Samstag, Oktober 5, 2024

Die unbekannte Geheimwaffe der fossilen Konzerne

Die Klimakrise macht eine rasche Energiewende und das schnellstmögliche Aus für fossile Brennstoffe nötig. Doch genau dagegen besitzen die Öl-, Gas,- und Kohlekonzerne bislang eine kaum bekannte Geheimwaffe – den Energiecharta-Vertrag, ECT.

von Theresa Kofler

Der ECT ist ein internationaler Vertrag aus den 90er Jahren zwischen 53 Staaten. Er enthält ein Paralleljustiz-System für Konzerne (bekannt etwa aus CETA und den TTIP-Verhandlungen). Damit können ausländische Konzerne Staaten vor privaten Schiedsgerichten abstrafen, wenn diese neue Gesetze einführen, die ihre künftigen Profite gefährden könnten. Der ECT ist daher ein wahrer Klimakiller: Er engt den demokratischen Handlungsspielraum für mehr Umwelt- und Klimaschutz ein und gefährdet die Energiewende. Der ECT ist seit dem Ukrainekrieg jedoch mit zunehmendem Widerstand der Zivilgesellschaft konfrontiert. Am Höhepunkt der Energiekrise 2022 und 2023 war er für die exorbitant hohen Preise in Europa maßgeblich mitverantwortlich.

Klagen für Bohrinseln, Kohle und Fracking

Die Gefahren die von diesem Klimakiller-Vertrag ausgehen sind keinesfalls nur graue Theorie. 163 Klagen auf Basis des ECT existieren aktuell. Ende August 2022 bekam der britische Öl‐ und Gaskonzern „Rockhopper“ von einem privaten Schiedsgericht 250 Millionen Euro Schadensersatz für “entgangene Profite” von Italien zugesprochen. Der Grund? Italien hat Ölbohrungen in der Adria verboten, weil es dort immer wieder Erdbeben gibt. Die tatsächlichen Investitionen von „Rockhopper“ betrugen übrigens nur 40 Millionen Euro.

Zudem zeigen Beispiele dass bereits die Aussicht auf eine Klage dazu führen kann, dass Umwelt-  und Klimaschutzmaßnahmen abgeschwächt werden: Anfang 2022 kündigte Slowenien an, dass der britische Gas- und Ölkonzern „Ascent Resources“ eine Umweltverträglichkeitsprüfung für ein Fracking-Projekt durchführen müsse. Der Konzern drohte daraufhin auf Basis des ECT mit einer Klage in Höhe von 120 Millionen Euro – und das erfolgreich. Denn Slowenien schuf inzwischen alle Voraussetzungen für die Fracking-Aktivitäten des Konzerns. Ein ähnlicher Fall betraf den Energiekonzern „Vattenfall“, dessen Klagsandrohung strengere Umweltgesetze für sein Kohlekraftwerk in Hamburg zu Fall brachte.

Im Jahr 2021 wiederum forderten die deutschen Kohleunternehmen RWE und Uniper 2,4 Milliarden Euro Schadensersatz von der niederländischen Regierung wegen des Kohleausstiegs bis 2030. (Beide Verfahren wurden inzwischen aus unterschiedlichen Gründen eingestellt.) Aktuell nutzt das Schweizer Energieunternehmen „Azienda Elettrica Ticinese (AET)“ den ECT, um Deutschlands Entscheidung, bis 2038 aus der Kohleverstromung auszusteigen, anzufechten. AET klagt auf eine nicht genannte Entschädigungssumme, obwohl das Ausstiegsgesetz bereits Entschädigungen unter bestimmten Bedingungen vorsieht. Sollte AET Erfolg haben, könnte dies andere Investoren weltweit ermutigen, gegen den Kohleausstieg vorzugehen. Dass Kohlekonzerne in Deutschland aber aktuell – ganz ohne Prozesse – mit unfassbaren Milliardenbeträgen „entschädigt“ werden, dürfte nicht zuletzt mit dieser Drohkulisse zu tun haben.

Laut einer Studie aus 2021 könnten fossile Energie-Konzerne allein in der EU, Großbritannien und der Schweiz Profitminderung ihrer Infrastruktur (einschließlich Kohlebergwerke, Öl- und Gasförderung, Pipelines, Raffinerien und Kraftwerke) im Wert von 344,6 Milliarden Euro einklagen. Da Investoren Regierungen auch für zukünftig erwartete Gewinne klagen können, sind die möglichen Entschädigungsforderungen noch viel höher.

Sogar unliebsame Steuergesetze lassen sich mit dem ECT bekämpfen: Im Jahr 2023 verklagte die Ölgesellschaft „Klesch Group Holdings Limited“ die EU, Deutschland und Dänemark auf mindestens 95 Millionen Euro: Grund? Die europäische „Übergewinnsteuer“ für Energiekonzerne.

Eine europaweite Kampagne gegen den Klimakiller-Vertrag

Aufgrund all dieser Gefahren kämpft eine europaweite Kampagne mit über 400 zivilgesellschaftlichen Organisationen inklusive Attac seit 5 Jahren für einen Ausstieg der EU aus dem ECT. Schon 2020 erklärten mehr als 500 prominente Wissenschaftler:innen und Klimaschützer:innen, dass der Vertrag „im Widerspruch zum Pariser Klimaabkommen sowie dem Green Deal der EU steht“. Mehr als eine Millionen Menschen unterzeichneten eine europäische Petition gegen den ECT. Sie wurde im Herbst 2021 an EU-Energiekommissarin Kadi Simson und Klimaministerin Gewessler übergeben  – Wirtschaftsministerin Schramböck hingegen verweigerte die Annahme.

Die „Reform“-Pläne der EU scheitern – und die EU-(Staaten) ändern ihren Kurs

Dass der Energiecharta-Vertrag die EU-Klimaziele gefährdet, dämmert auch der EU schon länger. Seit 2020 liefen daher internationale Verhandlungen für eine „klimafreundliche“ Überarbeitung des Vertrags, die 2022 beendet, aber noch nicht ratifiziert wurden. Doch auch der überarbeitete ECT würde bestehende fossile Investitionen bis weit in die 2030er Jahre hinein abdecken und fossilen Konzernen die Macht geben, Staaten zu verklagen.

Trotz der „klimafreundlichen Überarbeitung“ des ECT setzte im Herbst 2022 ein Domino-Effekt unter den europäischen Regierungen ein: Innerhalb weniger Monate erklärten 12 Länder ihren Ausstieg: Spanien, Frankreich, Deutschland, die Niederlande, Slowenien, Polen, Luxemburg, Dänemark, Irland, Portugal und Großbritannien. Italien war bereits 2016 aus dem Vertrag ausgestiegen. Als Folge änderte auch die EU-Kommission ihren Kurs. Ein EU-Sprecher erklärte im Juni 2023: „Der Energiecharta-Vertrag steht in seiner jetzigen Form nicht im Einklang mit der Investitionspolitik und dem EU-Recht sowie mit den Energie- und Klimazielen der EU.” Im Jänner 2024 präsentierte die EU-Kommission schließlich einen bahnbrechenden Vorschlag für einen EU-Ausstieg. Die europaweite Kampagne gegen den ECT hatte einen weiteren Etappensieg errungen.

Die Zivilgesellschaft schreibt Geschichte

Nach zähen Verhandlungen stimmten letztlich im April 2024 das EU-Parlament (mit 560 Ja- und lediglich 43 Nein-Stimmen) und am 30. Mai 2024, die EU-Energieminister:innen für den Ausstieg der EU aus dem ECT. Damit hat die europäische Zivilgesellschaft Geschichte geschrieben: Mehr als 5 Jahre lang hat Attac gemeinsam mit vielen europäischen Partnerorganisationen dafür gekämpft, den Klimakiller-Vertrag  zu Fall zu bringen – und so einen Meilenstein für den Klimaschutz erreicht. Was bislang unmöglich galt, wurde Realität.

Österreich will noch immer im Klimakiller-Vertrag bleiben

Ende gut, alles gut? Nicht ganz. Denn neben der EU als Ganzes sind auch einzelne EU-Staaten zusätzlich Mitglied im ECT. Und der aktuelle Kompromiss sieht vor, dass einzelne Mitgliedstaaten immer noch Teil des ECT bleiben können. Und trotz aller Kritik will Österreichs Wirtschaftsminister Kocher im überarbeiteten ECT bleiben. Im November 2022 verkündete die Regierung einen Ausstieg „zu prüfen“ – bislang jedoch noch immer ohne Ergebnis. Ein Antrag auf Ausstieg wurde im österreichischen Parlament bis zum St. Nimmerleinstag verschoben.

Doch nur ein gemeinsamer und wechselseitiger Ausstieg möglichst vieler EU-Staaten schützt vor weiteren Konzernklagen. Denn bei einem einseitigen Ausstieg können Konzerne für weitere 20 Jahre Klagen erheben und so den Übergang zu sauberer Energie behindern. Es ist dringend nötig, dass Wirtschaftsminister Kocher endlich dem Ausstieg aus diesem Klimakiller-Vertrag zustimmt. Ansonsten bleibt Österreich in einem veralteten und gefährlichen Vertrag – und zwar auf Kosten der Steuerzahler:innen, des Klimaschutzes und der Demokratie.


Theresa Kofler ist Handelsexpertin bei Attac Österreich

Links:

Attac-Seite zum Energiecharta-Vertrag: www.attac.at/ect

7 Mythen zum Energiecharta-Vertrag

Titelbild: Sarah Goldschmitt/Attac

Autor

  • Attac

    Attac richtet das Brennglas auf die ungerechten Dynamiken in der Wirtschaftswelt von heute. So sollen die Folgen der enormen Machtkonzentration internationaler Konzerne stärker in die öffentliche Debatte gezerrt werden. Ganz ohne Verschwörungsmythen.

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