Dienstag, Oktober 8, 2024

Ausgerechnet: Warum die Börse die Gasrechnung verteuert

Ausgerechnet:

Vor einem Jahrzehnt gestalteten die Europäer die Lieferverträge mit Gazprom neu. Heute bezahlen wir dafür – die neue Folge der wöchentlichen Momentum-Kolumne.

Oliver Picek

Wien, 02. Juli 2022 | Wir alle glauben die Geschichte zu kennen. Putins Angriff auf die Ukraine sowie seine Gaslieferpolitik habe den Gaspreis in die Höhe getrieben. Für Flüssiggas an der niederländischen Gasbörse ist jetzt fünf Mal so viel zu bezahlen wie noch im letzten Jahr. Das treibe indirekt auch den Preis, den die OMV an Gazprom für ihr Pipeline-Gas bezahlt. Als Auslöser des Preisanstiegs stimmt das freilich. Aber die Ursache dafür, dass Österreich bis zu fünfmal so viel zahlt, ist es nicht.

Wie könnte es auch? Österreich bezieht nicht einmal ein Zwanzigstel seines Gases vom Handel auf der Gasbörse in den Niederlanden. Die heimischen Firmen können auch gar keine großen Mengen an Flüssiggas kaufen. Erstens gibt es sie aktuell nicht. Zweitens können sie gar nicht hierher geliefert werden. Das Pipeline-Netz ist zu schlecht ausgebaut.

Russland und Österreich wiederum sind mittels Pipeline aneinander gekettet. Russland kann das für Österreich bestimmte Gas nicht in andere Weltregionen liefern, selbst wenn es wollte. Die Pipelines dafür gibt es auch nicht. Es stimmt also seltsam, dass Österreich den extremen Preisauftrieb mitmachen sollte. Und tatsächlich wäre der nicht so extrem ausgefallen, wäre nicht die „Marktgläubigkeit“ dazwischengekommen.

Wie die „Börse“ in den Liefervertrag kam und alles verteuerte

Traditionell hat sich der Preis für Gas am Ölpreis orientiert. Wäre das in den Lieferverträgen zwischen der OMV und Gazprom so geblieben, würde Österreich heute nicht einmal das Doppelte für den Großteil seiner Gasimporte bezahlen. Von Verfünffachung keine Rede. Doch ab 2010 kam die Idee des „Marktes“ dazwischen, die auf Initiative der Europäer in die Verlängerung des Liefervertrags hineingepresst wurde.

Ein Paradigmenwechsel. Jahrzehntelang war der Energiewirtschaft die Sicherheit der Versorgung des Landes das Wichtigste. Langfristig stabile Preise gehörten dazu. Nun war es damit vorbei. Kosteneffizienz löste Energiesicherheit als Dogma ab, der billigste Anbieter solle alles Gas liefern. Ein „Gasmarkt“ solle entstehen. Bei einem einzigen Lieferanten für Österreich, der 80 Prozent des (russischen) Gases liefert, eine völlig unsinnige Idee.

Der genaue Vertrag der OMV mit Gazprom wird zwar geheim gehalten, doch ist klar, dass er sich heute am Gaspreis an der Börse orientiert. Im Vergleich zum vorherigen System entsteht uns damit heuer ein Schaden in Milliardenhöhe. Das Geld geht direkt an Gazprom und landet somit in Putins Händen.

Klar ist: Wenn Putin das Gas komplett abdreht, ist das alles egal. Dann haben wir ganz andere Probleme. Aber trotzdem können wir aus dieser Episode für die Zukunft lernen: Vom blinden Vertrauen in den Markt, gar in Börsen, kann man nur abraten. Er ist nicht die beste Lösung für alles.

Wettbewerb am Markt kann zwar ausgezeichnet funktionieren. Bei Waschmaschinen-Herstellern, Eisverkäuferinnen, oder Autoproduzenten. Bei kritischer Infrastruktur hingegen sieht die Sache ganz anders aus. Dazu gehört die Energieversorgung des Landes mit Gas und Strom.

Die Devise muss sein: Zurück in die Zukunft. Aber mit dem bewährten Modell der Vergangenheit, nicht dem kaputten der Gegenwart. Langfristige Lieferverträge mit stabilen Preisen. Ganz ohne dem „manisch-depressiven“ Zick-Zack der Börsenkurse.

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Oliver Picek ist Chefökonom des Momentum Instituts. Er hat Volkswirtschaftslehre in Wien, Paris und New York studiert. Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte liegen in der Makroökonomie, sowie bei Fragen zu Arbeitsmarkt, Budget und Steuern.

Titelbild: ZackZack

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