Seit Tirol scheint es klar: Die ÖVP geht ihrem Ende entgegen. Aus dem roten Liegestuhl beobachtet das die SPÖ mit Interesse. Es wird Zeit, dass sie aufsteht.
Wien, 2. Oktober 2022 Es gibt einen Humor, der nach dem Galgen benannt ist. Ich habe mir bisher schwer vorstellen können, dass jemand, der schon freien Blick auf die Endstation hat, in seinen letzten Momenten Witze macht. Aber was ist, wenn diesen Personen nichts anderes einfällt? Und was ist, wenn sie gar nicht wissen, dass das Witze sind?
„In Anbetracht der multiplen Krisenlagen ist es nicht notwendig, das Niveau des Alarmschlagens so aufrecht zu halten”. Die Erklärung des Gesundheitsministers ist ein Witz. Gerade ist unser Land auf den letzten COVID-Platz in Europa abgestürzt. Die Gesundheitspolitik hat dem Virus Scheunentore geöffnet. In der Scheuneneinfahrt steht der Kanzler und macht Witze über Viren, Psychopharmaka und Alkohol. Sein Gesundheitsminister steht daneben.
Der Verweis auf die „multiple Krisenlage“ zeigt, dass dem Minister der verzweifelte Kampf Zehntausender gegen ihren Absturz in die neue Armut bekannt ist. Menschen mit Mindesteinkommen drehen die Heizung nicht mehr auf und hoffen, dass die Wände möglichst spät zu schimmeln beginnen. So sieht es bei 10,5 Prozent Inflation am Beginn eines Winters, vor dem sich erstmals viele fürchten, aus.
Die Stunde der SPÖ
Preise und Viren geraten außer Kontrolle. Die Angst vor einem Leben, das man sich nicht mehr leisten kann, hat längst die alten politikbestimmenden Ängste vor Ausländern und Kriminellen verdrängt. Das Geld, das zum Überleben fehlt, wandert Tag für Tag auf die Konten von Energiekonzernen, Gasspekulanten und den Mitprofiteuren, die im Windschatten der Energiekrise bis zum Anschlag an ihren Preisschrauben drehen.
Die Betroffenen wissen das. Sie sind bereit, eine politische Wende zu wählen. Sie wollen ihr Geld und ihre Sicherheit zurück. Sie wollen eine Regierung, die für sie da ist.
Das letzte Signal zum Aufwachen hat die Tiroler Wahl gegeben. Aber die ÖVP feiert ihren Absturz als Sieg, und die Grünen feiern mit. Statt Alarm zu schlagen wird angestoßen. Das ist die Stunde der SPÖ. Der SPÖ! Der SPÖ!!! Hallo?!
Solider Liegestuhl
Das rhythmische Geräusch, das man vom Regierungs-Wegrand hört, kommt aus Liegestühlen. ÖVP und Grüne stürzen ab. Aber die SPÖ ist noch nicht aufgewacht. Von Umfrage zu Umfrage ist die SPÖ-Spitze jahrelang gut gelegen. Warum soll sie plötzlich aufstehen?
Wenn man zu plötzlich aufsteht, befällt einen das Schwindelgefühl. Das dürfte Georg Dornauer als Spitzenkandidat der Tiroler SPÖ am Beginn seines Wahlkampfs verspürt haben. Um nicht ins Wackeln zu kommen, klammerte er sich an Toni Mattle, den Spitzenkandidaten der ÖVP, und ließ ihn bis zum Wahlabend nicht mehr los. So gewann die SPÖ 0,2 Prozent und verlor die Wahl.
In Wien scheint das ein guter Grund, so weiterzumachen. Der Wiener Bürgermeister gratulierte dem neuen Nicht-Landeshauptmann zum „soliden Ergebnis“. Wahrscheinlich weiß auch er, dass die SPÖ gerade solide eine Chance vergeben hat. Aber warum?
Pam steht auf?
Die SPÖ ist nach wie vor in drei Teile gespalten. Die einen wollen zurück in die Vergangenheit, in die damals große Koalition mit der ÖVP. Führende Gewerkschafter, große Teile der Wiener Parteiführung und Kleingranden wie Dornauer stehen für das Projekt „Gestern“. Hans Peter Doskozil versucht in seinem Burgenland zu zeigen, dass ein bürgernaher Weg sozialer Reformen unter Ausschluss der ÖVP ans Ziel führt. Irgendwo dazwischen wartet die Bundesspitze der Partei auf irgendetwas. Wenn es kommt, ist man bereit aufzustehen.
Das klingt alles zynisch? Stimmt, genau das ist es. Es ist schlimm genug, dass die Grünen nach 2017 ein zweites Mal den Bach hinuntergehen. Aber eine Umweltpartei ist so wichtig, dass auch aus der Kogler/Maurer-Konkursmasse wieder etwas entstehen wird. Bei der SPÖ ist das anders. Die Sozialdemokratie ist zu groß und zu alt, um auf neuen Beinen wieder gehen zu lernen.
Es wäre doch so einfach: Pamela Rendi-Wagner steht endlich auf und erklärt, dass sie ein Ziel hat: eine Regierung für einen Neuanfang ohne ÖVP, mit Gerechtigkeit statt Korruption. Ich bin mir sicher, dass es nur dafür eine klare Mehrheit gibt.
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