Freitag, April 26, 2024

Grünes Licht für NATO-Beitritt von Schweden und Finnland – Unter Erdoğans Bedingungen

Unter Erdoğans Bedingungen

Seit Finnland und Schweden um einen NATO-Beitritt angesucht hatten, hatte die Türkei blockiert. Auf Druck der USA gibt es nun eine Einigung und grünes Licht – nach Zugeständnissen an die Türkei.

Berlin/Kiew/Moskau/Helsinki, 29. Juni 2022 | Die Türkei hat ihre Blockade-Haltung gegen den NATO-Beitritt von Schweden und Finnland aufgegeben. Das verkündete Dienstagabend NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg zum Auftakt des NATO-Gipfels, der aktuell in Madrid stattfindet. Der Gipfel steht im Zeichen des Ukraine-Krieges und der Aufnahme der beiden nordischen Staaten.

Nach einem Spitzentreffen am Dienstagnachmittag hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan sein Veto zurückgezogen. Die beiden NATO-Länder in spe mussten der Türkei dafür allerdings Zugeständnisse machen, die besonders vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs schmerzhaft sind.

Erdoğan stellte Bedingungen, die USA machten Druck

Die Einigung im Streit mit der Türkei ist laut dem Sicherheitsexperten Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin auf US-amerikanischen Druck zustandegekommen. Das sagte Kaim am Mittwoch im “Ö1”-Morgenjournal. Zahllose Gespräche zwischen Schweden, Finnland und der Türkei waren zuvor ergebnislos geblieben.

Schweden und Finnland letztlich sagten zu, ihr Waffenembargo gegen die Türkei zu beenden. Zusätzlich versprachen die beiden Länder, bei der Terrorismus-Bekämpfung eng mit der Türkei zusammenzuarbeiten. Und sie willigten ein, auch gegen mit der kurdischen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) verbündete Gruppen und Netzwerke vorzugehen und sie in keiner Weise zu unterstützen. Explizit genannt wurde diesbezüglich die syrisch-kurdische Volksmiliz YPG.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte, kein anderes NATO-Mitgliedsland habe so viel terroristische Brutalität erlebt wie die Türkei, nicht zuletzt durch die PKK. Diese gilt auch EU-weit als Terror-Organisation. Erdoğan hatte EU-Staaten immer wieder vorgeworfen, neben Mitgliedern der PKK auch Angehörigen anderer kurdischer Organisationen Schutz zu gewähren, welche aus Sicht der Türkei terroristisch sind.

„Erhebliche Stärkung“ des Militärbündnisses

Die Norderweiterung bezeichnete Kaim als eine “erhebliche Stärkung” des Militärbündnisses. Der niederländische Premier Mark Rutte hatte zuvor gesagt: “Heute ist eine Gelegenheit zu zeigen, dass die NATO wieder da ist.“ Kreml-Chef Wladimir Putin “bekommt jetzt mehr NATO”, ergänzte der britische Premier Boris Johnson.

Die Ostsee wird durch die NATO-Norderweiterung zu einem “NATO-Binnenmeer”, wie der Sicherheitsexperte Kaim es ausdrückte. Dadurch sei möglich, einen Neuverteilungsplan für Nordosteuropa zu erstellen. Zudem ist der Beitritt von Schweden und Finnland seiner Ansicht nach ein “Gewinn” für die NATO, weil die beiden Länder eine Wehrpflicht hätten und hohe Militärausgaben tätigten. Finnland könne rund 900.000 Wehrkräfte aktivieren.

Historische Wehrpolitik-Wende

Finnland und Schweden hatten bislang an ihrer Neutralität festgehalten. Schweden ist seit über 200 Jahren neutral, Finnland seit 1948. Doch der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hatte die Bedrohungslage stark genug verändert, dass die beiden Staaten Anfang Mai die Aufnahme in die NATO beantragten und damit in ein Militärbündnis. Ankara blockierte aber überraschend den Prozess.

Schon im Vorfeld des Gipfels hatte NATO-Generalsekretär Stoltenberg eine drastische Aufstockung der schnellen Eingreiftruppe der NATO bekanntgegeben. Statt bisher 40.000 Soldatinnen und Soldaten soll sie künftig 300.000 umfassen. Diese Eingreiftruppe soll im kommenden Jahr einsatzfähig sein. “Sie werden in ihren eigenen Ländern stationiert, aber schon bestimmten Staaten und Gebiete zugewiesen und verantwortlich sein für die Verteidigung dieser Gebiete”, sagte Stoltenberg. Natürlich hingen Details von den einzelnen Staaten ab, die diese Kräfte stellen sollen.

(pma/apa)

Titelbild: APA Picturedesk

Pia Miller-Aichholz
Pia Miller-Aichholz
Hat sich daran gewöhnt, unangenehme Fragen zu stellen, und bemüht sich, es zumindest höflich zu tun. Diskutiert gerne – off- und online. Optimistische Realistin, Feministin und Fan der Redaktions-Naschlade. @PiaMillerAich
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16 Kommentare

  1. In dem Deal steht doch tatsächlich:
    – As prospective NATO Allies, Finland and Sweden extend their full support to Turkey against threats to its national security
    und
    – Finland and Sweden will address Turkey’s pending deportation or extradition requests of terror suspects expeditiously and thoroughly

    In Schweden leben ca. 100.000 Kurden, in Finland 16.000, von denen viele wegen Verfolgung aus der Türkei geflohen sind. Und wer bestimmt die Gefährdung der nationalen Sicherheit der Türkei, Erdogan? D.h. wen immer Erdogan ausgeliefert haben möchte, der wird also ausgeliefert. Gestern Flüchtling, heute Terrorverdächtiger, morgen abgeschoben in die Türkei. Man wird sehen, ob es dabei nur um die PKK geht.

  2. Wieder mal Kurdistan als Bauernopfer im Geoschach…

    Traurig.

    Und von wegen Terroristen. Woa da Hofer Andreas a Terrorist? NA! Woa da Bobby Sands a Terrorist? NA!

    Terroristen san Staatengemeinschaft Organisationen wie ISIS etc.

    Kurdistan is a Land. Wieso hat Israel ein Existenzrecht und Kurdistan net? Das Baskenland net? Ha?

    Jammern über der politischen Islam, aber die Kurden an die AKP verraten. Schwach!

    Buchtipp: Durchs Wilde Kurdistan

    Free Öcalan!
    Biji Kurdistan!

    Gute Nacht.

    I hoff Österreich bleibt NATO frei.

    Sorry, nur die Ukraine ist wichtig. Alle anderen Kriege sind vergessen.

    • Buchtipp:
      Die für die Freiheit sterben, v. Ferdinand Hennerbichler ( Vorwort v. Bruno Kreisky)
      Gilgameschs Erben, v. Abdullah Öcalan

  3. Wie viel sind ein paar türkische Regimekritiker auf dem transatlantischen Parkett wert?

    Ein kleines demokratisches Opfer Europas, eine Verbeugung vor der Autokratie – und schon bekommen die USA was sie wollen. Wir bringen derzeit viele Opfer für die USA. Allerdings, wenn wir die Opfer nicht bringen würden, wären wir wieder der Feind der USA – wie es schon Trump sagte.

      • Nein glaube ich nicht. Ich habe nur den Eindruck, dass er glaubt wenn wir uns nicht einmischen würden wir in Frieden weiter unseren Geschäften nachgehen können. Ich glaube das nicht. Putin will die alte Weltordnung wiederherstellen und so lange wird er nicht aufhören seine Nachbarn zu bedrängen. Damit wird es auch keinen Frieden in Europa geben und keine wirtschaftliche Stabilität egal ob wir uns einmischen oder nicht.

  4. Vom Erdo war nix anderes zu erwarten.
    Und die devoten Schweden werden wieder problemlos ihr Rechtssystem verbiegen um die besagten Personen ausliefern zu können.
    Es ist traurig das es einen Krieg braucht um die absolute Dummheit, Feigheit und Gier der selbstgerechten westlichen Politiker (und Bürger) zu entlarven.

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