Samstag, Juli 27, 2024

Kocher toleriert Kinderarbeit: Österreichs Schweigen beim EU-Lieferkettengesetz

Am Freitag stimmt der Ausschuss der Ständigen Vertreter der EU-Mitgliedstaaten über das geplante EU-Lieferkettengesetz ab. Das Abkommen, das Unternehmen bei Kinder- oder Zwangsarbeit zur Verantwortung zieht, wird wohl auf der Ziellinie scheitern.

Eigentlich war die Abstimmung im Europäischen Rat zum lange ausgearbeiteten EU-Lieferkettengesetz eine reine Formsache. Bis Deutschland, nach Widerstand der wirtschaftsliberalen FDP, plötzlich ankündigte, dem zuvor gemeinsam ausgearbeiteten Kompromiss doch nicht zuzustimmen. Plötzlich drohte das Gesetz zu scheitern. Auch Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) will sich nun der Stimme enthalten. Eine Enthaltung kommt einer Gegenstimme gleich.

„Meilenstein“ gegen Kinderarbeit

Das EU-Lieferkettengesetz würde Unternehmen mit 500 Beschäftigten und 150 Millionen Euro Umsatz in der europäischen Union dazu verpflichten, ihre Produktions- und Lieferketten zu kontrollieren. So würde etwa verheerende Ausbeutung von Arbeitskräften im Globalen Süden, sowie Kinder- und Zwangsarbeit in Zukunft aus der Wertschöpfungskette ausgeschlossen bleiben. Auch folgenschweren Kollateralschäden wie etwa dem Vergiften der Umwelt sollte das Lieferkettengesetz einen Riegel vorschieben. Das Gesetz sollte für alle Unternehmen gelten, die die Kriterien erfüllen – egal, ob sie ihren Sitz in der EU haben oder nicht.

Um Schlupflöcher zu unterbinden, mussten entsprechende Unternehmen alle ihre Tochterfirmen und Zulieferer kontrollieren und sicherstellen, dass etwa keine Zwangs- oder Kinderarbeit in der Produktionskette enthalten sei.  Bei einem Verstoß drohe eine Strafzahlung von bis zu fünf Prozent des jährlichen Umsatzes.

Das Büro der Arbeiterkammer (AK) in Brüssel bezeichnete das Lieferkettengesetz im Gespräch mit ZackZack als „wirklichen Meilenstein“, der die Position von Arbeitnehmern nicht nur im Globalen Süden, sondern auch in der Europäischen Union stärken würde. Man fordere ein entsprechendes Gesetz schon jahrelang und betonte die „gesamtökonomisch positiven Auswirkungen“ der geplanten Regelung. „Die Wirtschaft insgesamt nachhaltig auszurichten, ist das Gebot der Stunde“, so die AK.

Kompromissvorschlag bereits zugestimmt

Im Dezember hatte sich die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und der Europäische Rat, vertreten durch die belgische EU-Ratspräsidentschaft, auf einen Kompromissvorschlag verständigt. Die Finanzbranche sollte vom Lieferkettengesetz weitgehend ausgenommen bleiben.

Die Abstimmung am 9. Februar im Europäischen Rat galt deshalb nur noch als Formsache. Bis die deutsche Ampelkoalition über die FDP stolperte. Die wirtschaftsliberale Partei – das Pendant der NEOS – hatte sich dem Druck der Wirtschaftslobbys gebeugt und verweigerte plötzlich die Zustimmung.

Die Industriellenvereinigung (IV) verwies auf ZackZack-Anfrage auf eine Presseaussendung der Wirtschaftskammer. Darin wird IV-Generalsekräter Christoph Neumayr zitiert: „Gut gemeint ist hier leider das Gegenteil von gut gemacht“. Auch die Industriellenvereinigung zeigt sich insbesondere um kleinere und mittlere Unternehmen besorgt: „Außerdem könnte durch den vorliegenden Entwurf entlang der „Aktivitätenkette“ Verantwortung übertragen werden und somit Betriebe jeder Größe in Österreich indirekt von den Regelungen betroffen sein“.

Lieferkettengesetz vor dem Scheitern

Nach dem Ausscheiden Deutschlands, das sich enthalten wird, braucht es um so mehr Länder, die dem Gesetz zustimmen. Doch ein Zustandekommen scheint angesichts der Haltung Österreichs und Deutschlands zwar noch möglich, wird jedoch immer unrealistischer. Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) stellte am Donnerstag klar: „Der Kompromissvorschlag ist nicht zustimmungsfähig“. Kocher zeigte sich besorgt, dass von dem Gesetz auch kleinere Unternehmen betroffen sein würden, da sie in der Verantwortungskette stünden.

Damit werden Deutschland und Österreich weiterhin Geschäftspraktiken unterstützen, die auf schwerer Ausbeutung beruhen. Das Tor für Kinderarbeit bleibt in der Europäischen Union vorerst weit offen.

Titelbild: DANIEL ZUPANC / APA / picturedesk.com, OMER ABRAR / AFP / picturedesk.com, Montage ZackZack

Autor

  • Daniel Pilz

    Taucht gerne in komplexere Themengebiete ein und ist trotz Philosophiestudiums nicht im Elfenbeinturm stecken geblieben.

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