ganz neue Erkenntnisse gewonnen, eine innovative Theorie entwickelt zu haben. Ich wollte das unter Realbedingungen anwenden. Dass ich meinen Job an der Uni kündigte, um zu einem Medienstartup zu gehen, fanden meine Kollegen anfangs verrückt. Jetzt nicht mehr. Denn aus diesem Startup wurde ZackZack, die erfolgreichste Medienneugründung seit Jahrzehnten.
Der Kartenspieler
Wir waren zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort. Schnell wurde klar, dass von Sebastian Kurz und seiner Truppe eine echte Gefahr für das Land ausging – über ideologische Differenzen hinaus. Wenn ein Spieler ständig mit schwachem Blatt blufft, fliegt er früher oder später auf. In dieser Situation befand sich das System Kurz von Beginn an – denn hinter der Fassade gab es politisch kaum nennenswerte Inhalte (sieht man von der großflächigen Zerstörung der Krankenkassen einmal ab). Die einzige Möglichkeit, in dieser Lage die Niederlage abzuwenden ist, die Regeln zu ändern.
Wir bei ZackZack sahen eine ernste Gefahr, dass Kurz die Regeln der Demokratie würde ändern wollen. Österreich war möglicherweise auf dem Weg in eine gelenkte Demokratie. Gut ein Jahr nach unserer Gründung schrieb ich zum 1. Mai einen Leitartikel, in dem ich darlegte, worin das Ziel der türkisen „Bewegung“ bestand: Sich unabwählbar zu machen.
Diese Analyse erwies sich als richtig. Wir standen bereits auf dem Bahnsteig Richtung Budapest. In Ungarn wurden kritische Medien aufgekauft, teils über österreichische Strohmänner. Hierzulande war die Ausgangssituation anders. Obwohl Freunde des Systems Kurz, besonders prominent Rene Benko, versuchten, kritische Teile der Medienlandschaft aufzukaufen und Straches Ibiza-Fantasien wahr zu machen, war die Strategie Kurz‘ differenzierter.
Leichtes Spiel
Dabei half ihm die Struktur von Österreichs Medienlandschaft. Die Medienkonzentration ist hoch. Neben dem Moloch ORF in staatlicher Hand mussten nur wenige Eigentümer, darunter die Raiffeisen und die Kirche, auf Kurz‘ Seite gezogen werden, um beinahe alle reichweitenstarken Medien in der Hand zu haben.
Wirtschaftlich sind Österreichs Medien ohnehin von Regierungsinseraten abhängig, ihre oft beschworene Unabhängigkeit also stark eingeschränkt. Dazu kommt, dass im kleinen Biotop des politmedialen Komplexes stets eine Hand die andere wäscht. Viele Journalisten hierzulande glauben, Recherche wäre, wenn ihnen ein Politiker Informationen zusteckt.
Die Medien schlugen sich auf Kurz‘ Seite – und zwar fast einhellig. Als es dann in eine Koalition mit den Grünen ging, waren auch die liberalen Medien, die sich zuvor an der FPÖ gestört hatten, an Bord.
Initialzündung
Wir nicht. Türkis ärgerte das maßlos. „Dieses scheiß ZackZack! Können die nicht einmal die Papp‘n halten?“, fragte ein frustrierter ÖVPler den anderen am WC des U-Ausschusslokals. Die Antwort darf ich an dieser Stelle nachreichen: Nein.
Erst versuchten sie, uns zu ignorieren. Aber Teil unserer Strategie war, so schnell wie möglich eine relevante Reichweite zu erzielen, und das gelang. Immer mehr Leser forderten von anderen Medien ein, die Themen, die es nur bei uns gab, auch anderswo zu lesen. Als wir anfingen, ausführlich aus Chatprotokollen zu zitieren, fanden viele Kollegen das anfangs unanständig. Heute rittern alle Medien des Landes um verräterische Textnachrichten.
Schließlich verlor Kanzler Kurz die Nerven und lud Österreichs Innenpolitikjournalisten zu einem Hintergrundgespräch, nur um sich über mich zu beklagen. Wir betrieben „Dirty Campaigning“, beschwerte sich Kurz. Ein bis dato einmaliger Vorgang.
Einmalig war auch, dass wir zum ersten und einzigen Mal Videoaufnahmen aus dem Untersuchungsausschuss veröffentlichten. Wir wollten der Öffentlichkeit zeigen, wie es im Ausschuss wirklich zugeht und wie sehr das türkise Dauerlamento über die unfaire Behandlung dort an den Haaren herbeigezogen war. Nun konnte jeder sehen: Tatsächlich waren es Kurz, Blümel und Konsorten, die den Untersuchungsausschuss bei jeder Gelegenheit düpierten. Trotz einer engagierten Maulwurfsjagd weiß Nationalratspräsident Sobotka bis heute nicht, wie wir an das Material kamen und wird es wohl nie herausfinden.
Schließlich musste auch Thomas Schmid aufgrund unserer Berichterstattung als ÖBAG-Chef gehen. Die „Pöbel“ und „Tiere“-Chats wären nicht relevant, ließen uns Kollegen wissen. Wir fanden es hingegen sehr relevant, wie der Mann, der das Vermögen der Österreicher verwaltet, von seinen Arbeitgebern denkt – und der ÖBAG-Aufsichtsrat fand das auch.
Regierungskritik aus Prinzip
Wir seien so eine Art außerparlamentarischer Opposition, klagten Regierungsabgeordnete und meinten es als Tadel. Sie waren gewohnt, dass Medien nach ihrer Pfeife tanzten. Wir verstanden das stets als Kompliment, denn die Kontrolle der Mächtigen ist die erste und wichtigste Aufgabe der Medien.
So erlebten FPÖ und Grüne jeweils eine Überraschung, als sie sich als Koalitionspartner der ÖVP abwechselten. Wir hatten der FPÖ mit Investigativrecherchen viel Schaden zugefügt – etwa indem wir die mutmaßliche Quelle des Geldes fanden, das Vizekanzler Strache in Taschen und Rucksäcken mit sich herumschleppte. Doch mit dem Regierungswechsel verschob sich der Fokus unserer Recherchen. Das ist für ein regierungskritisches Medium wie ZackZack völlig natürlich. Unsere Ressourcen sind begrenzt. Unsere wichtigste Aufgabe ist, den Regierenden auf die Finger zu schauen. Natürlich kann eine FPÖ in Opposition Schindluder treiben – aber weniger als in einer Regierung.
Die ständigen Nadelstiche setzten Türkis zu. Immer öfter erklärten Vertreter des Systems Kurz, es gäbe Leaks, nämlich von den Staatsanwaltschaften zu uns. Das war immer falsch. Wüssten wir, was die Ermittler in der WKStA wissen, in Österreich stünde kein Stein mehr auf dem anderen. Was Türkise für eine finstere Verschwörung hielten, war schlicht Ergebnis konsequenter Recherche.
Das System Pilnacek
Unabhängig von uns riskierten einige mutige Staatsanwälte – vor allem, aber nicht nur in der WKStA – ihre Karrieren und vielleicht auch ihre Freiheit, indem sie sich dem enormen Druck von oben widersetzten und ihre Arbeit machten. Diese Staatsanwälte sind weder „rot“ noch „links“, wie die ÖVP so gerne behauptet. Jener Oberstaatsanwalt, der gegen Sebastian Kurz ermittelt, hatte zuvor Salzburgs SPÖ-Bürgermeister Schaden erfolgreich angeklagt. Diese Beamten machen einfach ihren Job.
Das ist keine triviale Sache. Denn unter dem langjährigen Schattenjustizminister Pilnacek wurden schon viele heikle Verfahren „daschlogn“. Wir wussten: Die Justiz braucht in dieser Situation Öffentlichkeit mehr als alles andere. Also recherchierten wir. Das „System Pilnacek“ wurde zu einem Schwerpunkt unserer Arbeit. Spätestens als wir Tonaufnahmen aus einer Dienstbesprechung mit Ermittlern veröffentlichten, konnte sich alle ein Bild davon machen, wie die Justiz mit einem System aus Druck und versteckten Weisungen an der kurzen Leine gehalten wurde.
Schließlich wurde alles zu viel. Das türkise Kartenhaus brach zusammen, schneller, als selbst wir es vorausgesagt hätten. ZackZack hatte großen Anteil daran. Unter großem persönlichen Einsatz haben wir uns erfolgreich gegen eine Gefahr für die Demokratie gestemmt.
Vorerst. Die Strukturen, die das System Kurz ermöglichten, sind alle unangetastet. Es gilt also, wachsam zu bleiben. Persönlich werde ich hoffentlich nie aufhören, den Finger in die Wunde zu legen, wenn es um Korruption, Postenschacher, und mit Geld oder Gefälligkeiten gekaufte Berichterstattung geht, denn all das ist Gift für unser Zusammenleben.
Abschied nehmen
Nur bei ZackZack werde ich es künftig nicht mehr tun. Ich war Geburtshelfer dieses Mediums, stand an seiner Wiege, habe ihm bei den ersten Schritten geholfen. Ich habe die Menschen an Bord geholt, die heute für ZackZack arbeiten und gemeinsam haben wir einen besonderen journalistischen Stil und Ethos entwickelt, der hoffentlich eine lange erfolgreiche Zukunft vor sich hat. Ich werde neue Dinge unternehmen, welche, das weiß ich noch nicht genau. Lassen wir uns überraschen!
Überraschungen sind schließlich unsere Spezialität: Kurz ist weg. Wir sind noch da, entgegen aller Wahrscheinlichkeit. Wer hätte das gedacht?
Thomas Walach
Titelbild: APA Picturedesk