Mittwoch, April 24, 2024

Lasst keinen Stein auf dem anderen – Skylla & Charybdis

Es hängt viel ab davon, woher die Eltern kommen, wohin die Eltern gehen. Kinder bekommen nicht nur Firmen, Liegenschaften oder Goldbarren vererbt, sondern auch Bildung. Einen Sonder-Antijoker bekommen zudem jene Kinder, die in sogenannten Deutschförderklassen landen.

Julya Rabinowich

Und, aktuell im neuen Jahr- sowie alle Jahre wieder: Kaum etwas beschreibt das Hineingehen in das Schulsystem und das Hinauskommen aus diesem so gut wie die beiden titelgebenden Monster dieser Kolumne. Zwischen Unterwerfung und Laisser- faire zieht es die Kinder von Volksschule bis in die Adoleszenz herein wie in einen Mahlstrom, manchmal bekommen sie kaum Luft in der wilden Drehungen, manchmal dümpeln sie unterfordert dahin, manchmal schlägt das Monster die Zähne in den Nacken, manchmal wirft es die Missliebigen an Land. Es hängt viel ab davon, woher die Eltern kommen, wohin die Eltern gehen. Kinder bekommen nicht nur Firmen, Liegenschaften oder Goldbarren vererbt, sondern auch Bildung. Nur wenige, deren Eltern Nichtakademiker sind, werden Akademiker werden. So weit, so bekannt.

Der Sonder-Antijoker

Einen Sonder-Antijoker bekommen zudem jene Kinder, die in sogenannten Deutschförderklassen landen. So gut wie alle Fachmenschen haben diese Klassen von Beginn an kritisiert, für rückständig erklärt, für unpassend, segregierend. Man könnte sie als Fegefeuer der Ungerechtigkeit bezeichnen, in der die armen zu verdeutschenden Seelen auf ihre Erlösung warten, um endlich in jenen Klassen ankommen zu dürfen, die sie brauchen, um in diesem Land bestehen zu können. Zur richtigen, nämlich knappen Zeit ist gerade ein Buch erschienen, das sich intensiv mit diesem Thema auseinandersetzt. Wir haben kaum noch Zeit, um komplexen Problemen konstruktiv begegnen zu können. Alexia Weiß hat sich mit den Zuständen intensiv beschäftigt. Als Mutter, als Journalistin, als Betreuende von geflüchteten Kindern. Einem solchen ist das Buch auch gewidmet. Und ihre Conclusio lautet: Zerschlagt das Schulsystem! Die Autorin, die sich in ihrem Vorwerk, einem Erfolgsbuch über das jüdische Leben, nicht scheute heiße Eisen anzupacken, macht es diesmal noch etwas lauter. Gleich zu Beginn hält sie fest: „Während der Anteil von Akademikerinnenkindern in der AHS-Unterstufe 50 Prozent beträgt, kommen nur drei Prozent der Kinder aus Familien, in welchen die Eltern maximal über einen Pflichtschulabschluss verfügen.

Eine neue Vision der Schule

Was in dem Bericht auch festgehalten wurde: Die Ungleichheit bei der Schulwahlentscheidung ist nur zu einem Drittel durch Leistungsunterschiede zu erklären. Sieht man sich die Mathematikkompetenzen an, lag bei der Bildungsstandard-Überprüfung 2018 der Österreichschnitt bei 551 Punkten. Akademikerinnenkinder, deren Leistung nahe diesem Schnitt lag, traten zu 62 Prozent in eine AHS über. Aber nur 24 Prozent der Kinder, die ebenfalls so einen Wert erreichten, deren Eltern aber höchstens über einen Pflichtschulabschluss verfügten, wechselten an ein Gymnasium.“ Das ist nicht nur bildungspolitisch ein Skandal. Das ist eine Vorarbeit zur Spaltung der Gesellschaft, in der immer wieder lautstark behauptet wird, dass Leistung sich lohnen müsse. Was uns so dringend fehle, sagt Weiß, ist eine neue Vision der Schule. Alexia Weiß ist kompromisslos und tapfer, und das ist gut so. Mit Kompromissen hat sich bis jetzt kaum etwas verändern lassen. „Wer eine gerechtere, aber auch eine für die Zukunft gerüsteteGesellschaft möchte, der muss sich für eine Reform des Schulsystems einsetzen. In der Schule wird das Fundament für ein gutes Leben für alle gelegt. In diesem Sinn: Seid endlich einmal mutig und zerschlagt das Schulsystem! Lasst keinen Stein auf dem anderen! Und baut es neu. Völlig neu.“

Titelbild: ZackZack

Julya Rabinowich
Julya Rabinowich
Julya Rabinowich ist eine der bedeutendsten österreichischen Autorinnen. Bei uns blickt sie in die Abgründe der Republik.
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8 Kommentare

  1. Hat das Kind gute Noten, aber seine Eltern wenig Geld, kommt das Kind trotzdem nicht notwendigerweise auf eine gute Schule, denn selbige hat nicht selten ein paar Plätze für Kinder mit schlechten Noten aber reichen Eltern reserviert. So manches Unternehmerkind sitzt bloß deshalb im Gymnasium, weil seine Eltern nicht wollen, dass es unter den Arbeiterkindern in der Hauptschule sitzt. Die zukünftigen Herren haben von den zukünftigen Sklaven getrennt zu werden. Möglichst früh, eine fallweise Dummheit spielt dabei keine Rolle.

  2. Wem könnte man zutrauen das System neu aufzustellen? Indirekt beeinflussen Eltern immer die Bildung ihrer Kinder.

    • Grundsätzlich kann man davon ausgehen das das beste System die Demokratie ist, auch innerhalb einer Familie. Beeinflussung von Redefreiheit, auch innerhalb der Familie, hat immer auch mit Gewalt zu tun oder einen vernichtenden Ausschluss von der Gemeinschaft. Soziokratie wäre eine Lösung.
      Natürlich verlangt die Gewissensfrage einiges ab von einem Soziokraten.

  3. Die Bildung in Österreich hinkt weiter hinterher.
    Man muss sich nur einmal div. Umfragen ansehen.
    Blaubraun derzeit auf Platz 1.
    Traurig……..

  4. Die Wurzel allen Übels in unserem Lande… Verzerrungen bis hinein in die (Kindes)Seele. (All die Moral entkernten Skandälchen hard on the Edge sind nackte Manifestationen auf der Lebensbühne verzerrter Illusionen.)

      • Bei allem Respekt, löffeln’S bitte nicht in meiner Buchstabensuppe herum: Ich schrieb von “nackten Manifestationen auf der Lebensbühne verzerrter Illusionen.”, nicht von nackten Wahrheiten. Das bleibt auch so stehen, bitte sehr, selbst wenn es Ihnen (und Ihren Meinungen) Probleme bereiten sollte… 😉

        [Als Manifestation wird das Sichtbarwerden oder Sich-offenbaren von Dingen aller Art bezeichnet, die vorher unsichtbar bzw. gestaltlos oder gar nicht-existent waren.]

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