Auswärtsspiel:
Die “ballesterer”-Kolumne auf ZackZack. Heute über bezahlte “Fans” bei der WM in Katar.
Nicole Selmer
Wien, 05. November 2022 | Große Fußballturniere sind auch so etwas wie ein Schmelztiegel der Fankulturen. Früher, als Videos aus aller Welt nicht nur einen Klick weit entfernt waren, funktionierte das noch besser. Bei der WM 1958 in Schweden bewunderten europäische Fans das Klatschen und Trommeln, mit dem die südamerikanischen Teams angefeuert wurden – und ahmten es nach. Aber auch heute noch gelingt dieser Kulturtransfer. Bestes Beispiel ist der „Huh“-Jubel für die isländischen Teams der Männer und Frauen, der inzwischen bei allen möglichen Klubs zu finden ist. Ich erinnere mich an australische Fans mit aufblasbaren Gummikängurus, Fans aus der Schweiz, die mit dem Ordnungsdienst über das Mitbringen von Kuhglocken streiten, während die französischen Fans einen lebenden Hahn in die Kurve tragen.
Die Vuvuzelas, deren hoher Ton die Spiele der WM in Südafrika unterlegte, ließen sich hingegen nicht so gut nach Europa importieren – sie wurden schnell als kommerziell und störend abqualifiziert. Den Plastiktröten mag eine jahrzehntelange Tradition fehlen, aber so what? Im südlichen Afrika gehören sie zum Fußball dazu, und alles fängt irgendwann einmal an. Auch das isländische „Huh“ stammt nicht aus der Wikingerzeit und übrigens nicht einmal aus Island, aber das ist eine andere Geschichte.
Katar zahlt “Fans”
Vieles wird inzwischen durch Stadionordnungen erschwert, die Fahnengrößen und Stocklängen genau vorschreiben und Tiere und Musikinstrumente verbieten. Dennoch kann trotz aller Einschränkungen, trotz Kommerz und Eventcharakter eine WM ein internationales Fest von Fankulturen sein. Darauf will Katar sich aber nicht verlassen. Die Ausrichter engagierten rund 1.500 Fans der teilnehmenden Teams, zahlen ihnen Reise und Unterkunft im Austausch für ihre Stimme. Buchstäblich: Sie sollen bei der Eröffnungsfeier ihre Teams anfeuern – die passenden Chants teilt das WM-Organisationskomitee vorher mit, damit die Gesänge auch sitzen. Und im übertragenen Sinn, denn sie sollen möglichst begeistert in den sozialen Medien über die WM berichten. Die Hashtags, Bilder und Themen dafür werden ebenfalls geliefert.
Die WM-Ausrichter haben dafür sogenannte Fan Leader kontaktiert, also Personen, von denen sie sich möglichst viel Reichweite versprechen, und sie entsprechend instruiert. Man bitte sie natürlich nicht, als Sprachrohr für Katar zu fungieren, negative Kommentare zu Land oder Turnier seien allerdings unpassend. Eh klar. Ronan Evain, Geschäftsführer der Fanorganisation „Football Supporters Europe“, sagte dazu: „Das sind keine Fanvertreter. Sie sind Repräsentanten der WM und sollten auch als solche betrachtet werden.“
Zur Kritik am WM-Ausrichter Katar gehört auch das Fehlen von Fußballtradition und langjähriger Fankultur. Kein Vergleich mit Brasilien 2014 und Deutschland 2006. Das ist eine zu kurz gegriffene Kritik, denn, wie gesagt, alles fängt irgendwann einmal an. Mit Fankultur zu beginnen, sie zu fördern, neu zu entwickeln, sich etwas woanders abschauen – all das ist völlig okay. Aber käuflich ist sie nicht.
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“Auswärtsspiel” ist die Kolumne des “ballesterer” für ZackZack.
Nicole Selmer ist stellvertretende Chefredakteurin des Fußballmagazins “ballesterer”, dessen WM-Ausgabe ab 4. November im Handel ist. Sie wird das Turnier in Katar verfolgen.
Titelbild: Montage ZackZack/Wiener Sportclub