Samstag, Juli 27, 2024

Diesmal sei es ohne uns

Die Diskussion über einen NATO-Beitritt Österreichs ist keine Diskussion, sondern eine außerparlamentarische Werbekampagne in der Presse. Vom Schreibtisch aus ist Kriegsgeschrei einfach. Es gibt aber auch noch Menschen in unserem Land, die sagen: »Diesmal sei es ohne uns!«

Mit der Ablehnung des Beitrittsansuchens der UdSSR zur NATO im Jahr 1954 setzte der Westen im Kalten Krieg ein bewusstes Zeichen der Spaltung. In weiterer Folge kam es 1955 zur Gründung des Warschauer Pakts. Die Spaltung war völlig unnötig. Sie kam kurz nach Stalins Tod, in einer Zeit, als eine maßgebliche Entspannung des Ost-West-Verhältnisses möglich gewesen wäre, in einer Zeit, in der Nikita Chruschtschow mit einer Öffnung der Sowjetunion, mit Entstalinisierung und liberalisierenden Reformen in allen politischen und gesellschaftlichen Bereichen begann. Stattdessen kam es aber zu einer weiteren Verhärtung der Blöcke.

Viele, ja wahrscheinlich eine Mehrheit der Menschen im Westen, dachte in den Jahren 1989 bis 1992, dass diese Blockbildung bald der Vergangenheit angehören würde. Wie sehr sie sich geirrt haben, war wohl schon in den Neunzigerjahren in der Ära Jelzin erkennbar. Weder die fehlende Demokratisierung Russlands, noch die Umwandlung der meisten früheren Republiken der UdSSR in von Russland abhängige totalitäre Pseudo-Demokratien, noch die Verschleuderung des Volkseigentums zur Schaffung einer Oligarchie hat damals hörbaren Widerstand im Westen hervorgerufen.

Das alte Feindbild Russland

Noch weniger verändert hat sich der Westen selbst. Das alte Feindbild Russland (und man beobachte, wie oft Russland und die UdSSR in unseren Medien als miteinander identisch behandelt werden) hat nicht aufgehört, ein ausreichendes Motiv für die eigenen Handlungen zu sein. Das trifft besonders für die Militarisierung des Westens zu.

Es war seit 1955 in Österreich keine Frage, dass man sich in Zeiten der Neutralität mit seinem Heer allein für einen Angriff der UdSSR zu rüsten hatte. Im Jahre 1986 sagte ein Bauer in dem kleinen Dorf im Mittelburgenland, wo ich aufgewachsen bin, zu mir: »Der Kommunismus ist nicht aufzuhalten.« Hat er das, kurz vor dem Zusammenbruch des Kommunismus, wirklich geglaubt? Ich sage: Nein. Es ist eine tief in des Österreichers Hirn verpflanzte Rechtfertigung für rechte Politik. Und just im selben Jahr, noch vor dem Ende der UdSSR, ist in Österreich ein Politiker aufgetreten, der den Beitritt Österreichs und die Abschaffung der Neutralität für unabdingbar hielt und zu seinem Programm machte: Jörg Haider.

Rechte Propaganda

Haider, der früher auch gestandenen Konservativen als unmöglicher Partner galt, hat nicht lange genug gelebt, um mitzuerleben, wie heute alle Punkte seiner Politik längst von einer angeblich konservativen Partei umgesetzt wurden. Ein kleines Stück fehlt noch: der NATO-Beitritt. Wie weit Österreich bereits nach rechts gerückt ist, wie weit vor allem seine Konservativen in den letzten fünfundzwanzig Jahren nach rechts gerückt sind, beweist, dass heute nicht nur jene Medien, die deutlich rechtslastig sind und rechte Propaganda machen, für den NATO-Beitritt werben, sondern auch liberale Medien.

Am 1. Februar schrieb Thomas Mayer in Der Standard einen Artikel mit dem Titel: »Es ist Zeit, den Nato-Beitritt zu erwägen«. Als ob das nicht seit 35 Jahren permanent der Fall wäre. Mayer schreibt darin: »Der jüngste Bericht der Spitze des Bundesheeres spricht Bände. Das Land sei „nicht kriegsfähig“. Man hätte anders formulieren sollen: Österreichs Armee ist „nicht abwehrbereit“, die Verteidigung mit der Neutralität eine Schimäre.«

Landesverteidigung als Schimäre

Ja, die Verteidigung Österreichs war immer eine Schimäre. Weil das Land nie jemand  verteidigen wollte, sondern den Einmarschierenden schon zugejubelt hat, bevor sie einmarschiert waren. Als man die Landesverteidigung gebraucht hätte, im März 1938, hat kein einziger Soldat daran gedacht, Österreich zu verteidigen, sondern ist euphorisch mit den Nazis mitmarschiert. Interessant, dass man immer noch daran glaubt, Kriege gewinnen zu können. Interessant, dass die Bemühung um Frieden im ganzen Diskurs keine Rolle spielt, dass es immer nur gilt sich in bestehenden Konflikten auf »die richtige Seite« zu stellen. Nur: In einem Krieg gibt es keine richtige Seite. Hier wird längst praktisch befürwortet, wogegen man sich theoretisch noch verwehrt: Krieg als das einzige Mittel politischer Auseinandersetzung.

Nun will der Politpropagandist Mayer sich in ein Bündnis begeben, bei dessen Beitritt man vom Wohlwollen der Erpresser Orbán und Erdoğan abhängig ist. Erdoğans Türkei ist ein wesentlicher Unterstützer des Terrorismus der Hamas. Etliche NATO-Staaten liefern um Billionen Waffen an nicht-demokratische Staaten wie Saudi-Arabien und Qatar, die damit Terroristen und den IS ausrüsten, um Anschläge zu verüben und Kriege, wie den Bürgerkrieg im Jemen, in Gang zu halten. Von einer Einsicht der NATO ist hier keine Rede. Über solche Dinge wird geschwiegen. Auch Mayer schweigt dazu. Er weiß genau, dass in den NATO-Staaten der Kapitalismus politische Entscheidungen beherrscht – das gute Geschäft geht vor. Und Terroristen und Islamisten sind nun einmal die besten Kunden.

Keine demokratische Diskussionskultur

Österreich hat seine Geschichte niemals aufgearbeitet. Und damit meine ich nicht nur seine Geschichte im Nationalsozialismus, sondern auch seine Geschichte nach dem Nationalsozialismus. Die sogenannte Entnazifizierung war ein Prozess, der 1948 schon wieder aufgegeben worden war. Auch die Alliierten hat der Entnazifizierungsprozess nicht mehr interessiert, denn sie befanden sich bereits im Kalten Krieg.

Und so hat man es in Österreich gar nicht zum Entstehen einer demokratischen Diskussionskultur und einer freien, unabhängigen Presse kommen lassen. Die Journalisten der Nachkriegszeit waren alle deklariert auf einer Seite. So war es auch im Kulturjournalismus. Da wurden Friedrich Torberg und Hans Weigel von den USA eingesetzt, um Brecht an Theatern in Österreich zu verhindern, um den Kommunismus abzuwehren und um zu verhindern, dass die österreichische Avantgarde in der Kultur eine Rolle spielen konnte. Dabei bedienten sie sich derselben Definition entarteter Kunst wie die Nazis, was im wesentlich hieß: Kunst, die ihrem Auftraggeber nicht genehm war.

Werbung für den Krieg

Im Politjournalismus war es nicht anders. Und wenn ich von einer kurzen Zeit in den Achtziger- und Neunzigerjahren absehe, muss ich mich fragen, ob dieser Zustand nicht der normale Zustand in Österreich ist: die Presse als zu großen Teilen ein politisch abhängiger Apparat. So ist es auch zu erklären, dass Herrn Mayers Artikel, der kein einziges Für-und-Wider, keine dialektischen Überlegungen enthält, als Journalismus durchgeht. In Wahrheit handelt es sich um Werbung. Werbung, die sich an alten Feindbildern abarbeitet und eine beängstigende Normalisierung von Kriegsgebrüll und Aufrüstungspolitik zeigt: »In den nächsten zehn, zwanzig Jahren werden Aufrüstung und Kräfteaufteilung in der EU bestimmend werden.«

Wenn die ÖVP auf die NATO-Beitrittslinie einschwenkt, wird auch die FPÖ, wenn sie in der Regierung ist, auf diese Politik umschwenken. Das hat sie bereits beim CETA-Beitritt, beim Sicherheitspaket und in vielen anderen Fragen getan: Vor der Wahl und in der Opposition ist man dagegen; nach der Wahl und in der Regierung ist man dafür. Österreich kann keinen Krieg gewinnen. Im vergangenen Jahrhundert ist Österreich zweimal mitmarschiert. Abermillionen Tote, Verwundete und Vertriebene hat dieses Land auf dem Gewissen. Ich sage mit H. C. Artmann: »Diesmal sei es ohne uns!«

Titelbild: Miriam Moné

Autor

  • Daniel Wisser

    Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.

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