Was sich in „Krone“ und „Kurier“ rund um den Fall Jenewein abgespielt hat, ist ein Skandal. Der Verdacht liegt nahe, dass nach einer möglichen Kickl-Entmachtung Anläufe in Richtung Neuauflage von Türkis-Blau unternommen werden sollen – um jeden Preis.
Benjamin Weiser
8. August 2022 | Eine Redakteurin, M., und ein Redakteur, B., beide bei der „Krone“, haben am Wochenende Grenzen überschritten. Journalistisch, menschlich, politisch. Ja, auch politisch, denn die Gerüchte rund um die Jenewein-Tragödie muten wie eine Art Auftragsarbeit an. Da wurde der Bogen von einer menschlichen Tragödie über FPÖ-interne Querelen bis hin zum Ibiza-Video gesponnen. Hinzu kamen offenkundige „Unschärfen“ über die Hintergründe der Tragödie Jenewein – in dramatisierender Tonalität.
Dramatik und Spekulationen
Schon im Fall Kellermayr hatte sich B. im Ton vergriffen und aus persönlichen Abschiedsbriefen zitiert – inklusive Spekulationen über den Gesundheitszustand der Ärztin. Man muss bei solchen Texten davon ausgehen, dass potenzielle Nachahmer zumindest billigend in Kauf genommen werden.
Wer so etwas wie am Sonntag zu Jenewein veröffentlicht und erst mit der Zeit den offensichtlich unrichtigen Ausgangs-Text aktualisiert, muss sich fragen, ob er oder sie die nötigen Voraussetzungen für den Job mitbringt. Dabei ist es nicht das erste Mal, dass es dem „Krone“-Kollegen „passiert“, einen für gewisse Politkreise und Behördenvertreter politisch günstigen Text rauszuknallen, um sich später Fragen nach der Richtigkeit gefallen lassen zu müssen.
Der „Krone“-Mann und seine auffällige Behördennähe
Rückblende: Beim Wiener Terror-Anschlag im November 2020 versagen Verfassungsschutz, Polizei und Karl Nehammers Innenministerium (BMI). Immer noch sind viele Umstände unklar. Doch die „Krone“ ist stets gut informiert und auf der Seite der angeschlagenen Sicherheitsbehörden.
Mit der „Operation Luxor“, der laut „Standard“ größten, aber auch krachend gescheiterten Ermittlungsaktion gegen den „Politischen Islam“ blamiert sich das BMI, ehe ZackZack mit den BMI-Chats einen ÖVP-Sumpf sondergleichen offenlegt. Klar ist: In der Wiener Herrengasse 7 lechzt man nach positiver Berichterstattung.
Zwei Jahre später. Es ist der 14. Juni 2022. „Krone“-Redakteur B. veröffentlicht einen Artikel, wonach ein von einem Dschihadisten-Netzwerk geplanter Terror-Anschlag beim Wien-Marathon vereitelt worden sei. Sukkus: Großer Erfolg der BVT-Nachfolgerin DSN.
Zurückhaltender wird auf „orf.at“ berichtet: „Besonders in Hinblick auf den Vienna City Marathon Ende April 2022 wurde die Bedrohung von den Verfassungsschützern sehr ernst genommen, auch wenn die Sportveranstaltung nicht konkret im Blickpunkt des Terrornetzwerkes stand.“ Also doch keine Anschlagspläne? Ö1 sendet schließlich einen Beitrag mit dem folgenden Titel: „Keine Anschlagspläne bei Wien Marathon.“
Ob übertrieben oder schlicht falsch: Steht so ein Text erst einmal im größten Blatt Österreichs, hat es eine Wirkung. Redakteur B. weiß das. Seine Informationsüberbringer sicher auch.
Ibiza und zurück?
Es ist der Job des Journalisten, die Informationen zu checken und sich über die Motive der Überbringer im Klaren zu sein. B. und seine Kollegin M. tragen Verantwortung für ihr Handeln. Dass so etwas wie der Jenewein-Artikel in der „Krone“ – die laut Ibiza-Video „gekauft“ werden sollte und vor Kurz‘ Rücktritt gerade noch die Kurve in Richtung Kritik kratzte – immer noch „passieren“ kann, ist eine Schande.
Da ist es auch schon einerlei, wenn „Kurier“-Chefredakteurin Martina Salomon noch eins draufsetzt und den Fall Jenewein in einer unterirdischen Weise ausnutzt, um bei der FPÖ ordentlich Öl ins Feuer zu gießen. Es liegt mir nichts ferner, diese Partei zu verteidigen. Dafür hat die FPÖ von 2017 bis 2019 zu viel angerichtet. Doch genau jene Zeit der türkis-blauen Koalition war es, der Martina Salomon offenbar immer noch hinterhertrauert.
Der Verdacht liegt nahe, dass nach einer möglichen Entmachtung Herbert Kickls Anläufe in Richtung Neuauflage der Rechtskoalition unternommen werden sollen. Es wäre die mittlerweile wohl einzig sichere Option für die ÖVP, in der Regierung zu bleiben. Und ohne den rachsüchtigen Kickl wäre das wieder möglich. Österreich muss also auf der Hut sein. Vor regierungsnahem „Journalismus“ und dem politischen Überlebenskampf der ÖVP.
Hilfenummern
In Österreich gibt es zahlreiche, kostenlose Einrichtungen und Telefonnummern, die bei Suizidgedanken und in Krisensituationen ihre Hilfe anbieten:
- Telefonseelsorge: 142 (Notruf) rund um die Uhr erreichbar
- Kriseninterventionszentrum: 01/406 95 95 Mo-Fr von 10-17 Uhr erreichbar
- Rat auf Draht: 147 rund um die Uhr für Kinder und Jugendliche erreichbar
- Psychosozialer Dienst (PSD) Wien: 0/ 31330 rund um die Uhr erreichbar
- Männernotruf: 0800 246 247 rund um die Uhr erreichbar
- Frauenhelpline: 0800 222 555 rund um die Uhr erreichbar
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