Dienstag, April 30, 2024

GoStudent: Entzaubertes Einhorn

Jahrelang ging es steil bergauf für das österreichische Start-up GoStudent, nun kündigt es massenhaft Mitarbeiter. Diese schildern gegenüber ZackZack große Enttäuschung und eine Atmosphäre der Angst.

Pia Miller-Aichholz

Wien, 21. Dezember 2022 | Keine zwei Wochen vor Weihnachten werden im 2. Wiener Gemeindebezirk im Büro des bekannten Nachhilfe-Start-ups GoStudent große Meetings einberufen. Den Eingeladenen wird nahegelegt, sich zumindest per Video zuzuschalten, auch Personen, die kurz vor Jahresende noch Urlaubsrückstände aufbrauchen. Niemand weiß, worum es gehen soll und auch während des Meetings tun sich die Anwesenden schwer zu verstehen, welche Konsequenzen es für sie hat, schildern Betroffenen gegenüber ZackZack.

GoStudent-Gründer Gregor Müller spricht von Umstrukturierungen und Einsparungen, davon, wie schwer ihm das Meeting fällt. „Für seine Emotionen gibt es hier gar keinen Platz, wenn wir hier alle an der Kippe stehen, unseren Job zu verlieren“, schildert eine anwesende Person ihre damaligen Gedanken gegenüber ZackZack. Letztlich überlässt Müller es jemandem anderen, den Anwesenden beizubringen, dass sie ihren Job verlieren werden. Noch während des Meetings werden die Zugänge der Betroffenen zu diversen Netzwerken der Firma gesperrt. Wer sich vor seiner Freistellung noch mit Kollegen vernetzen oder von ihnen verabschieden wollte, kann das nun nicht mehr tun. Einige, die via Google-Videocall zugeschaltet sind, fliegen noch vor Meeting-Ende raus, weil ihre Konten gesperrt werden, erzählt eine Ex-Mitarbeiterin ZackZack. Es sei überall üblich, dass Mitarbeiter, die nicht mehr Teil des Unternehmens sind, ihre Zugänge verlieren, sagte GoStudent darauf.

Arbeitsjuristin: Umgang „nicht fair“

Insgesamt wurden laut Arbeiterkammer etwa 220 Personen für Jänner beziehungsweise Februar beim AMS angemeldet. Eine Betroffene spricht von 225 Personen, GoStudent wollte die Zahl nicht bestätigen und generell keine Informationen zum Personalabbau freigeben. Die Betroffenen wurden vor die Wahl gestellt: eine einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses unterschreiben, mit wenigen Tagen Bedenkzeit, oder Kündigung via AMS. „Das ist legal, aber ich würde es nicht als fair ansehen, dass so ein Druck ausgeübt wird“, sagt Arbeitsrechtsexpertin Birgit Ceplak von der Arbeiterkammer Wien gegenüber ZackZack. GoStudent reagierte gegenüber ZackZack nicht auf die Kritik der Arbeitsjuristin.

Ceplak hat 70 Betroffene beraten. „Für die war das sehr überraschend, weil vorher waren sie voll motiviert und es wurde viel versprochen“, erzählt Ceplak. Das Angebot, das mit der einvernehmlichen Auflösung verbunden war, bewertet Ceplak als „nicht berauschend“: ein Monats-Bruttogehalt, dazu darf man Arbeitsmittel wie Smartphone und Laptop behalten.

Rasanter Aufstieg

2016 von Felix Ohswald und Gregor Müller gegründet, ist GoStudent innerhalb weniger Jahre zu einem der erfolgreichsten Start-ups Österreich geworden. Bei einem Auftritt bei „2 Minuten 2 Millionen“ auf „Puls4“ im Jahr 2018 eröffneten die jungen Unternehmer den Investoren ihre Vision: Schülern passende Antworten auf Schul- und Wissensfragen zu liefern, online und rund um die Uhr. Laut eigenen Angaben nützten damals etwa 150.000 Schüler aus Deutschland und Österreich die Möglichkeit, via Chat die „qualifizierte Community“ von GoStudent um Hilfe zu bitten. Später ergänzten Einzel- und Gruppen-Online-Nachhilfe das Angebot.

Mitte 2021 hatte GoStudent einen Meilenstein geschafft: Nach der jüngsten Investorenrunde war es Österreichs größtes Einhorn, also eines jener Start-ups, die mit mindestens einer Milliarde Euro bewertet, deren Anteile aber nicht an einer Börse gehandelt werden. Zu diesem Zeitpunkt zeichnete sich auf der Arbeitgeber-Bewertungsplattform Kununu aber schon ab, dass der Erfolgskurs nur eine Seite der Medaille sein dürfte. Zwischen den begeisterten Bewertungen über das Unternehmen mischen sich zunehmend welche, die ganz anders klingen. „Ihr solltet mehr Fokus auf Qualität legen und nicht alles für das Wachstum opfern“, schrieb jemand. Auch auf Trustpilot, einer Bewertungsplattform für Kunden, trudeln Beschwerden ein.

„Würden über Leichen gehen“

„Die meisten von uns wollen nur mehr weg von der Firma“, sagt Paula. Ihr Name ist der Redaktion bekannt, aber aus Angst vor Konsequenzen, möchte sie nicht wiederzuerkennen sein. Anfangs war sie noch begeistert davon, bei GoStudent zu arbeiten. Ihre Familie verfolgte mit Stolz die vielen guten Nachrichten über das Unternehmen in den Medien. Paula hat zugestimmt, ihren Vertrag mit GoStudent einvernehmlich aufzulösen.

Paula ist zufrieden mit der Abfindung, aber der Umgang des Unternehmens mit den Mitarbeitern in den vergangenen Monaten hat sie schwer enttäuscht. Eigentlich hat sie sich zu Verschwiegenheit verpflichtet, aber: „Mir ist wichtig, dass die Leute sehen, was das für eine Firma ist und dass unsere CEOs, die auf allen möglichen Erfolgslisten stehen, nicht dorthin gekommen sind, weil sie tolle Geschäftsmänner sind, sondern weil sie über Leichen gehen würden.“ Paula stimmt mit den vielen Kununu-Bewertungen überein, die, so schlecht sie das Unternehmen sonst bewerten, den Zusammenhalt unter den Kollegen und die Team-Leitungen loben. Für das Management gibt es von zahlreichen Mitarbeitern der „Nummer 1 globalen Schule“ schlechte Noten.

Schlechte Nachrichten

Noch im Jänner 2022 war Gründer und CEO Felix Ohswald beim Wirtschafts-Medium „Brutkasten“ zu Gast. Er erzählte, das Unternehmen sei von 160 Mitarbeitern Anfang 2021 auf mittlerweile etwa 1.500 angewachsen und sei mit drei Milliarden Euro bewertet. Eine „Geschichte zum Niederknien“, schwärmt Interviewer Dejan Jovicevic über GoStudent. Im Februar dann Vorwürfe des Deutschen Lehrerverbands, auf Kosten der Qualität zu schnell zu expandieren und Tutoren schlecht zu bezahlen. Im April berichtete „Der Standard“ von Tutoren, die schlechte Arbeitsbedingungen und großen Druck beklagten.

Im August wurde ein schwerer Vorwurf öffentlich: Ein Tutor soll einen 15-jährigen Schüler sexuell missbraucht haben. Der Anwalt des Nachhilfeschülers, Norbert Wess, sah bei GoStudent eine Teilverantwortung: Im Gegensatz zu anderen Nachhilfeinstituten stehe man dort nicht im persönlichen Austausch mit den Lehrern, zitierte der „Falter“ Wess im Sommer: „Das ist ein Problem und das in einem sensiblen Bereich, in dem Leute mit Jugendlichen arbeiten.“ Im September strich GoStudent 200 Jobs und stellte das Geschäft in den USA ein, nach nicht einmal einem Jahr dort. Zu diesem Zeitpunkt war das Unternehmen auf 1.800 Mitarbeiter international angewachsen.

Versprochen, gebrochen

Eigentlich waren Mitarbeitern mit Anfang 2023 eine Gehaltsanpassung wegen der hohen Inflation und Essensgutscheine versprochen worden. In der ersten Dezemberwoche dann die große Enttäuschung: Die Mitarbeiter bekommen zu hören, es sei kein Geld da. Einige Tage zuvor ist öffentlich geworden, dass GoStudent den größten deutschen Mitbewerber Studienkreis aufgekauft hat. „Der bisher größte Deal der Firmenhistorie“, schreibt das deutsche Wirtschaftsmedium „Business Insider“ dazu.

Laut GoStudent besteht kein Zusammenhang zwischen dem Kauf von Studienkreis, den Restrukturierungen oder „den in Aussicht gestellten Gehaltsrevisionen oder Essensgutscheinen“.

Sitzenbleiben erwünscht?

Das Vertrauen der Belegschaft in das Unternehmen hat einen Tiefpunkt erreicht, wie Florian gegenüber ZackZack erzählt. Auch er will seinen echten Namen aus Angst vor negativen Konsequenzen nicht in den Medien lesen. Auf der Website schreibt das Unternehmen: „Sei frech und hinterfrage den Status Quo!“ Wer Verbesserungsvorschläge oder neue Ideen für das Unternehmen habe, solle „einfach raus damit“. Doch Paula und Florian sowie zahlreiche Kununu-Bewertungen werfen dem Unternehmen vor, die Gründung eines Betriebsrats aktiv zu verhindern. Einige, von denen bekannt war, dass sie sich beteiligen wollten, seien unter den Gekündigten.

Das Unternehmen schreibt in einer Stellungnahme, der Vorwurf sei unbegründet. Konstruktive Kritik nehme man gerne an, schreibt es sinngemäß. „Wir möchten jedoch auch betonen, dass einige der zuletzt veröffentlichten Bewertungen nicht konstruktiv sind, falsche Informationen enthalten und teilweise wegen Verstößen gegen die Kununu-Regeln offline genommen wurden“, so GoStudent. Man unterstütze die Bildung „voll und ganz“ und sei am 13. Dezember darauf aufmerksam gemacht worden, „lange nachdem wir die schwierige Entscheidung über die geplante Personalreduktion in Österreich getroffen und auch nachdem wir am 12. Dezember 2022 die Anzeige über die beabsichtigte Auflösung von Dienstverhältnissen gem. § 45a AMFG beim AMS eingereicht haben.“

Angst, der nächste zu sein

Gegenüber ZackZack betonte das Unternehmen, dass es Qualitätssicherung sehr ernst nehme. Man bedauere die negativen Bewertungen und werde sich im kommenden Jahr darauf fokussieren, das Vertrauen der Mitarbeiter zurückzugewinnen. „Erste Initiativen dazu starten im Jänner“, heißt es, ohne weitere Details.

Die Betriebsratsgründung läuft noch. Die Motivation scheint groß: Die Betriebsversammlung dafür ist für 28. Dezember einberufen worden. Mitarbeiter werden dafür extra aus dem Urlaub kommen oder sich online dazu schalten, erzählt Florian. Er ist nach wie vor im Unternehmen. Die vielen Kündigungen haben dort eine Atmosphäre der Angst heraufbeschworen. „Von den Teamleads wird kommuniziert, dass man besser unter dem Radar bleibt und einfach nur seine Arbeit macht.“

Titelbild: ZackZack/ Christopher Glanzl

Pia Miller-Aichholz
Pia Miller-Aichholz
Hat sich daran gewöhnt, unangenehme Fragen zu stellen, und bemüht sich, es zumindest höflich zu tun. Diskutiert gerne – off- und online. Optimistische Realistin, Feministin und Fan der Redaktions-Naschlade. @PiaMillerAich
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4 Kommentare

  1. Jedes wirtschaftlich funktionierende Unternehmen wird nicht benötigte Angestellte abbauen. Vielleicht können sich viele Eltern keine Nachhilfe mehr leisten und der Sprössling soll das lernen, wofür er geeignet ist.

  2. Das ist ein klassisches Beispiel eines superraschen Schnell-Starts, der durch die hohe Motivation und Engagement super gut funktioniert, aber – ähnlich wie ein Blue-Chip (https://boersenlexikon.faz.net/definition/blue-chip/) dh. sie steigern ihren Wert außerordentlich rasch, dann folgt die Realität jedes Unternehmens..
    Kannte die COLT (Netzwerk- und Telefonieservices), die von ihren Gründern super profitierten, tolles Klima, innerhalb von 2-3 Jahren super wuchsen, bis dann zu Weihnachten (glaub ich), die Neue HR-Tante die GRÜNDER selbst kündigte – aus wirtschaftlichen Gründen (Beurteilungsbogen), ergo: die HR-Tante wusste nicht mal – so kolportiert – wer die Herren waren.
    Empfehlung: in faden Angelegenheiten (Buchhaltung, Steuern, Rechts-Abt., Bilanz, CFO u CRO) immer langjährig Praxis-Erfahrene einsetzen (St.-Vorauszahlungen u Abgaben haben viele Unternehmen ins Schleudern gebracht) und das Operative dem “Jungen, frischen Geist” zu überlassen, aber immer im Gleichgewicht

    • Na, wer hätte sich schon gedacht, dass 4.0 (physische) Arbeitsplätze kostet?? 😉

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