Hintergründe zu Pilz-Ermittlungen
Die Staatsanwaltschaft Wien ermittelt gegen Peter Pilz wegen angeblicher Falschaussage im ÖVP-Korruptions-Ausschuss. Verfassungsexperte Heinz Mayer fällt ein vernichtendes Urteil zur Vorgangsweise der Ermittler. Die Hintergründe.
Wien, 07. Juli 2022 | „Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Vorgangsweise der Staatsanwaltschaft Wien, Ermittlungen gegen Dr. Peter Pilz als Beschuldigten zu führen, grob rechtswidrig ist und ohne konkreten Tatverdacht erfolgt.“ Experte Heinz Mayer hat ein eindeutiges Gutachten zu den Vorgängen verfasst.
Als Universitätsprofessor für Verfassungsrecht kommt dem Befund von Mayer besonderes Gewicht zu. Aber wie kommt der Verfassungsjurist zu seinem vernichtenden Urteil über die Ermittlungen, die die Staatsanwaltschaft Wien (StA Wien) gegen Peter Pilz wegen des Verdachts der Falschaussage im ÖVP-Korruptions-Ausschuss eingeleitet hat?
Gutachten von Heinz Mayer. Faksimile: ZackZack.
Ominöse Anzeige
Am 1. Juni 2022 wendet sich die Wiener Staatsanwältin Juliane Oberhofer an die Geschäftsabteilung: „Bitte Dr. Peter Pilz als Beschuldigten erfassen“. Alles, was der Staatsanwältin zu diesem Zeitpunkt vorliegt, ist eine kurze anonyme Anzeige, die am 7. April 2022 eingelangt ist. Darin schreibt der Verfasser: „Dr. Peter Pilz hat am 3.3.2022 vor dem ÖVP-Untersuchungsausschuss zu Protokoll gegeben, Herrn Egisto Ott erst seit Beginn seiner Herausgeberschaft des Magazins zackzack.at persönlich zu kennen, somit erst ab ca. Mitte 2019. Dies ist eine Lüge.“ Statt Beweisen führt der anonymer Anzeiger eine Aktenzahl an: „711 St 39/17d“.
Unter dieser Zahl führt die umstrittene polizeiliche Ermittlungsgruppe „AG Fama“ im Auftrag der Staatsanwaltschaft Wien Ermittlungen gegen den Ex-BVT-Mann Egisto Ott. Woher der Anzeiger Kenntnis über die Aktenzahl hat, ist fraglich. Die Vorwürfe gegen Ott reichen von Geheimnisverrat an russische Dienste bis zu Verwicklungen in die Wirecard-Affäre – es gilt die Unschuldsvermutung. Aber Egisto Ott soll in den Augen von ÖVP-nahen Beamten in Polizei und Justiz noch etwas weit Schlimmeres getan haben: Er soll angeblich die BMI-Chats an Peter Pilz und ZackZack weitergegeben haben.
Chronologie einer Staatsaffäre
Die Spur zu den Chats findet sich im Akt der „AG Fama“. Unter der Führung des ÖVP-nahen Kripo-Chefs Andreas Holzer hatten die Fama-Ermittler schon im Frühjahr 2021 einen USB-Stick mit Chats aus dem Innenministerium festgestellt. Einige Nachrichten von BMI-Kabinettschef Michael Kloibmüller belasten dessen Minister Wolfgang Sobotka ebenso wie ÖVP-Spitzen in Polizei und Partei.
Sobotka und seine Partei hatten allerdings lange nichts zu befürchten. Die Ermittler „übersahen“ belastende Chats einfach. Erst als ZackZack im Februar 2022 mit der Veröffentlichung der BMI-Chats begann, wurde ÖVP und „AG Fama“ offensichtlich klar, dass die Aufdeckung nicht mehr zu verhindern war.
Am 3. März brachte Peter Pilz dann als Auskunftsperson die BMI-Chats in der ÖVP-Korruptions-Ausschuss. ÖVP-Einpeitscher Andreas Hanger hatte im Vorfeld schon angekündigt, seine Befragung auf die Causa Ott zu konzentrieren. Ziel: Details zur vermuteten Beziehung Pilz-Ott herauszufinden und von den BMI-Chats abzulenken.
Ermittler selbst: „Kein Vertrauens- bzw. Naheverhältnis“
Danach folgte die anonyme Anzeige gegen Pilz. Drei Monate später hätte die Staatsanwältin wohl schon mit einem kurzen Blick in den Ermittlungsakt den Wahrheitsgehalt der Anzeige klären können. Dort findet sich unter Ordnungsnummer 423 ein Aktenvermerk der AG Fama: „Zufallsfund zu Peter Pilz“.
Penibel listen die Beamten dort alles, was sie zu Pilz am Ott-Handy gefunden haben, auf. Der Aktenvermerk beschreibt detailliert das Verhältnis zwischen Ott und Pilz: „Aus den Chatinhalten lässt sich grundsätzlich auf kein Vertrauens- bzw. Naheverhältnis zu Peter Pilz schließen“. Erst eineinhalb Jahre nach dem Beginn seiner ZackZack-Herausgeberschaft hat Pilz den Ermittlungen der StA Wien zufolge persönlichen Kontakt zu Ott – anders als in der Anzeige behauptet. Der eigene Akt der Ermittler, die gegen Pilz vorgehen wollen, könnte ihn also deutlich entlasten.
Prüfung des Anfangsverdachts fehlt – „Offenkundig rechtswidrig“
Die Staatsanwältin ignoriert den Akt der eigenen Behörde jedoch augenscheinlich genauso wie die zwingend vorgeschriebene Prüfung eines Anfangsverdachts – und gibt ausgerechnet der „AG Fama“ den Auftrag, gegen Pilz zu ermitteln. Der anonyme Anzeiger hat sein Ziel erreicht. Heinz Mayer fasst zusammen: „Beurteilt man die Vorgangsweise der Staatsanwaltschaft nach den dargestellten Regelungen der Strafprozessordnung, so erweist sich diese nicht bloß als oberflächlich, sondern letztlich auch als offenkundig rechtswidrig“.
Zwei Fragen sind offen: Wer kannte den Akt „711 St 39/17d“ und verfasste die anonyme Anzeige? Und: Hat die Staatsanwältin eine „Anregung“ zur offenkundig rechtswidrigen Verfolgung des ZackZack-Herausgebers erhalten?
Weder StA Wien noch Bundeskriminalamt wollten sich inhaltlich zur Causa äußern. Pilz-Anwalt Johannes Zink hat am 4. Juli 2022 Antrag auf Einstellung des Verfahrens gestellt.
(wb)
Titelbild: APA Picturedesk