Donnerstag, März 28, 2024

Glauben ist out – Wiener ohne Gott

Zum ersten Mal überragt die Gruppe der Menschen ohne religiösem Bekenntnis in Wien in der Statistik. 

Wien, 18. November 2022 | Österreich galt einst als ein katholisches Land. In letzter Zeit meiden jedoch immer mehr Menschen die Kirche wie der Teufel das Weihwasser. Diese Entwicklung macht sich besonders stark in Wien bemerkbar. Die Gruppe der Menschen ohne religiösem Bekenntnis hat in Wien zum ersten Mal die zahlenmäßige Anhängerschaft der katholischen Kirche überholt, wie eine aktuelle Erhebung der Statistik Austria zeigt.

Trend der Säkularisierung

Missbrauchsskandale, Homophobie, Abtreibungsverbote sind nur ein paar der Vorwürfe, mit denen die Kirche in den vergangenen Jahren für Schlagzeilen gesorgt hat. Laut den Daten der Umfrage ist die Gruppe von Katholiken in Wien mit 32 Prozent auf den zweiten Platz gerutscht, während Religions- und Konfessionslose mit 34 Prozent erstmals den ersten Platz belegen.

Die Anzahl der Menschen ohne religiöser Zugehörigkeit ist in den letzten 20 Jahren von zwölf auf über 22 Prozent gestiegen. Bei der katholischen Kirche kommt hinzu, dass der verpflichtende jährliche Kirchenbeitrag keinen Anreiz schafft, um weiterhin ein Mitglied zu bleiben.

Ähnliche Entwicklung in anderen Bundesländern

Die restlichen Bundesländer verzeichnen zwar ebenfalls eine Zunahme an Religions- und Konfessionslosen, allerdings kann sich dort die Vormachtstellung der Katholiken noch besser aufrecht erhalten. Der kleinste Anteil an Menschen ohne religiösem Bekenntnis sind mit 16,5 Prozent in Kärnten zu finden. Die meisten Katholiken befinden sich mit beinahe einer Zweidrittelmehrheit von 66,2 Prozent im „heiligen Land“ Tirol.

Dennoch lässt sich weiterhin eine starke Zunahme an Ausstiegen aus der katholischen Kirche in ganz Österreich verzeichnen. Während 2020 die Anzahl der Austritte aus der katholischen Kirche noch 58.727 betrug, waren es 2021 mit 72.055 deutlich mehr.

Steigenden Anzahl Orthodoxe und Muslime

Zeitgleich gibt es bei den Muslimen und Orthodoxen eine gegenteilige Entwicklung wie die Daten der Statistik zeigen. Vor zwanzig Jahren machten die Anhänger des islamischen Religionsbekenntnisses noch rund zwei Prozent aus, vergangenes Jahr waren es schon über acht Prozent.

Die ersten offiziell erhobenen Zahlen von Orthodoxen in Österreich gab es 2001. Mittlerweile sind sie von etwa zwei Prozent auf beinahe fünf gestiegen. Beide Religionsgemeinschaften, Muslime und Orthodoxe, finden die meisten Anhänger in der Bundeshauptstadt.

(nw)

Titelbild: ZackZack /Christopher Glanzl

Nura Wagner
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53 Kommentare

  1. Es gibt ca 3tsd Glaubensgemeinschaften. Und jede behauptet von sich die richtige zu sein. Sekten sonst nichts geführt von Macht- und Geld gierigen Sekten Führer

  2. 66,2 % Katholen in Tirol und nur 34,7 % haben die ÖVP bei der letzten Landtagswahl gewählt. Fast jeder zweite Taufscheinkatholik hat die ÖVP bereits gemieden – ein Donnergrollen und ein göttliches Zeichen!

  3. spiritualität ist das eine – religion das andere. 1982 kriegt meine mama den blauen brief, weil die tochter in religion auf 5 steht. fährt in die sprechstunde: was ist da los? (priester): ihre tochter zeichnet sich durch UNQUALIFIZIERTE fragen aus. M: da wird sich der onkel pepi in der gruft umdrehn! P: wer is des M: der war augustiner und der berater vom kardinal könig bez. ökomene…. worauf die tochter einen 2er in religion bekommt. M stimmt dem religionsunterricht austritt der tochter zu. die jahre vergehn: ich wiederhole (freiwillig) die 4. klasse. 38 schüler. sollen wir wieder diesen pfarrer bekommen. ergo? alle 38 haben die austrittserklärung unterschrieben (hehe). der direx stürmt fuchtelnd mit diesen 38 zettln in unsere klasse – schreit total cholerisch – was MIR da wieder eingfalln ist… ich erklär die gschicht aus dem 82er jahr – er rudert zurück und potzblitz haben wir einen anderen lehrer bekommen. warum nicht auch in BWL oder Mathe?

    • Der dechant konnte gut predigen (dass er strafversetzt war, weil er sich an buben herangemacht hatte, wussten die wenigsten). Die tochter meiner mutter fand gefallen an den predgten.
      Volksschule, montag, 1. stunde reli, dechant fragt: was habe ich gestern gepredigt?
      1 arm schießt in die höhe (der der tochter meiner mutter), wird aber beharrlich niemals gefragt. Die anderen dösen vor sich hin. Die tochter meiner mutter bekam einen 2er in betragen, warum, wissen nur die götter.
      Der sohn meiner mutter durfte nicht ministrant werden, von den eltern aus.
      Am totenbett erzählte der vater seiner tochter den grund für die strafversetzung des dechants.
      Alles klar nach jahrzehnten.
      Tochter meiner mutter am tag nach mutters tod (um der mutter die schande zu ersparen) aus der kirche ausgetreten.

    • Die augen der schüler weiten sich regelmäßig, wenn man ihnen von der entstehung des weltalls erzählt.
      “Aber im reli-unterricht, schöpfungsgeschichte, kreationismus”…tja.

      • ….es macht mich 😟 und 🤬 wenn ich so was lese, zum 🤮 wird mir da.
        Andererseits gibt/gab es Menschen die das Verständnis unserer Welt enorm erweitert haben, Menschen die kaum einer kennt, Menschen ohne deren Ideen fast nichts (technisches) in der heutigen Welt existieren würde.
        Dieser war so einer:
        https://mfe.webhop.me/forschung-wissenschaft/wissenschaft/sternengeschichten-joseph-fourier/
        Ohne seine Erkenntnisse könnten wir hier nicht kommunizieren, fast nichts verstehen und wir müssten vielleicht sogar an einen “Kreator” glauben und den anbeten…. 😕

        • zur steigerung:
          ein evangelikaler pastor kommt zum elternsprechtag und beschwert sich, dass darwin gelehrt wird u überreicht d biologielehrer eine broschüre über kreationismus und fordert, ab sofort auch den kreationismus zu lehren (btw, in hessen war man da schon vor jahren erfolgreich).
          bio-lehrer zieht sich aus d affäre, indem er meint, der pastorvater könne sich an das unterrichtsministerium wenden.
          ab da war das verhältnis pastor- lehrer zerrüttet.

  4. Schmid: »Kurz wollte, dass ich der Kirche Angst mache und drohe«
    Der Kirche in den Mund gelegt:
    “….und dann liefen uns auch noch die Mitglieder weg und wir brauchten Geld und da haben wir halt auch mitgemacht was die da wollte….” Ja, so könnte es gewesen sein. Eine Institution am Weg in die neue Realität. Nix ist fix in dieser Zeitreise…

  5. Das Dilemma der Gläubigen
    Wenigstens die Spirituelle Energie sollte frei erhältlich sein!
    Die galoppierende Inflation treibt viele Gläubige in ein Dilemma.
    Kirche oder ORF?

  6. Ich würde meinen, dass der Titel des Kommentars eine grobe Unschärfe enthält. Man sollte nicht Glauben mit dem Verein Kirche verwechseln…
    Es muss auch hier heller werden!

    • Keine Philosophie hat das moderne Denken so geprägt wie die des Genies Immanuel Kant. Selbiger der lange auf dem katholischen Index der verbotenen Bücher stand, betrieb Vernunftkritik um der Ausrichtung des Menschen auf das Unbedingte willen. Das prägt auch sein Verständnis von Religion, vom Verhältnis von Vernunft und Offenbarung.
      Kant gilt weiten Kreisen als Erkenntnistheoretiker, der die Möglichkeit der Metaphysik bestreitet, als Verfechter einer autonomen Moral, die keine Religion voraussetzt – zusätzlich noch als distanzierter Betrachter des Offenbarungsglaubens und als Kritiker der kirchlichen Praxis. Diese in der Öffentlichkeit verbreiteten Meinungen stützen sich jedoch auf isolierte, oberflächlich oder sogar falsch erfasste Zitate. Sie führen zu Fehleinschätzungen der tieferen Intentionen Kants. Kant war vielmehr ein von metaphysischen Fragen Getriebener. Da er die Vernunft „mit der rastlosen Bestrebung heimgesucht“ sah, Metaphysik als Wissenschaft zu begründen haben Leser, denen Sinn für metaphysische Fragen fehlt, keinen Zugang zu Kants kritischem Denken. Und Kants praktische Philosophie bleibt unverstanden, solange Lesern der Sinn für die unbedingte Geltung des moralischen Gesetzes fehlt, für „das einzige Factum der reinen Vernunft“. Gegen alle Versuche, die unbedingte Geltung des moralischen Gesetzes abzuschwächen oder aufzulösen, steht Kants Wort, die Heiligkeit des Willens diene uns als Urbild, „welchem sich ins Unendliche zu nähern das einzige ist, was allen endlichen vernünftigen Wesen zusteht“. Dieses Wort ist der reinste und tiefste Ausdruck der Intention der Philosophie Kants.
      Dass Kants Philosophie in Verkehrung ihrer Intention von naturalistischen Metaphysikgegnern und Fatalisten usurpiert wird, ist nur die eine traurige Seite heutiger verfehlter Kant-Rezeption. Die andere besteht in der entgegengesetzten Verkennung der Motive der kritischen Philosophie. Auch hier sieht man Kants Ziel nicht in der Rettung, sondern in der Zerstörung der Metaphysik. Die Supranaturalisten suchen Beruhigung bei sicheren Wahrheiten und mühen sich, die dogmatische Metaphysik antikritisch zu erneuern. Denn sie fürchten, Kants Denken führe in Subjektivismus und Skeptizismus. Dabei hätten sie schon bei Augustinus lesen können, dass Gott nicht gefunden hat, wer meint, ihn erfasst zu haben : „de deo loquimur; quid mirum, si non comprehendis; si enim comprehendis, non est deus“. Weder für die faktische Ungewissheit menschlicher Existenz noch für die unfassbare Größe Gottes haben solche Spiritualisten Sinn. Ihre Gier nach dogmatischer Sicherheit lässt sie übersehen, mit welch nüchternem Enthusiasmus Kant einen Weg gesucht und gefunden hat, auf dem absolut Unbedingtes ohne Widerspruch gedacht und in Übereinstimmung mit den Einsichten der Vernunft geglaubt werden kann. Beide Auslegungen der kritischen Philosophie Kants sind üble Karikaturen. Sie markieren die seltsam unphilosophische Art einer coincidentia oppositorum: nämlich die versteckte Einigkeit der Materialisten und der Spiritualisten, trotz dogmatischer Widersprüchlichkeit ihrer Thesen. Auf den Geist der Philosophie Kants können sich die falschen Befürworter ebenso wenig wie ihre unverständigen Gegner berufen. Denn was Kant zum Denken trieb und was er auf dem langen Weg seines Denkens fand, ist von solcher Klarheit und Eindeutigkeit, dass jedem gründlichen und offenen Leser alsbald klar wird, wie sehr Metaphysik und Religionsphilosophie im Zentrum der kritischen Philosophie stehen – und wie sehr Kant zudem bestrebt war, den Übergang zum Offenbarungsglauben nicht zu verschütten. Zu zeigen, ob und wie im Anschluss an die philosophische Religionslehre der Weg zum Offenbarungsglauben beschritten werden kann, ohne dass die Vernunft Schaden leidet, ist jedoch die Aufgabe der Theologen des Offenbarungsglaubens, für dessen Bereich die bloße Vernunft nicht zuständig ist.
      Früh haben Katholiken Kants Philosophie studiert und geschätzt. Einer von ihnen, Matern Reuß, Würzburger Benediktiner und Professor für Philosophie, der Kant 1792 in Königsberg besucht hat, wirft in seinem Brief an Kant vom 21. April 1797 ein Schlaglicht auf die Situation. Er beginnt mit folgender Bemerkung: „Es kan Ihnen nicht gleichgültig seyn, zu erfahren, dass ihre Grundsätze auf dem Boden des kathol. Teutschlandes immer festeren Fuß setzen.“ Der katholische Frühkantianismus hatte allerdings auch Gegner. Denn manche Katholiken – wie manche Protestanten – fürchteten die destruktive Kraft der kritischen Philosophie und meinten, sie führe zum Skeptizismus. Diese Tendenz setzte sich bei katholischen Theologen fast allgemein durch, nachdem die Kritik der reinen Vernunft mit Dekret vom 11. Juli 1827 auf den Index der verbotenen Bücher geraten war. Obwohl es weiterhin verständige katholische Leser der Werke Kants gab, waren sie für Katholiken nun gleichsam geächtet. Zudem geriet Kant auch in die Mühlen der „Kontroverstheologie“ und wurde gelegentlich als „Philosoph des Protestantismus“ konfessionell vereinnahmt (einmal wurde er aber auch als „Philosoph des Katholizismus“ bezeichnet). In katholischen Lehrbüchern wurden ihm Thesen unterschoben, die er selbst bekämpft hat – und Katholiken hatten Leseverbot! Eine Wende in dieser Lage, die keine übergroße Wahrheitsliebe bezeugt, brachte der von Johannes Baptist Lotz 1955 herausgegebene Band: Kant und die Scholastik heute. Danach hat eine Reihe katholischer Gelehrter die Kantforschung befördert und an der Klarstellung des metaphysischen Charakters der Philosophie Kants mitgewirkt. Kants Kritik richtet sich gegen den Stolz der Schulen, gegen das, was er „Dogmatismus“ nennt. Der Verlust, den die Kritik herbeiführt, „betrifft nur das Monopol der Schulen, keineswegs das Interesse der Menschen“. Die „Hoffnung eines künftigen Lebens“, „das Bewusstsein der Freiheit“ und „den Glauben an einen weisen und großen Welturheber“ sieht Kant durch die Kritik nicht beschädigt – vielmehr hat die Kritik zur Folge, „dass die Schulen nunmehr belehrt werden, sich keine höhere und ausgebreitetere Einsicht in einem Punkte anzumaßen, der die allgemeine menschliche Angelegenheit betrifft, als diejenige ist, zu der die große (für uns achtungswürdigste) Menge auch eben so leicht gelangen kann“ . Was Kant als „allgemeine menschliche Angelegenheit“ bezeichnet, ist „das praktische Interesse der reinen Vernunft“, in dem wir es mit zwei Fragen zu tun haben, „nämlich: ist ein Gott? ist ein künftiges Leben?“. Antwort findet Kant durch die Bearbeitung der drei berühmten Fragen, in denen sich alles „Interesse meiner Vernunft (das speculative sowohl, als das praktische) vereinigt“. Sie laute): „1. Was kann ich wissen? 2. Was soll ich tun? 3. Was darf ich hoffen?“ In der Logik fügt Kant eine vierte Frage hinzu, nämlich: „Was ist der Mensch?“ Dazu erklärt er: „Die erste Frage beantwortet die Metaphysik, die zweite die Moral, die dritte die Religion, und die vierte die Anthropologie. Im Grunde könnte man aber alles dieses zur Anthropologie rechnen, weil sich die drei ersten Fragen auf die letzte beziehen.“
      Es geht Kant jedoch nicht um die Verwandlung von Metaphysik, Moral und Religion in Anthropologie, wie man sie später bei Ludwig Feuerbach finden kann. Vielmehr ist es von Anfang an das Unbedingte, das Kants Denken sowohl in der theoretischen und der praktischen Philosophie als auch in der philosophischen Religionslehre antreibt. Das Unbedingte, um das es Kant geht, wird konkret gefasst unter den Titeln Gott, Freiheit und Unsterblichkeit (Fortdauer der Existenz). Diese Themen haben für Kant höchste praktische und existenzielle Relevanz.
      1790 oder 1791 notiert Kant zur „Veranlaßung der Critik“, dass „die Theologie auf die ästhetische Critik“ führe. Denn wenn man Raum und Zeit zu Bestimmungen der Dinge an sich selbst machen wollte, müssten „sie gar zu göttlichen Eigenschaften gemacht werden“ . Demnach war es von vornherein Kants Motiv, der Theologie dazu zu verhelfen, dass sie „sich nicht selbst wiederspreche“. Das zeigt auch die Vorrede zur zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft. Dennoch verfallen flüchtige Leser der Meinung, Kant habe das Subjekt gleichsam in die Zentralposition im Ganzen des Seienden einsetzen wollen. Einer der Sätze, mit dem sich diese irrige These scheinbar begründen lässt, besagt, „dass die Vernunft nur das einsieht, was sie selbst nach ihrem Entwurfe hervorbringt“ . Dieser Satz betrifft aber nicht den Hauptzweck der Metaphysik, sondern nur die Diagnose des Wegs, auf dem Naturforschung Wissenschaft wurde. Ohne Hypothesen, die von der Vernunft entworfen wurden, haben wir keine Chance, wissenschaftliche Erkenntnisse zu erlangen.
      Sofern Unbedingtes (Gott, Freiheit, Unsterblichkeit) nicht als Erkenntnis gedacht werden kann, die auf Entwürfen gründet, scheint alles Unbedingte zunächst ein haltloses Hirngespinst zu sein. Gegen die These, die Annahmen von Unbedingtem seien Träume eines Geistersehers (so der Titel eines vorkritischen, zum Skeptizismus neigenden Werks), zielt Kant schon in der Analytik der Kritik der reinen Vernunft, in der es um die Möglichkeit der objektiven Erkenntnis geht. Laut Kant sind „zwei Stämme der menschlichen Erkenntniss“ vorauszusetzen: „Sinnlichkeit und Verstand“ , wobei der Verstand die Natur zu antworten nötigt – wie ein Richter die Zeugen. Objektive Erkenntnis entspringt demnach „aus zwei Grundquellen des Gemüths“: der „Receptivität der Eindrücke“ und der „Spontaneität der Begriffe“. Nicht erkennen lässt sich auf diese Weise Unbedingtes. Dennoch sind in der Erklärung der Möglichkeit objektiver Erkenntnis Voraussetzungen gemacht, die zwar gedacht werden müssen, aber selbst nicht erkannt werden können. Gewiss müssen wir die unableitbare Gegebenheit des Sinnenmaterials voraussetzen, das bekanntlich einfach da ist. Ebenso gewiss müssen wir aber auch das Dasein eines spontan denkenden Ich voraussetzen, das in seiner Spontaneität nicht sinnlich gegeben sein kann und folglich als solches nicht objektiv erkannt werden kann.
      Um Unbedingtes auch nur denken zu können, muss es aus dem Bereich des objektiv Erkennbaren herausgehalten werden. Das leistet die vielgescholtene Kritik der Gottesbeweise und der dogmatischen Metaphysik. Sie weist den Weg, auf dem wir das Dasein Gottes, die Freiheit des Willens, die Existenz von Personen über ihren Tod hinaus im Einklang mit der Vernunft glauben können. Weit entfernt davon, den „Glaubenswahrheiten“ schaden zu wollen, sagt Kant: „Ich musste also das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu bekommen.“ Wer nicht das Feuer der Frage nach Unbedingtem in sich trägt, könnte kalten Herzens fragen, warum wir Unbedingtes suchen, obwohl wir doch einsehen, dass es nicht objektiv erkennbar ist. Wer meint, in dieser Weise der Frage nach dem Unbedingten entweichen zu können, wird von Kant belehrt, dass die Natur der Vernunft selbst uns zur Frage nach dem Unbedingten treibt. Denn die Vernunft lässt uns immer weiter nach Bedingungen zum gegebenen Bedingten fragen. Nehmen wir zum Beispiel die beiden Urteile, dass Sokrates ein Mensch und dass er sterblich ist. Diese Urteile könnten zufälligerweise wahr sein (so wie das weitere Urteil, dass er Athener war). Die Vernunft treibt uns aber, notwendige Verknüpfungen zu suchen, hier also die Verknüpfung von Menschsein und Sterblichsein. Wir denken sie in dem Urteil: „Alle Menschen sind sterblich.“ Zum Bedingten finden (erfinden) wir also eine Bedingung. Laut Kant ist es „der eigenthümliche Grundsatz der Vernunft überhaupt: zu dem bedingten Erkenntnisse des Verstandes das Unbedingte zu finden, womit die Einheit desselben vollendet wird“ .
      Die Idee, in der wir die höchste Bedingung denken, bezeichnet Kant als „transzendentales Ideal“. In ihm entwerfen wir den Gedanken einer Wirklichkeit, aus der alles Bedingte abgeleitet werden kann. Wir denken es so, als ob alles Bedingte aus ihm hervorgegangen sei. Da es bloße Idee bleibt, kommen wir, indem wir die Idee des Ideals entwerfen, höchstens in die Lage, Unbedingtes ein wenig zu berühren. Das Ergebnis der theoretischen Philosophie im Blick auf ihren Hauptzweck ist also das Problem des Unbedingten: eine notwendige, theoretisch aber unlösbare Aufgabe. Dieses Ergebnis findet sich im ersten Satz der Vorrede zur ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft : „Die menschliche Vernunft hat das besondere Schicksal in einer Gattung ihrer Erkenntnisse: dass sie durch Fragen belästigt wird, die sie nicht abweisen kann, denn sie sind ihr durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben, die sie aber auch nicht beantworten kann, denn sie übersteigen alles Vermögen der menschlichen Vernunft.“
      Obwohl Kant im Ergebnis der theoretischen Philosophie nur zu einer Metaphysik der Probleme gelangt, zu einer Metaphysik notwendiger, theoretisch aber unlösbarer Aufgaben, wehrt er doch auch den Versuch einer skeptischen Befriedigung der mit sich selbst veruneinigten Vernunft ab . Kants These ähnelt dem Ergebnis, das Augustinus nach der Auseinandersetzung mit der akademischen Skepsis formuliert hatte. Die theoretische Unlösbarkeit der Aufgaben führt weder zu Gleichgültigkeit noch zu Verzweiflung, sondern zu einer sachgemäßen Offenheit für die unbedingte Wahrheit, die womöglich von anderer Seite her begegnen kann. Augustinus erkennt sich, sofern er Mensch ist, als ruheloses Herz, das seine Ruhe nur in Gott finden kann. Wie die Confessiones zeigen, fand auch er den Weg zu dieser Wahrheit über die Praxis. Die theoretische Untersuchung führt die menschliche Vernunft in eine unauflösliche Dialektik. Statt zu resignieren oder zu verzweifeln, nennt Kant diese Dialektik „die wohlthätigste Verirrung, in die die menschliche Vernunft je hat gerathen können, indem sie uns zuletzt antreibt, den Schlüssel zu suchen, aus diesem Labyrinthe herauszukommen, der, wenn er gefunden worden, noch das entdeckt, was man nicht suchte und doch bedarf, nämlich eine Aussicht in eine höhere, unveränderliche Ordnung der Dinge, in der wir schon jetzt sind“.
      In diese Ordnung geraten wir ohne unser Zutun, nicht infolge eines Entwurfs unserer Vernunft. Zwar zeigt schon die theoretische Nachprüfung, dass Freiheit nicht unmöglich ist. Jetzt aber wird „bewiesen, dass Freiheit wirklich ist; denn diese Idee offenbart sich durchs moralische Gesetz“. Das Gesetz wird in moralisch relevanten Situationen bewusst. Sein unableitbarer Grund ist, dass „die vernünftige Natur als Zweck an sich selbst“ existiert. Da es nicht nur mich als vernünftiges Wesen gibt, sondern auch die Anderen, tritt jedem Ich ein unbedingt gebietender praktischer Imperativ ins Bewusstsein: „Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“ Er gebietet kategorisch, dass ich jede Person stets auch als Zweck an sich selbst achten soll, dass ich Personen niemals bloß als Mittel für meine Zwecke brauchen darf. Dieses Gesetz gilt so unbedingt, dass es mich dazu anhalten kann, meine wirksamsten natürlichen Neigungen zu besiegen, sogar meine Liebe zum Leben.
      Falls ein Fürst jemandem unter Androhung der Todesstrafe „zumuthete, ein falsches Zeugnis wider einen ehrlichen Mann abzulegen“, so ist dieser Mensch laut Kant fähig, „so groß auch seine Liebe zum Leben sein mag, sie wohl zu überwinden“. Das Verbot falscher Beschuldigung folgt aus der Achtung der Anderen als Personen. Solche Achtung fordert, Maximen zu wählen, die „jederzeit zugleich als Princip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten“ können. Das Bewusstsein der Pflicht gegenüber Anderen ist „das einzige Factum der reinen Vernunft“; es unterwirft uns dem Gesetz, das „wir das Sittengesetz nennen“. Die „Autonomie des Willens“ fordert Achtung, die „nur auf Personen, niemals auf Sachen“ geht. Sie schränkt unsere Selbstliebe ein und passt zur Möglichkeit des biblischen Gebots: „Liebe Gott über alles und deinen Nächsten als dich selbst“. Kant nennt die „Vorschrift des Evangelii“ das Urbild, „welchem wir uns zu näheren und in einem ununterbrochenen, aber unendlichen Progressus gleich zu werden streben sollen“. Überall, wo Selbstliebe das Prinzip der Handlungen ist, findet Kant „Heteronomie der Willkür“. Auch hinter der Rede von „Liebe“ oder „Gott“ kann sich doch klug kalkulierende Selbstliebe verbergen. Moralische Qualität haben nur Handlungen, die aus reiner Pflichterfüllung, aus reinem Wohlwollen, aus reiner Liebe geschehen. So versteht sich auch Kants Verteidigung der christlichen Moral gegenüber den „Ideen der Cyniker, der Epikureer, der Stoiker“, die allesamt den „bloßen Gebrauch der natürlichen Kräfte dazu hinreichend fanden“.
      Da Kant den Gebrauch natürlicher Kräfte nicht hinreichend findet, sieht er uns mit der Moral in das „Reich der Gnaden“ (civitas Dei) versetzt, dessen Ort zwischen dem „Reich der Natur“ und dem „Himmelreich“ zu denken ist. Was uns treibt, die Wirklichkeit des Unbedingten anzunehmen, ist das Bewusstsein des moralischen Gesetzes. Das Unbedingte tritt nicht als entworfene Idee unter der Maßgabe des natürlichen Willens auf, der wissen will, was die Welt im Innersten zusammenhält. Denn dort steige ich gerade „so hoch in der Reihe der Gründe, wie ich will“. In der Situation eines „reinen Vernunftwillens“ zeigt sich dagegen, dass er „hier nicht wählt, sondern einem unnachlaßlichen Vernunftgebote gehorcht“. Schon im Rahmen der praktischen Philosophie beginnt der Übergang zur Religion, die Kant als „Erkenntniß aller Pflichten als göttlicher Gebote“ denkt. Einige Stufen von Kants Weg zur Religion sollen abschließend betrachtet werden.
      Kant lässt die Vorrede zur ersten Auflage der Religionsschrift mit folgendem Hinweis beginnen: „Die Moral, so fern sie auf dem Begriffe des Menschen als eines freien, eben darum aber auch sich selbst durch seine Vernunft an unbedingte Gesetze bindenden Wesens gegründet ist, bedarf weder der Idee eines anderen Wesens über ihm, um seine Pflicht zu erkennen, noch einer anderen Triebfeder als des Gesetzes selbst, um sie zu beachten.“ Dass diese Stelle nicht als Affront gegen Gott als Gesetzgeber des moralischen Gesetzes gemeint ist, zeigt schon Kants Bestimmung der Religion als „Erkenntniß aller Pflichten als göttlicher Gebote“. Wer die Moral aus dem Willen eines Allmächtigen ableitet, vernichtet die Möglichkeit menschlicher Freiheit, da die Befolgung dann aus Klugheit und Furcht geschähe, die Zuwiderhandlung aber nichts wäre als übergroße Dummheit. In analogem Zusammenhang sagt Kant: „Das Verhalten der Menschen würde also in einen bloßen Mechanismus verwandelt werden, wo wie im Marionettenspiel alles gut gesticuliren, aber in den Figuren doch kein Leben anzutreffen sein würde.“ Einfach gesagt: Was wir sollen, sollen wir aus Achtung und Liebe für die Anderen tun, nicht um Gott zu gefallen. Handeln wir aber wir aus Achtung und reiner Liebe, könnten wir das Gefallen Gottes finden, sofern wir uns dem „Ideal einer Gott wohlgefälligen Menschheit“ nähern. Ein dialektisches Zusammenspiel von menschlicher Freiheit und göttlicher Gnade wird so möglich; unmöglich wäre eine Rechtfertigung allein aus Gnade.
      Obwohl Moral keine Religion voraussetzt, führt sie „unumgänglich zur Religion“, nämlich aus einem Bedürfnis der reinen praktischen Vernunft: „Diesem Bedürfnisse der praktischen Vernunft gemäß ist nun der allgemeine wahre Religionsglaube der Glaube an Gott 1) als den allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erden, d.i. moralisch als heiligen Gesetzgeber, 2) an ihn, den Erhalter des menschlichen Geschlechts, als gütigen Regierer und moralischen Versorger desselben, 3) an ihn, den Verwalter seiner eignen heiligen Gesetze, d.i. als gerechten Richter.“ Kant sieht in diesem Glauben „eigentlich kein Geheimniß“. Seine restringierte Auslegung des Offenbarungsglaubens bedarf aber insofern keiner Kritik, als ein Vernunftglaube, der ausdrücklich „innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ entfaltet wird, kein übernatürliches Geheimnis enthalten kann. Der Vernunftglaube folgt den Maßgaben der philosophischen Reflexion. Kant bestreitet aber nicht die Möglichkeit eines weitergehenden Glaubens, nennt für ihn allerdings einige Kriterien. Sogar dem Wort von der Philosophie als ancilla theologiae hat Kant zugestimmt: „Auch kann man allenfalls der theologischen Facultät den stolzen Anspruch, dass die philosophische ihre Magd sei, einräumen (wobei doch noch immer die Frage bleibt: ob diese ihrer gnädigen Frau die Fackel vorträgt oder die Schleppe nachträgt), wenn man sie nur nicht verjagt, oder ihr den Mund zubindet.“
      Das Verhältnis des Vernunftglaubens zum Offenbarungsglauben hat Kant im Bild zweier konzentrischer Kreise erläutert. Indem die philosophische Religionslehre den inneren Kreis ausfüllt, ist der Theologie des Offenbarungsglaubens Platz gelassen, den äußeren auszufüllen. Kant sagt: „Da Offenbarung doch auch reine Vernunftreligion in sich wenigstens begreifen kann, aber nicht umgekehrt diese das Historische der ersteren, so werde ich jene als eine weitere Sphäre des Glaubens, welche die letztere als eine engere in sich beschließt, (nicht als zwei außer einander befindliche, sondern als concentrische Kreise) betrachten können, innerhalb deren letzterem der Philosoph sich als reiner Vernunftlehrer (aus bloßen Principien a priori) halten, hiebei also von aller Erfahrung abstrahiren muß.“ In dieser Situation hätten Theologen des Offenbarungsglaubens über das Wesen des Geschichtlichen nachzudenken, zu fragen, wie es mit dem Verhältnis des Absoluten zur Geschichte steht. Denn das Eingehen auf die konkrete Geschichte überschreitet die Grenzen der bloßen Vernunft. Hier hat die Theologie der Offenbarung ihr fruchtbares Feld, das sie auch beackern sollte.
      Kant bietet nicht nur praeambula fidei für die Theologie, sondern auch für das geistliche Leben. So lässt er – trotz mancher Vorbehalte, die er gegen das Beten hegt – die Dialektik der Kritik der praktischen Vernunft mit einem Text enden, in dem er zur Verehrungswürdigkeit der ewigen Weisheit spricht, einem Text, der dem „Geist des Gebetes“ entspricht. Kant sagt: „Also möchte es auch hier wohl damit seine Richtigkeit haben, was uns das Studium der Natur und des Menschen sonst hinreichend lehrt, dass die unerforschliche Weisheit, durch die wir existiren, nicht minder verehrungswürdig ist in dem, was sie uns versagte, als in dem, was sie uns zu theil werden ließ.“ In diesem Sinn bedeutet der Gottesgedanke „Gegenwart und Anbetung (inigste Bewunderung)“ (Opus Postumum)
      Als transzendent – vernunftbegabte Wesen sind wir geradezu gezwungen, uns mit Themen wie Ethik, Moral, Glaube und Religion kritisch auseinanderzusetzen, wenn ich Kant im Ansatz verstanden habe. Widrigenfalls einer Entmenschlichung Tür und Tor geöffnet wäre – ich muss enden, sonst würde es den Rahmen sprengen, obwohl es noch viel zu sagen gäbe…

      Es muss immer heller werden!

      • für euch kantversteher – hier ein link zu einem der werke meines grossonkels. https://www.booklooker.de/B%C3%BCcher/Franz-Wolfgang-Garbeis+Das-Problem-des-Bewusstseins-in-der-Philosophie-Kants/id/A02nn1WD01ZZX
        von dem hab ich kistenweise vorlesungsunterlagen und sonstigen blablabla das ist eine reine männergschicht, in der das bewusstsein gegenüber der weiber gleich null ist UND dieses zerebrale ornanieren schön langsam zum höhepunkt kommen könnte höhö jedoch, wenn die sonne am intellektuellen horizont niedrig steht – schaffens auch kleine dicke lange dünne schatten zu werfen hihi gott ist tot oder gestern sah ich gott und SIE war schwarz, jung und lustig… und nochwas: über junge menschen hab ich in diesen unterlagen auch nix gfunden – ich werds nochmls durchforsten… jesus hatte auch jünger und nicht älter

        • Liebe DieHausfrau, zur Ehrenrettung von Kant sei kurz erwähnt.

          Die Frauen haben keine bestimmende oder auch nur bedeutende Rolle im Leben Kants gespielt, geschweige denn, dass sie sein Schaffen befruchtet hätten, wie es bei anderen großen Menschen seines Zeitalters: bei Goethe, Schiller, Herder, und von Philosophen bis zu einem gewissen Grade doch auch bei Fichte und Schelling der Fall war. Er ist Junggeselle geblieben wie Plato und Leibniz, Descartes und Hobbes, Locke und Hume. Aber er ist anderseits doch kein ausgewiesener Feind des weiblichen Geschlechtes gewesen, wie Schopenhauer, oder vollkommen gleichgültig dagegen, wie Winckelmann. Er beschäftigt sich in seinen populären Schriften, besonders den anthropologischen Vorlesungen und den Entwürfen dazu, sogar recht häufig mit “dem Frauenzimmer”.

          Das schöne Verhältnis zwischen ihm und seiner Mutter vergaß er nie. Zu den Schwestern bestanden keine näheren Beziehungen. Sie wurden, wie es noch heute öfters in ärmeren Familien der Fall ist damit die Brüder studieren konnten, hintangesetzt, mussten sich als Dienstmädchen verdingen und haben später Handwerker geheiratet. Dass er während seiner Studienzeit Liebesaffären nachgegangen, ist bei seinem Temperament, seinen Neigungen und seiner finanziellen Dürftigkeit wohl völlig ausgeschlossen. Einen gewissen Ton uns heute etwas altfränkisch anmutender Galanterie allerdings hat er sich wohl schon auf der Universität angewöhnt, von der er noch später rühmte, dass sie dem jungen Manne “Schliff” verleihe. So schreibt er, gelegentlich einer leichten Polemik gegen die gelehrte Marquise von Chastelet in seiner Erstlingsschrift: “Die Anmerkung, die ich hier mache, würde gegen eine jede andere Person ihres Geschlechtes das Ansehen eines ungesitteten Betragens und einer gewissen Aufführung, die man pedantisch nennt, an sich haben; allein der Vorzug des Verstandes und der Wissenschaft an derjenigen Person, von der ich rede, der sie über alle übrige ihres Geschlechtes und auch über einen großen Teil des andern hinweg setzet, beraubet sie zugleich desjenigen, was das eigentliche Vorrecht des schönen Teiles der Menschen ist, nämlich der Schmeichelei und der Lobsprüche, die dieselbe zum Grunde haben”. Aus seinen Hauslehrerjahren in Judtschen und Gr. Amsdorf wissen wir nichts. Anders wäre es, wenn die Nachrichten über seine dritte Hauslehrerstelle bei der Gräfin Keyserling zu Rautenburg eine festere Grundlage hätten. Denn es existiert in der Tat eine von der Gräfin hergestellte, ansprechende Kreidezeichnung unseres Philosophen, die ihn so jugendlich wie sonst kein “Büd”, d. h. etwa dreißigjährig, darstellt, während sie selbst damals (um 1753/54) 24—25 Jahre zählte. Und sie, die mit 25 Jahren ein philosophisches Werk Gottscheds ins Französische übersetzte, könnte zu diesen Studien durch ihren philosophischen Hauslehrer angeregt worden sein. Doch das beruht alles auf bloßen Vermutungen. Ebenso lassen sich aus dem “Verschen”, das er am 16. Juli 1757 einem unbekannten Freunde ins Stammbuch schrieb:

          Großen Herren und schönen Frauen
          Soll man wohl dienen, doch wenig trauen

          keine anderen Schlüsse ziehen, als dass er jedenfalls kein ausgewiesener Feind des weiblichen Geschlechts gewesen ist.

          Etwas festeren Boden betreten wir erst mit den 60er Jahren. Und zwar aus seinem bekannten, mehr als fünf Druckseiten zählenden Briefe vom 10. August 1763 an eine der “gnädigen Dames aus dem von mir äußerst verehrten Schulkeimschen Hause”, denen er durch Borowski das Trostschreiben an Frau von Funk hatte zugehen lassen, und der er nun auf ihren Wunsch einen ausführlichen Bericht über die angeblichen Geistererscheinungen Swedenborgs übersandte. Das 23 jährige Fräulein Charlotte von Knobloch lässt sich auch nur auf seine liebenswürdige Galanterie gegen Damen überhaupt schließen: wenn er von “der Ehre und dem Vergnügen” spricht, “dem Befehl einer Dame” nachzukommen, “die die Zierde ihres Geschlechts ist”, durch die Abstattung eines Berichts, der freilich “von ganz anderer Art” sei, “als diejenigen gewöhnlich sein müssen, denen es erlaubt sein soll, mit allen Grazien umgeben, in das Zimmer der Schönen einzudringen”. Höchstens noch darauf, dass er dem Bildungsstreben junger Damen gern entgegen kam, wie er denn der nämlichen ältesten Tochter des Generals von Knobloch auch Wielands “Erinnerungen an eine Freundin” zuschickte, wofür sie sich ihm noch nach Jahren dankbar erwies. Denn nachdem sie bereits seit acht Jahren die Gattin eines Hauptmanns von Klingspor und Mutter von vier Kindern geworden war, dankt sie in einem zwar fürchterlich unorthographischen, aber von naturwüchsigem Gefühl zeugenden Briefe (1772), in dem sie den “hochedelgeborenen, hochgelehrten Herrn Professor und werten Freund” um Besorgung eines Hofmeisters bittet, für seine “Gütige Absicht, ein Junges Frauenzimmer durch angenehmen Unterhalt zu Bilden”; obwohl “bei denen möresten Menschen eine Lange Abwesenheit die Freundschaft erkalten Läst”, sei sie “von der angenehmen gewißheit geschmeychelt, das Sie mein Freund sind: so wie Sie es ehe mahls waren”.

          Das beste Bild von Kants damaligen und im wesentlichen sich gleich gebliebenen Anschauungen über das weibliche Geschlecht gibt uns der dritte Abschnitt der ‘Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen’ (1764). Der 40 jährige Verfasser hebt hier die Unterschiede zwischen den beiden Geschlechtern sehr stark hervor, zum Teil allerdings infolge seines Themas, das den Gegensatz zwischen dem Erhabenen und Schönen in diesem Abschnitt auch auf die Charakteristik der Geschlechter anwendet. Das “Frauenzimmer” hat ein angeborenes stärkeres Gefühl für das Schöne und Zierliche, Hebt Scherz und Heiterkeit, Sittsamkeit und feinen Anstand, zieht das Schöne dem Nützlichen vor, hat einen “schönen” (wie wir einen “tiefen”) Verstand. Er macht sich etwas lustig über gelehrte Frauen, sei es, dass sie sich den Kopf mit Griechisch oder mit Mathematik und Mechanik oder mit Schlachten und Festungen oder mit abstrakten Spekulationen anfüllen. Ihre Wissenschaft ist vielmehr “der Mensch, und unter den Menschen der Mann”; ihre Weltweisheit “nicht Vernünfteln, sondern Empfinden”. Dem entsprechen auch seine, gewiss nicht ohne Einfluss von Rousseaus Emile zustande gekommenen, Ideen über Mädchenunterricht: Erweiterung des moralischen Gefühls sei für sie wichtiger als die des Gedächtnisses; das wird dann an Beispielen aus dem geschichtlichen, geographischen und Kunstunterricht erläutert. Übrigens hält unser Philosoph das weibliche Geschlecht im ganzen so hoch, dass er ihm sogar vorzugsweise diejenige Art von Sittlichkeit zuspricht, die später Schiller unter dem Begriff der Anmut oder sittlichen Schönheit im Gegensatz zur Würde verstanden hat. “Sie werden das Böse vermeiden, nicht weil es unrecht, sondern weil es häßlich ist, und tugendhafte Handlungen bedeuten bei ihnen solche, die sittlich schön sind. Nichts von Sollen, nichts von Müssen, nichts von Schuldigkeit.” Und sein Schlussurteil fasst er dahingehend zusammen: der Mann soll durch seine Neigung noch mehr veredelt, die Frau durch die ihre noch mehr verschönt werden.

          Im historischen Kontext gesehen würde man Kant heute als Frauenversteher und Frauenverehrer titulieren…

          Es muss immer heller werden!

          • Lieber Beobachter, für Kant und to whom it may concern:
            “Man erkennt einen Philosophen daran, dass er drei glänzenden und lauten Dingen aus dem Wege geht: dem Ruhme, den Fürsten und den Frauen – womit nicht gesagt ist, das sie nicht zu ihm kämen” (Nietzsche)

          • Liebe Summa summarum, wohl wahr.

            “Das Leben ist wert, gelebt zu werden, sagt die Kunst, die schönste Verführerin; das Leben ist wert, erkannt zu werden, sagt die Wissenschaft”.- auch von selbigem;

            Schade dass Nietzsche irgendwann die Grenze überschritten hat, da wäre noch viel bemerkenswertes gekommen…
            Es muss immer heller werden!

      • Wie wäre es, wenn sie diesen ausflug in die philosophie dem bundes-charly zukommen ließen, wegen der moral warads.

        • Lieber Bastelfan, ich würde meinen, dass die schwarze Borgata trivialeren und hedonistischeren Idealen verpflichtet sind. Der gelernte Soldat der Nehammer war und immer bleiben wird,,ist nicht der Moral sondern ausschließlich seiner Familie verpflichtet…
          Es muss dringend heller werden!

      • Lieber Beobachter, 👌
        “Glauben heißt nichts wissen und nichts wissen heißt dumm sein.” So in etwa bezeichne ich alle dogmatischen, von einer Kanzel herab oder durch einen selbsternannten gehirnwaschenden “Erleuchter” gepredigten Lehren. Glaube also im herkömmlichen Sinn der religiösen Anbetungsvereine, die sich via Verordnungen in den privaten Lebensbereich einmischen. Glaube jedoch spirituell ge- und erlebt, ist die direkte Verbindung zu sich selbst und damit zum Universum. Wenn diese Verbindung bewusst erlebt wird, ist man reich an Kraft, Ruhe, Liebe, Selbstsicherheit, Zufriedenheit, Freude und Glück. Meine Reisen durch Indien und Weggefährten haben mir deren Spiritualität eröffnet. Und jetzt kommt kein Witz: In Indien(!) habe ich Kant neu entdeckt….

        • Liebe Summa summarum, schön. Damit bestätigen Sie meine unlängst getätigte Aussage, dass Sie mehr Kant sind, als Ihnen selbst vielleicht bewusst ist.
          Ihre Authentizität, Kompetenz und überragende Intelligenz, begleitet von einer bewundernswerten Moral, sind die Ausflüsse Ihres Sinnierens und Verstehens dieses genialen Denkers. Sie leben Kant.

          ” Wer nicht das Feuer der Frage nach Unbedingtem in sich trägt, könnte kalten Herzens fragen, warum wir Unbedingtes suchen”…

          Es muss immer heller werden!

  7. Das bilden wir uns nur ein, dass der Wiener ohne Glauben ist und Gott out ist, also vom ‘Gfühl’ her …

  8. Ehm… wie kann man sowas sagen? Auf dieser Welt, speziell in Wien gibt es extrem viele Wahnsinnige die ernsthaft an einen unendlichen Markt und an bedrucktes Papier, welches irgend einen mystischen nicht materiellen Mehrwert hat, glauben. Was ist das denn wenn nicht Religion und Götzenanbetung?

    Das sich die Politik über alle Farben an solchen Glaubenssätzen orientiert spricht Bände.
    Wir sind tatsächlich im tiefsten Mittelalter und nicht in einem sekulären Land zuhause.

  9. Ich bin da schon 1989 ausgestiegen und nie wieder irgendwo eingestiegen. Ein wirklich schönes Gefühl frei von religiösen Dogmen zu sein.

    • Tatsache? Wann warst letztens in der Kathedrale des Marktes, sprich Bank, den Automaten anbeten, dass er dir doch heiliges Papier ausgeben möge? Ohne den Götzen des ewigen Marktgottes kann man heutzutage ja gar nix mehr, nicht mal leben. Der christliche Gott hat einem zumindest noch erlaubt im Wald Beeren zu pflücken ohne sich vorher selbst auszupeitschen.

        • Nein, muß man nicht? Was tut man dann? Sterben? Ein Gebet ist ein Ritual von dem man sich verspricht erhört zu werden. Das ist es doch was du willst wenn du zum Bankomaten gehst. Die Bank soll dich erhören und dir Götzen rausrücken damit du dir was zum Essen kaufen kannst.

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