Samstag, Dezember 7, 2024

Lauter als das Schwert – Rabinowich zum Attentat auf Rushdie

Julya Rabinowich zum Attentat auf Rushdie

Messerkritik ist keine Kritik, sondern ein Verbrechen, schreibt ZackZack-Kolumnistin Julya Rabinowich nach dem Attentat auf Schriftsteller Salman Rushdie am Wochenende, das dieser nur knapp überlebte – während sich in den sozialen Medien eine Hass-Kloake über den Autor ergoss.

Julya Rabinowich

Wien, 16. August 2022 | Salman Rushdie ist angegriffen worden, als er einen Vortrag halten wollte – über Schreibende und Exil und Amerika als Zufluchtsort – unter dem Titel „„More than Shelter“. Ein Zufluchtsort, der seinerzeit auch ihm, der für das Vergehen, einen religionskritischen Roman namens „Satanische Verse“ verfasst zu haben, mit einer Fatwa belegt und damit permanent in Lebensgefahr gebracht wurde, offenstand. Welch bittere Ironie des Schicksals könnte man sagen.

Aber es ist kein Schicksal, dass Autoren wie Rushdie – eine Ikone des Widerstands und des Mutes, ein Kämpfer für die Freiheit des Wortes – über Jahre bedroht werden. Es sind erwünschte Politik und Radikalisierung. Es ist auch die Duldung dieser Politik und erwünschten Radikalisierung. Oder deren Verharmlosung.

Es ist nicht sehr förderlich, den Angreifer in einem westlichen Medium als „Kritiker“ zu bezeichnen. In dieser Deutung wäre Brutus auch nur Kritiker gewesen. Messerkritik ist keine Kritik, sondern ein Verbrechen. Es sind auch soziale Medien wie Twitter, die der Verbreitung der Bedrohungen wenig entgegensetzen. Und dennoch, trotz aller Bedrohung, die Rushdie über so lange Zeit ertragen hatte, ist die Feder immer noch mächtiger als das Messer.

Salman Rushdie wird vermutlich ein Auge verlieren, aber niemals seine Wortgewalt. Vor ein paar Tagen konnte er, an ein Beatmungsgerät angeschlossen, noch nicht sprechen. Doch seine Stimme wird auch in 20 Jahren laut und deutlich hörbar sein. Man kann Literatur nicht töten, nicht ersticken, nicht auslöschen. Was geschrieben wurde, bleibt. Daran können weder die vor Jahren ausgesprochene Fatwa noch die aktuelle Kloake etwas ändern, die sich in sozialen Medien über den Autor ausleerte.

In diesem Fall hat sich Twitter nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert: Accounts, die mit Messern in die Kamera wedelten und den „Blasphemikern“ offen drohten, wurden trotz zahlreicher Meldungen für den Regeln entsprechend und damit eh okay befunden. Immerhin machte Twitter dabei einen auf Egalismus: nicht nur der gemeine Pöbel wurde in seinem Glauben, dass Gewaltdrohungen und Gewaltverherrlichung bei einer solchen Plattform wie Twitter nichts verloren hätte enttäuscht, sondern auch Harry Potters Mutter J. K. Rowling, der man unter ihre Genesungswünsche an Salman Rushdie darunterkommentierte: You are next.

Leider konnte Twitter auch da keinen Regelverstoß erkennen. Der Entwicklung zur auflagestarken Hassmaschine steht also nicht mehr allzu viel im Wege, und das ganz ohne Elon Musk. Aber für Hassmaschinerie braucht es nicht einmal anonyme Accounts. In einem regierungsnahen iranischen Medium, dessen Chefredakteur wenig überraschend von dem gleichzeitig weltlichen und geistigen Oberhaupt ernannt wird, steht geschrieben: „Die Hand des Mannes, der dem Feind Gottes den Hals umdreht, muss geküsst werden.“ Ein großer Irrtum: Solche Hände gehören schleunigst in Handschellen.

Titelbild: HERBERT NEUBAUER / APA / picturedesk.com

Autor

LESEN SIE AUCH

Liebe Forumsteilnehmer,

Bitte bleiben Sie anderen Teilnehmern gegenüber höflich und posten Sie nur Relevantes zum Thema.

Ihre Kommentare können sonst entfernt werden.

8 Kommentare

8 Kommentare
Meisten Bewertungen
Neueste Älteste
Inline Feedbacks
Zeige alle Kommentare

Jetzt: Hinter den Kulissen von Wiens gefährlichster Moschee

Nur so unterstützt du weitere Recherchen!