Für das Urteil im Nizza-Terror-Prozess gab es Applaus, aber Angehörige und Opfer hoffen auf einen zweiten Prozess.
Paris/Nizza, 14. Dezember 2022 | Applaus ertönt im Gerichtssaal, als der Vorsitzende Richter 18 Jahre Haft für einen der Angeklagten im Prozess um den islamistisch motivierten Terroranschlag von Nizza mit 86 Toten verkündet. Das Gericht hat ihn am Dienstagabend in Paris wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt. Auch ein weiterer der acht Angeklagten ist dafür verurteilt worden. Alle galten als Handlanger und Unterstützer des Attentäters, sowohl moralisch als auch materiell.
Zwei bis 18 Jahre Haft
Die beiden zu 18 Jahren Haft verurteilten Angeklagten wussten laut Staatsanwaltschaft um die Gesinnung des Mannes und dass er in der Lage sei, einen Anschlag zu begehen. Auch sollen sie in die Suche nach einer Waffe eingebunden gewesen sein.
Zwölf Jahre Haft hat das Gericht über jenen Mann verhängt, der dem Attentäter die Schusswaffe besorgt hatte, die dieser beim Anschlag benutzte. Die weiteren fünf Beschuldigten in dem Prozess, die laut Urteil ebenfalls in die Beschaffung von Waffen involviert waren, sollen zwischen zwei und acht Jahre in Haft. Die Angeklagten können noch Berufung gegen die Entscheidung des Gerichts einlegen.
„Urteil, mit dem man leben kann“
Die vom Gericht verhängten Strafen wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gingen letztlich sogar über die Forderung der Staatsanwaltschaft hinaus. Die Staatsanwaltschaft hatte bereits klargestellt, dass niemand der Beschuldigten verurteilt werden könne, als sei er der Attentäter.
Für Anwältin Alexandra de Brossin de Méré, die in den Verfahren die Mütter einer der getöteten Berliner Schülerinnen sowie die der Lehrerin vertritt, ist es insgesamt ein Urteil, mit dem man leben könne, wie sie der Deutschen Presse-Agentur sagte. “Für die Zivilparteien und die Opferfamilien ist das ein schönes Signal, dass die Justiz sich mit so viel Ernsthaftigkeit damit befasst hat und getan hat, was sie tun konnte, in so einer so schwierigen Lage.”
Prozess seit September
Seit September hatte das Spezialgericht in Paris den Anschlag von Nizza aufgerollt. Auch wenn der erschossene Attentäter selbst nicht vor Gericht war, befasste sich der Prozess eingehend mit seinen Anschlagsplänen und seiner Gesinnung. Der Vorsitzende Richter Laurent Raviot sagte, der Täter habe sein Vorgehen gewählt, um Terror zu verbreiten. Er habe an einem immer vollen Ort und bei einem Fest, das die Republik und ihre Werte hochleben lasse, zugeschlagen. Der Anschlag sei auch ein nationales Trauma gewesen.
Jihadistisches Motiv
Bei dem Anschlag vor sechseinhalb Jahren war der Tunesier Mohamed Lahouaiej Bouhlel auf der Flaniermeile Promenade des Anglais in Nizza mit einem tonnenschweren Lastwagen in eine Menschenmenge gerast. Er schoss auch auf Menschen. Letztlich gab es 86 Todesopfer, darunter zwei Schülerinnen und eine Lehrerin aus Berlin. Mehr als 200 Menschen wurden bei dem Anschlag am 14. Juli 2016, dem französischen Nationalfeiertag, verletzt. Der Gewalttäter wurde nach der Tat erschossen.
Nach dem Anschlag hatte die Terrormiliz “Islamischer Staat” (IS) die Tat für sich reklamiert. Laut Gericht war dieses angebliche Bekenntnis, trotz des Interesses des Täters für den Jihadismus, opportunistisch. Eine Verbindung zu einer Terrororganisation sei nicht gefunden worden, aber eine klare Inspiration beim Jihadismus.
Hoffnung auf zweiten Prozess
Mehr als 2.000 Angehörige und Opfer traten als Nebenklägerinnen und Nebenkläger auf. Über mehrere Wochen hinweg berichteten sie vor Gericht von ihren Erinnerungen an die Attacke und den Spuren, die der Terrorakt bei ihnen hinterlassen hat. Auch die Mutter einer der getöteten Berliner Schülerinnen sprach unter Tränen vor Gericht. Dass die Staatsanwaltschaft behördliche Fehler eingestand und sich für diese entschuldigte, dürfte die Erwartungen vieler Überlebender und Hinterbliebener übertroffen haben. Das Urteil markiert für sie nun einen wichtigen Schritt. Dennoch hoffen zahlreiche Opfer, dass die juristische Aufarbeitung damit nicht vorbei ist. Denn die Frage nach den Sicherheitsvorkehrungen in Nizza wurde in dem Pariser Verfahren nur am Rande behandelt. Untersuchungen dazu laufen in der Mittelmeerstadt noch, zahlreiche Opfer hoffen auf einen zweiten Prozess.
(apa/pma)
Titelbild: GEOFFROY VAN DER HASSELT / AFP / picturedesk.com