Sonntag, Dezember 8, 2024

Von Kinderrechten und Argusaugen – Skylla & Charybdis

Skylla & Charybdis

Es muss leider sein, wenn der Skandalreigen sich immer schneller dreht. Das nächste voll integrierte Kind, das nichts anderes kennt als Österreich, muss das Bauernopfer übernehmen und mit voller Härte des Gesetzes, die höherstehenden Subjekten nie zu Teil wird, abgeschoben werden.

Julya Rabinowich

12. November 2022 | Der Zustand der Regierung bewegt sich stabil irgendwo zwischen Halbzerfall und beschwingtem Weitermachen, ein Status, über den jeder Zombie glücklich wäre. An das Zombiehafte hat man sich schon ein wenig gewöhnt. Es tut weh, dabei zusehen zu müssen, aber manchmal stumpft man ab. Man gewöhnt sich an das Edge-Running zwischen Fremdscham und müden Zorn.

Ungemütlicher für die Regierung wird es aber, wenn der Skandalreigen sich besonders schwungvoll dreht. Zum Beispiel bei der Veröffentlichung der nächsten abgründigen Chats, in denen die Republik aufgeteilt wurde wie das Fell eines noch nicht erlegten Bären. Oder bei den Summen, die durch COFAG schwungvoll an Swingerclubs ausgezahlt worden sind, statt an krachende Betriebe. Wenn der erste Nationalratspräsident in den Umfragen als abgerissene Abrissbirne auf den tiefsten Wert donnert und bei der Negativbewertung sogar Herbert Kickl überholt.

Wenn die niederösterreichsche Volkspartei derartig hohe Verluste erwartet, dass die Landesmutter in einer aufsehenerregenden Aktion, die die Aussetzung von Baby Moses im Körbchen am Fluss bei weitem harmlos erscheinen lässt, das türkise Kind weglegt und sich fortan nur noch Niederösterreich-Partei nennt.  Wenn alles Tragische, gerade Aufgezählte genug Wellen zu schlagen hat, dann muss meist etwas her, das KritikerInnen und das potentielle Wahlvolk noch mehr vom Hocker reißt und erstere beschäftigt hält sowie zweitere beruhigt. Da führt dann leider, leider kein Weg daran vorbei. Es muss einfach sein.

Das nächste voll integrierte Kind, das nichts anderes kennt als Österreich, muss halt das Bauernopfer übernehmen und mit voller Härte des Gesetzes, die höherstehenden Subjekten nie zu Teil wird, abgeschoben werden. Das Kind hat ein Leben, das sich im Österreich abspielt, der Bub ist Pfandfinder, Klassenbester und kennt nichts anderes als Österreich, dieses Land und Deutsch als Sprache. Aber. Der Innenminister hat eigentlich schon mit den Zelten danebengehauen und muss das kaschieren und seine Partei dabei unterstützen, Stimmen von der FPÖ zu lukrieren. Pech gehabt.

Allerdings: der Fall Tina hat mit all seinem unnötig verbrochenen Leid, mit dem neu gesetzten Trauma nicht gehalten, was er Hardlinern versprach. Tina ist wieder da. Dass sie und ihre Familie leiden mussten, weil es dem jetzigen Kanzler gerade opportun erschien – Schwamm drüber. Als Kanzler muss er allerdings nahbarer sein, menschlicher. Offenbar hat sich die Maschinerie, die sich bereits in Gang gesetzt hatte noch während der Schubhaft- die für den Siebenjährigen bestimmt eine luftig heitere Erfahrung gewesen ist- und nach der bereits für den Sonntag geplanten Abschiebung wieder eingebremst.

So, wie es jetzt aussieht, könnte nun doch das Menschenrecht des Kindes diesmal ohne langwierigen Prozess und anschließender Rückkehr schlagend werden und das Abschiebeprojekt wird abgeblasen. Vorläufig. Noch liegt ja die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit darauf. Einerseits ist es gut: wenigstens lernt irgendwer offenbar dazu. Andererseits wäre das alles ohne entsprechende Berichte und medialen Druck wohl genau so exekutiert worden wie geplant. Die schlechte Nachricht: nicht mal mit tausend Argus-Augen sieht man alle, die das betreffen kann. Keine Aufmerksamkeit, keine Wahrung der Menschenrechte. So einfach ist diese verheerende Rechnung.

Titelbild: ZackZack

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