Dienstag, November 12, 2024

Mordkommission auf Handyjagd. Keine Provinzposse

Österreichs bekanntester Verfassungsrechts-Experte hält die „Polizeiaffäre Pilnacek“ für mehr als eine Provinzposse.

Die Umstände von Christian Pilnaceks Tod sowie die folgenden Ereignisse sind die Konsequenz seines bisherigen beruflichen Wirkens. Als langjähriger Spitzenbeamter im Bundesministerium für Justiz war er ob seiner juristischen Brillanz hochgeachtet und geschätzt; zugleich war er auch heftig umstritten.

Als Sektionschef war Christian Pilnacek auch mit der Aufsicht über die Strafverfolgung wegen krimineller Delikte durch die Staatsanwaltschaften befasst. Die ihm damit verliehene Macht wusste er gut zu bedienen und nützte seine Autorität wirkungsvoll. Dafür wurde er von den einen bewundert, von den anderen immer wieder kritisiert.

Mehr als eine Posse

Sein Tod war unerwartet und tragisch; so wie sein bisheriges Wirken als oberster Lenker der Strafverfolgung im Justizministerium waren auch die Geschehnisse nach seinem Tod alles andere als unspektakulär. Man könnte das Verhalten der Kriminalpolizei nach dem Auffinden seiner Leiche als Provinzposse sehen, wären da nicht ernste Fragen unbeantwortet.

Es beginnt mit dem Einschreiten des niederösterreichischen Landeskriminalamtes: die Ermittlungen wurden vom Leiter der Gruppe „Leib und Leben“ – also der „Mordkommission“ – geführt; einer Gruppe, die vor allem für Tötungsdelikte und schwere Formen der Gewaltkriminalität zuständig ist.

Gefunden wurde die Leiche im seichten Wasser, am Rücken liegend. Als die Rossatzer Ärztin Dr. W. am Fundort der Leiche eintrifft, soll ihr einer der Kriminalbeamten – ohne dazu befugt zu sein – gesagt haben, dass sie als Polizei keine Obduktion wollen. Frau Dr. W. hat diesen Wunsch ignoriert und die Obduktion dennoch angeordnet.

Wenn das tatsächlich so geschehen sein sollte, so wirft dies die Frage auf, warum die Kriminalpolizei keine Obduktion wollte? Warum wollte gerade die „Mordkommission“ nicht wissen, wodurch Pilnacek zu Tode gekommen ist? Gab es bereits eine „offizielle“ Version, die nicht gestört werden durfte?

„Sicherstellung“

Es geht weiter: einige Stunden nach dem Auffinden der Leiche kommen zwei männliche Kriminalbeamte zur Lebensgefährtin von Christian Pilnacek in deren Wohnung und verlangen „Handy, Schlüssel, Geldbörse und Computer“. Die zuständige Staatsanwaltschaft Krems hat dazu erklärt, dass sie keinen Sicherstellungsauftrag und auch keinen Hausdurchsuchungsbefehl erteilt haben.

Die von der Kriminalpolizei gegenüber Medien getätigten Äußerungen bestätigen dies; die Kriminalpolizei beruft sich dabei auf eine Befugnis zur Sicherstellung nach dem Sicherheitspolizeigesetz; sie hatte also keinen strafrechtlichen Verdacht. Tatsächlich sieht § 42 Sicherheitspolizeigesetz (SPG) derartige Sicherstellungsbefugnisse vor:

Quelle: Rechtsinformationssystem des Bundeskanzleramtes RIS

Analysiert man den Gesetzestext so zeigt sich, dass die Ziffern 1, 2 und 4 von vornherein im vorliegenden Fall nicht als Grundlage in Betracht kommen.

Die Kriminalpolizei stützt sich offenbar auf § 42 Abs 1 Z 3: danach kann eine Sicherstellung dann erfolgen, wenn eine „unbefugte Beschädigung oder Wegnahme droht“ und der Eigentümer oder rechtmäßige Besitzer nicht in der Lage ist, selbst für ihren Schutz zu sorgen. Letztere Voraussetzung wäre am Fundort der Leiche sicher vorgelegen, möglicherweise hätte die Kriminalpolizei auch am Fundort Sicherstellungen durchführen können. Ob sie das getan hat, und dabei erfolgreich oder erfolglos war, ist derzeit nicht bekannt.

Zum Fürchten

Die Kriminalpolizei wollte aber eine Sicherstellung nicht am Fundort der Leiche, sondern in der letzten Wohnung des Betroffenen durchführen. Dafür bietet § 42 SPG keine Rechtsgrundlage.

Wenn die Kriminalpolizei laut Medienberichten (Salzburger Nachrichten, Kurier und Kronenzeitung vom 28. März 2024) dies als „Routinevorgang“ bezeichnet, muss man sich fürchten. Dies würde nämlich bedeuten, dass immer dann, wenn jemand durch einen Unfall oder ein Delikt getötet oder in einen wehrlosen Zustand versetzt wird, die Kriminalpolizei dessen Wohnungen aufsuchen und bestimmte Gegenstände verlangen darf. Eine geradezu absurde Konsequenz dieser Gesetzesauslegung durch die niederösterreichische Kriminalpolizei. Oder ist das in Niederösterreich tatsächlich generell üblich? Vielleicht als schützenswertes Brauchtum?

Abgesehen davon stellen sich im vorliegenden Fall zwei weitere Fragen: Aufgrund welcher Indizien vermutete die Kriminalpolizei, dass den sichergestellten Gegenständen „unbefugte Beschädigung oder Wegnahme droht“? Gab es einen Hinweis darauf, dass die Lebensgefährtin des Verstorbenen geplant hatte, sein Handy und seine Computer zu beschädigen oder zu zerstören und seine Schlüssel und seine Geldbörse an sich zu nehmen?

Des Weiteren wäre auch zu klären, warum die Kriminalpolizei lediglich bestimmte Datenträger, Schlüssel und Geldbörse sicherstellen wollte. Warum nicht auch andere mögliche Wertsachen? Warum wurde über die Übernahme der Gegenstände keine Bestätigung ausgestellt?

Das Tonband

Um diese Vorgangsweise der niederösterreichischen Kriminalpolizei einordnen zu können, muss man auch darauf bedacht nehmen, dass kurz nach dem Tod von Christian Pilnacek ein Tonbandmitschnitt öffentlich wurde, in dem Christian Pilnacek schwere Vorwürfe gegen Funktionäre der ÖVP, namentlich auch gegen Wolfgang Sobotka, erhebt. Es habe – so Pilnacek – massive Interventionsversuche gegeben, die ihn dazu bewegen sollten, Strafverfahren gegen ÖVP-nahe Personen „abzudrehen“. Er habe sich diesen Interventionen widersetzt.

Bedenkt man das mit, so muss der Verdacht auftauchen, dass die Suche der niederösterreichischen Kriminalpolizei nach den Datenträgern mit diesen Vorwürfen in Zusammenhang stehen könnte. Fürchtet sich da jemand vor Datenträgern und den darauf gespeicherten Informationen?

Pilnaceks Schlüssel

Der Merkwürdigkeiten kein Ende: Bei ihrem Besuch in der Wohnung der Lebensgefährtin haben die Kriminalbeamten nicht nur Datenträger, sondern auch den Schlüssel zu Pilnaceks Wohnung in Wien gefordert und erhalten. Wozu benötigt die Kriminalpolizei den Wohnungsschlüssel des Verstorbenen, der offenbar nicht durch Fremdverschulden den Tod fand?

Die Lebensgefährtin von Christian Pilnacek berichtet gegenüber ZackZack weiter, dass die niederösterreichische Kriminalpolizei – auch nach der durchgeführten Sicherstellung am Tag des Auffindens des Verstorbenen – ihr gegenüber erklärt hat, die Wohnung (offenbar die Wiener Wohnung von Christian Pilnacek) durchsucht und nichts gefunden zu haben. Die Lebensgefährtin wurde aufgefordert, nochmals nachzudenken, wo der Laptop versteckt sein könnte.

Gehört diese Vorgangsweise auch noch zur Routine der niederösterreichischen Kriminalpolizei? Was hat die Kriminalpolizei – die ja (nachdem sie keine Obduktion wünschte) offenbar davon überzeugt ist, dass kein Fremdverschulden vorliegt – in der Wohnung des Verstorbenen überhaupt zu suchen? Das Sicherheitspolizeigesetz sieht derartige „Schnüffelbesuche“ nicht vor. Meine Frau habe ich jedenfalls für alle Fälle gewarnt; da wird dann nichts mehr da sein.

Botendienste und Befehl

Es geht weiter: Gegenüber Medien erklärte das Landeskriminalamt, dass man die bei der Lebensgefährtin sichergestellten Gegenstände der Witwe übergeben hätte. Auch dafür fehlt jede Rechtsgrundlage; weder das Sicherheitspolizeigesetz noch ein anderes Gesetz ermächtigen das Landeskriminalamt, solche Botendienste für die Witwe eines Toten zu verrichten. Im vorliegenden Fall wären die sichergestellten Gegenstände dem Verlassenschaftskurator zur Verfügung zu stellen gewesen.

Woher wollten denn die Kriminalbeamten wissen, dass die Witwe und ihre Kinder die „ausschließlichen“ Erben nach Christian Pilnacek sind? Woher wollten sie wissen, dass Christian Pilnacek nicht noch ein Testament hinterlassen hat, indem er sein Erbe – insbesondere seine persönlichsten Gegenstände – anders regelt? Was wollte die Kriminalpolizei hier sichern? Vielleicht, dass das Handy nicht in falsche Hände – womöglich in die der Staatsanwaltschaft – fällt?

Die Vorgangsweise der Kriminalpolizei nach dem Auffinden der Leiche trägt nicht nur nichts zur Klärung der Sache bei, sondern ist ohne Rechtsgrundlage und wirft die Frage auf, welche Motive das niederösterreichische Landeskriminalamt bewogen haben, diesen Weg zu wählen. Die Behauptung, das alles sei ein „Routinevorgang“ sollte offenbar die Unbedenklichkeit dieses Vorgehens belegen – bewirkt aber genau das Gegenteil.

Dass die niederösterreichische Kriminalpolizei – wenn sie mit einem Toten oder Schwerverletzten konfrontiert ist – in dessen Wohnung Datenträger, Schlüssel und Geldbörsen verlangt, ist geradezu abwegig. Kann es sein, dass die niederösterreichischen Kriminalbeamten gar nicht wissen, dass sie ohne gesetzliche Ermächtigung handeln? Oder hatten sie einen „Befehl“, die Datenträger unter allen Umständen sicher zu stellen?

WKStA und „Routinevorgänge“

Wie geht es weiter? Vor wenigen Tagen hat die Lebensgefährtin von Christian Pilnacek eine Sachverhaltsdarstellung an die WKStA eingebracht. Sie erhebt in dieser Sachverhaltsdarstellung den Verdacht, dass Beamte des Landeskriminalamts Niederösterreich durch die geschilderte Vorgangsweise das Delikt des Verbrechens des Amtsmissbrauchs begangen haben.

Die WKStA wird sich damit näher zu beschäftigen haben und dabei wohl auch klären müssen, wie diese „Routinevorgänge“ im vorliegenden Zusammenhang strafrechtlich zu bewerten sind, insbesondere: Was sollte vor wem, in wessen Interesse, gesichert werden? Wer könnte etwas zu befürchten haben?

Was ist noch zu erwarten? In Anbetracht der Erfahrungen, die man in den letzten Jahren bei derartigen strafrechtlichen Verdachtsfällen sammeln konnte, wird damit zu rechnen sein, dass es Bestrebungen geben wird, Kritiker und Personen, die um Aufklärung bemüht sind, zu diskreditieren. Einige Kostproben konnte man schon genießen.


Titelbild: Heinz Mayer, Christopher Glanzl/ZackZack

Autor

  • Heinz Mayer

    Heinz Mayer ist einer der führenden Juristen Österreichs. Der ehemalige Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät an der Universität Wien beurteilt das politische Geschehen regelmäßig.

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