Die Personaloffensive in der Pflege kann nur ein erster Schritt sein kann, heißt es vom Hilfswerk. Bei einer Pressekonferenz wandte sich Othmar Karas kritisch an die Regierung: Die Probleme müssten dringend behoben werden.
Wien, 04. November 2022 | Im Frühjahr hat die Regierung medienwirksam eine Pflegereform präsentiert. Versprochen wurde unter anderem eine „Gehaltserhöhung“ in Form eines ausbezahlten Bonus, der eigentlich für Dezember angekündigt war. Aber: „Wie soll das Versprechen bis Dezember umgesetzt werden, wenn bis heute nicht bekannt ist, wie die Umsetzung im Detail aussehen soll?“, zeigte sich Hilfswerk-Präsident Othmar Karas (ÖVP) bei einer Pressekonferenz am Freitag empört.
Die Pflege brauche „Menschen mit Empathie, Ausbildung, mit Hand, Herz und Hirn“, sagte Karas. Dementsprechend sieht das Hilfswerk das Personal auch im Zentrum der Problemlösung, beziehungsweise deren Verfügbarkeit, Ausbildung und Arbeitsumstände. Die bisher präsentierten Maßnahmen seien nur die erste Etappe, aber keine umfassende Reform.
Gemeinsam mit Hilfswerk-Österreich-Geschäftsführerin Elisabeth Anselm und Hilfswerk-International-Geschäftsführer Stefan Fritz warnte er die Regierung vor „Stolpersteinen“, die aus Sicht des Hilfswerks derzeit die Bewältigung des Pflege-Notstands behinderten. „Wir brauchen den politischen Willen, dieses Thema nicht im Schneckentempo anzugehen, sondern so schnell wie möglich“, so Karas in Richtung Regierung.
Schlechte Datenlage
Aus Sicht des Hilfswerks scheitert es in Österreich schon einmal daran, dass es kaum bis gar keine Daten gibt, die ermöglichen, den Bedarf an sowie Anzahl und Entwicklung von Praktikanten im Pflegeberuf abzubilden, genauso wie Zahl und Bedarf an Praktikum-Plätzen, verfügbaren Ausbildnern und Praktikumsanbietern.
Was fehlt
Einerseits fehlt, das ist längst öffentlich bekannt, Pflegepersonal. Das liegt laut Hilfswerk einerseits daran, dass Ausbildungsplätze am Anschlag seien und Interessierten maximal mit Ach und Krach ein Praktikum angeboten werden kann.
Es sei außerdem viel zu umständlich für Fachkräfte aus Drittstaaten, für die Pflegearbeit nach Österreich zu kommen, kritisierte Stefan Fritz am Freitag. Wer mit einer Ausbildung aus dem Pflegebereich nach Österreich kommt, muss den Abschluss anerkennen lassen und eventuell Zusatzkurse besuchen. Dieser Prozess bringe für Fachkräfte aus Drittstaaten aber hohe bürokratische Hürden und hohe Kosten, so Fritz.
Bewerber seien mit einer Vielzahl an verantwortlichen Stellen konfrontiert, die Gesetze teils anders auslegten. Die Zuständigkeitsverteilung führe dazu, dass alle ein bisschen Bescheid wüssten, aber es keine Stelle mit geballtem Wissen in Österreich gebe, bemängelte Fritz. “Wir sind uns nicht sicher, ob diese Diskrepanzen bewusst sind und hingenommen werden oder einfach nicht bewusst sind”, sagte Elisabeth Anselm.
Lange Fristen, wenige Möglichkeiten
Die Erfahrungen des Hilfswerks zeigen: Reicht jemand die Unterlagen für die Abschluss-Anerkennung ein, beträgt die Begutachtungsfrist drei Monate. Danach beträgt die Wartezeit auf Ergänzungsausbildungen bis zu sechs Monate und mehr. Die Absolvierung der Kurse dauert mindestens zehn weitere Monate. Und wer während dieses Prozesses arbeiten möchte, darf das nur in einer Qualifikationsstufe unter dem erlangten Ausbildungsniveau. Pflegeassistenten haben daher keinerlei Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, weil es unter ihnen keine Berufsstufe in dem Bereich gibt.
Deutschland viel attraktiver
Das Hilfswerk verweist etwa auf den Nachbarn Deutschland, der für Fachkräfte aus Drittstaaten wesentlich attraktiver sei. Der Prozess bis zur Anerkennung der Ausbildung sei praxisorientierter, unter anderem weil es Kooperationsabkommen mit interessierten Herkunftsländern gebe. Genau solche Vereinbarungen und Services für interessierte Bewerber und Betriebe in Drittstaaten und Österreich fordert das Hilfswerk auch hierzulande, etwa unter dem Titel “Work in Care Austria”.
Qualitätsoffensive bei Praktikumsanleitung
Aber auch Praktikumsanleiter fehlen laut Hilfswerk. Sowohl die wachsenden Anforderungen an Praktikumsanleiter als auch die Bedeutung der Qualität der Begleitung von Praktika werde systematisch unterschätzt. Es brauche mehr Zeit und Ressourcen für Weiterbildungen und die Anleitungstätigkeit. Die Kosten für die Weiterbildung und die Freistellung dafür sollten außerdem nicht von den Praktikumsanleitern selbst getragen werden müssen.
“Darf kein Randthema sein”
Es ist auch längst kein Geheimnis mehr, dass immer mehr Pflegekräfte dem Beruf den Rücken kehren. Elisabeth Anselm sagte, „mehr Kolleginnen und Kollegen, ist immer die erste Antwort“ auf die Frage, wie man die Pflegearbeit wieder attraktiver machen könne. Der Personalmangel schlage sich in Überstunden und instabilen Dienstplänen nieder. Leute, die dem Beruf den Rücken zukehrten, hätten oft das Gefühl, sie könnten ihren Beruf nicht so ausüben wie sie es gelernt hätten oder gerne tun würden.
Es brauche mehr Anerkennung, auch durch ein höheres Gehalt, sagte Othmar Karas, und die Rahmenbedingungen der Arbeit müssten verbessert werden. “Pflege darf kein Randthema sein, sie verlangt unsere volle Aufmerksamkeit”, so Karas. Der einmalige Pflegebonus reiche nicht aus.
(pma)
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