Mit dem Haftbefehl hat der Fall „Ott“ eine neue Dimension erhalten. Die ÖVP lässt von „Pilnacek“ bis „Ott“ neue und alte „Netzwerke“ verfolgen.
ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker hat es durchschaut: Der Spion Egisto Ott betrieb für Jan Marsalek und Wladimir Putin ein Netzwerk, das seine Fäden über FPÖ, SPÖ und Neos bis zu mir gezogen hat. Eine einzige Partei hat dem Angriff aus Moskau unbeirrt getrotzt: seine ÖVP.
Als ich vor mehr als 40 Jahren für einen Universitätsprofessor namens Van der Bellen einen Forschungsbericht über die österreichische Rüstungsindustrie verfasste, entdeckten Abgeordnete der ÖVP rund um Andreas Khol mein erstes russisches Netzwerk. Meine Mitagenten trugen damals Echtnamen wie Alexander Van der Bellen, Heinz Fischer und Bruno Aigner. Die Spur des Berichts aus dem Heeresnachrichtenamt führte nach Moskau. Parlamentarische Anfragen der ÖVP machten daraus einen „Fall“. Hubertus Czernin hat ihn in „profil“ geklärt. Am Ende war alles eine Blamage für die ÖVP, nicht mehr.
An den Methoden der ÖVP hat sich nichts geändert. Als wir ab Jänner 2021 die „BMI-Chats“ veröffentlichten, fand ich mich kurz darauf gemeinsam mit Agenten wie Helmut Brandstätter in einem Ott-„Netzwerk“ wieder. Dazwischen machte das „Netzwerk roter Staatsanwälte“, das Unschuldslämmer wie Sebastian Kurz und Thomas Schmid verfolgte, Schlagzeilen.
Im Gegensatz zu damals gibt es jetzt mit Egisto Ott einen Beamten des Innenministeriums, der im begründeten Verdacht steht, dem KGB-Nachfolger FSB gefährliche Geheimnisse verraten zu haben und dazu bis zuletzt Abfragen in Dateien des Innenministeriums durchgeführt zu haben.
Zwei Teile
Die Vorwürfe gegen Ott gliedern sich in zwei Teile: das Ausspionieren von Personen, die von Putins Regime als Journalisten oder Dissidenten verfolgt wurden; und die Geschichte dreier Handys von Mitarbeitern des Kabinetts „Sobotka“.
Von den schwerwiegenden Vorwürfen des ersten Teils habe auch ich erst in den letzten Tagen erfahren. Offensichtlich liegen zahlreiche Sachbeweise vor, die einen klaren Verdacht begründen: Egisto Ott hat seine Möglichkeiten als Beamter des Innenministeriums missbraucht, um Putins Agenten bei der Jagd auf Journalisten und Dissidenten zu unterstützen.
Damit hat er nicht nur Menschen in höchste Gefahr gebracht, sondern, so lautet der Verdacht, zum Nachteil Österreichs Nachrichtendienst betrieben. Das ist der strafbare Tatbestand der Spionage und damit ein wichtiger Fall für die Strafjustiz. Mein Wissen darüber beziehe ich aus „Der Spiegel“, „Falter“ und „Der Standard“.
Drei Handys
Im Gegensatz zum ersten Teil kann ich im Fall der drei Handys persönlich zur Klärung einiger Punkte beitragen.
Die Vorgeschichte ist bekannt: Bei einem Donau-Ausflug des Sobotka-Kabinetts kenterten zwei Boote. Der Kabinettschef fiel mit einigen anderen ins Wasser. Drei Handys wurden zum Trocknen ins BVT gebracht. Dort sollen sie von einem Techniker zumindest in einem Fall ausgelesen worden sein.
Michael Kloibmüller war damals Sobotkas Kabinettschef. Im Herbst 2019 zeigte mir ein Bekannter einzelne Chats, die von diesem Handy stammen sollten. Als Journalist war ich an den Inhalten des Sticks, auf dem die Daten abgespeichert waren, interessiert. Zu Beginn stellte ich klar: Ich würde die Echtheit der Daten überprüfen; und Bezahlung oder sonstige Gegenleistungen wären ausgeschlossen.
Die rechtliche Lage ist seit langer Zeit klar: Für mich als Journalisten ist nicht entscheidend, auf welche Art die Daten erlangt wurden. Ich habe nur zweierlei zu prüfen: ihre Echtheit, damit ausgeschlossen ist, dass Personen über die Verbreitung gefälschter Daten zu Schaden kommen; und ihre Bedeutung, die die Veröffentlichung von Daten, die unter Umständen nicht legal beschafft wurden, rechtfertigt.
Journalisten von „Der Spiegel“ und „Süddeutsche Zeitung“ standen beim „Ibiza-Video“ vor derselben Frage. Sie haben sie genauso beantwortet wie wir bei „ZackZack“ im Fall des Kloibmüller-Handys.
Der Stick
Den Stick erhielt ich im Frühjahr 2020. Ich schrieb damals am Manuskript meines Buches „Kurz – ein Regime“. Einen ersten Kloibmüller-Chat nahm ich in das Buch auf. Kloibmüller erhielt eine Nachricht des späteren Bundeskriminalamts-Chefs Andreas Holzer:
„OK“ meint hier die Abteilung für Organisierte Kriminalität, die der spätere Bundeskriminalamtschef Andreas Holzer im April 2016 führte. „BAK“ ist das Bundesamt für Korruptionsbekämpfung, „TÜ“ eine Telefonüberwachung. Wolfgang Zöhrer war als stellvertretender Direktor der höchste ÖVP-Beamte im BVT.
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich etliche Chats überprüft. In den Monaten nach Erscheinen des Buchs arbeitete ich mich durch mehr als 10.000 Nachrichten und Fotos. Im Spätherbst war klar, dass die „BMI-Chats“, wie wir sie tauften, ein umfassendes Bild von Parteibuchwirtschaft, Missbrauch der Exekutive für Regierungspropaganda und ähnlichen Vorgängen von Justiz bis ORF unter Sebastian Kurz und Wolfgang Sobotka boten.
Von Sobotka bis Kurz
Die Hauptpersonen der „BMI-Chats“ waren neben Michael Kloibmüller:
- Innenminister Wolfgang Sobotka
- Bundeskanzler Sebastian Kurz
- Kurz-Chefstratege Stefan Steiner
- Justizminister Wolfgang Brandstetter
- Innenministerin Johanna Mikl-Leitner
- der spätere Bundeskriminalamts-Chef Andreas Holzer
- der spätere Bundespolizeidirektor Michael Takacs
- die spätere OGH-Vizepräsidentin Eva Marek
- der Generaldirektor für Öffentliche Sicherheit Franz Ruf
- Thomas Zach als ÖVP-Fraktionsführer im ORF-Stiftungsrat
- ORF-Direktor Richard Grasl
- ÖVP-Generalsekretär Werner Amon
- und der spätere Wiener ÖVP-Chef Karl Mahrer.
In den 21 Folgen der „BMI-Chats“ haben wir auf ZackZack aus unserer Sicht alles Wesentliche aus den Daten des Sticks berichtet.
Fragen
Von Politikern der ÖVP und ihnen nahestehenden Journalisten kommen jetzt Fragen, die ich längst in einem Untersuchungsausschuss und einem Strafverfahren beantwortet habe: ZackZack ist im Frühsommer 2019 gegründet worden. Egisto Ott habe ich persönlich erst danach kennengelernt. Meldungen in „Kurier“ und „Die Presse“, die mir diese Bekanntschaft seit 2009 unterstellen, sind falsch.
Ob mir Egisto Ott eine Kopie des Kloibmüller-Sticks übergeben hat, unterliegt dem Redaktionsgeheimnis. In den letzten Tagen habe ich noch einmal mit meinen beiden Anwälten Rücksprache gehalten. Ihre Rechtsauskunft war eindeutig: Das Redaktionsgeheimnis schützt die Redaktion, aber vor allem die Informantinnen und Informanten. Solange sie der Veröffentlichung ihres Namens nicht zustimmen, haben wir dazu kein Recht. Diese Regeln gelten für alle Medien gleichermaßen.
ÖVP-Geheimnisse
Eines kann ich mit Sicherheit sagen: Der Kloibmüller-Stick enthält kein einziges Staatsgeheimnis. Die Hunderten Geheimnisse, die auf ihm gespeichert waren, sind allesamt Geheimnisse der ÖVP. Für die Republik war es gut, dass sie gelüftet wurden. Für die ÖVP war es eine Katastrophe.
Wir bei ZackZack waren nicht die einzigen, die über eine Kopie des Kloibmüller-Sticks verfügten. Wir waren nur die ersten, die Informationen darauf nachgingen, ÖVP-Missstände recherchierten und ab Jänner 2021 die „BMI-Chats“ veröffentlichten.
Einer, der schon 2019 Zugang zu den Kloibi-Infos hatte, war der ehemalige FPÖ-Abgeordnete Hans Jörg Jenewein. Später erhielt „Der Standard“-Redakteur Fabian Schmid eine Kopie. Einige der wichtigsten Informationen aus Kloibmüllers Handy wurden dort zuerst überprüft und veröffentlicht.
Seit einer Hausdurchsuchung am 18. Februar 2021 verfügte auch die AG Fama des Bundeskriminalamts über eine Kopie des Sticks. Aber Holzers Beamte zeigten kein Interesse an den Inhalten. Statt für Sobotka, Kurz und Brandstetter interessierten sie sich für uns. Wie heute im Fall „Pilnacek“ suchte man den Stick nicht, um ihn nach kriminalpolizeilichen Gesichtspunkten auszuwerten. Ende 2021 verfügte der Staatsanwalt, dass der Kloibi-Stick aus dem Akt verschwand.
Die Opfer, die im Visier des FSB standen und von Ott bespitzelt wurden, erleben jetzt, wie ÖAAB´ler versuchen, sich in ihre Reihen zu drängen. Aber die ÖVP-Spitzen auf dem Kloibmüller-Stick sind keine Opfer. Sie sind politische Täter. Um das zu wissen, musste der FSB Egisto Ott kein Handy abkaufen. Er musste nur ZackZack lesen.
Aus allen Rohren
Die ÖVP schießt jetzt aus allen Rohren, die ihr von „Die Presse“ bis „Kurier“ zur Verfügung stehen. Erstmals bin ich gleichzeitig Agent zweier Netzwerke: des Spionage-Netzwerks von Egisto Ott; und des Netzwerks aus Pilnacek-Lebensgefährtin, ihrem Anwalt, der Kreutner-Kommission der Justizministerin und ZackZack, das gerade die dubiosen Vorkommnisse im Landeskriminalamt Niederösterreich rund um den Tod von Justiz-Sektionschef Christian Pilnacek aufklärt. Ich versuche, daraus das Beste zu machen: weitere Berichte auf ZackZack.
Ott-Video
Eine Frage bleibt noch: Das Video-Interview mit Egisto Ott, das ZackZack am 17. September 2021 veröffentlichte, habe heute „hohen Erklärungsbedarf“. Das stimmt. Die Veröffentlichung des Interviews war mit unserem damaligen Wissenstand eine vertretbare Entscheidung. Heute, mit dem neuen Wissen aus dem Haftbefehl, wäre es nicht vertretbar, das Video einfach so stehen zu lassen.
Aber es ist nach wie vor ein Dokument und die einzige ausführliche Aufnahme, auf der Ott zu Wort kommt. Daher werden wir es mit einer Erklärung, die es in die neuen Zusammenhänge stellt, versehen.
Damals haben wir als Journalisten richtig entschieden. Heute versuchen wir, das auch zu tun.
p.s.: In einigen Tageszeitungen sind über mich rufschädigende Unwahrheiten verbreitet worden. Mein Anwalt bereitet die nötigen Klagen vor. Ich sehe den Befragungen unter Wahrheitspflicht mit Interesse entgegen.
Die BMI-Chats auf ZackZack zum Nachlesen
Titelbild: ZackZack