Die WM in Katar ist die erste, die im Spätherbst stattfindet. ballesterer-Redakteur Tobias Fries hat sich in Wiener Beisln und auf den Christkindlmärkten auf die Suche nach der WM-Euphorie gemacht.
Tobias Fries
Wien, 03. Dezember 2022 | Public Viewing mit Glühwein und Punsch statt Bratwurst und Bier? Dieses Bild zeichneten Fans und Medien, als die FIFA im Jahr 2015 die WM in Katar in den europäischen Spätherbst verschob. Auf den Christkindlmärkten in Wien sieht es anders aus. Kein Fußball – weder für die Touristen am Rathausplatz, die Kunstliebenden am Maria-Theresien-Platz zwischen den Museen, noch für die Studierenden am Campus der Universität Wien.
Nur der Weihnachtsmarkt am Spittelberg kommt mit einem zarten Hauch von WM-Feeling daher. In einem Lokal schaut ein Fan an seinem Tablet Australien gegen Dänemark, ein Punschverkäufer vertreibt sich die Zeit mit Tunesien gegen Frankreich. Sonst bekommt hier niemand mit, wie der Underdog den Weltmeister überrumpelt. Stattdessen prangt an den Ausgängen des Adventsmarkts ein politisches Statement: die viel diskutierte und von der FIFA letztlich nicht zugelassene „One Love“-Schleife. Michael Schmid vom Kulturverein Forum Spittelberg sagt: „Das ist unsere Haltung. Als die Diskussion um die Binde aufgekommen ist, wollten wir ein Zeichen setzen.“ Public Viewing sei am Spittelberg nie geplant gewesen. „Wer stellt sich schon 90 Minuten mit seinem Häferl in die Kälte, nur um die WM zu sehen?“, sagt Schmid.
Wenig Zulauf
Dafür laufen die Spiele in einigen Lokalen. Das Plutzer Bräu hat sogar einen eigenen Fußballraum für die WM-Begeisterten eingerichtet, zu den Nachmittagspartien haben sich aber nur ein paar wenige eingefunden. Das Interesse sei nicht sehr groß, solange nicht Spanien gegen Deutschland spiele, sagt ein Mitarbeiter. Auch im Gürtellokal Chelsea, das für seine Fußballübertragungen bekannt ist, berichtet man von verhältnismäßig wenigen Gästen, die zu den WM-Spielen kommen. Und ein Mitarbeiter der Stiegl-Ambulanz am Campus im Alten AKH sagt: „Bei uns fällt das genau mit dem Weihnachtsgeschäft zusammen. Uns ist das egal, wir sind sowieso voll. Für die WM ist es halt blöd.“
Das Turnier in Katar scheint die Fans nicht zu begeistern. Anstatt bei einem Punsch am Christkindlmarkt mitzufiebern, schauen sie höchstens daheim im Wohnzimmer. Wer durch Wien spaziert, könnte glatt vergessen, dass gerade das größte Sportevent der Welt stattfindet. Prater, WUK, Ottakringer Brauerei – wo sich bei den Europameisterschaften 2021 und 2022 noch die Fans getummelt haben, herrscht jetzt Stille in der Nacht.
—
Auswärtsspiel ist die Kolumne des ballesterer für ZackZack.
Tobias Fries ist Redakteur des Fußballmagazins ballesterer, dessen WM-Ausgabe seit 4. November im Handel ist.
Titelbild: Montage ZackZack/Wiener Sportclub