Dienstag, Februar 11, 2025

Aufwachen: Schaf im Schafspelz

Kickl kann sich nun als großer Demokrat gerieren. Der Bundespräsident hat es dem FPÖ-Chef mit seiner Vorlage leicht gemacht. ZackZack-Kolumnist Daniel Wisser über Van der Bellens misslungene Abgrenzung gegen Rechts.

Daniel Wisser

Wien, 28. Jänner 2023 | Es war richtig und dem Usus der Zweiten Republik entsprechend, dass ÖVP, SPÖ und die NEOS bei der Bundespräsidentenwahl im Jahr 2022 Alexander Van der Bellen unterstützt haben. Und es waren auch Wählerinnen dieser drei Parteien, die Van der Bellen im Jahr 2016 in zwei Stichwahlen gegen Norbert Hofer arschknapp den Arsch gerettet haben. In der Truppe um Sebastian Kurz, die damals in der ÖVP die Macht übernahm, gab es damals ÖVP-Politiker, die sich öffentlich dazu bekannten, Hofer zu wählen. Manche sind bis heute Minister.

Alle diese Tatsachen führen leider nicht dazu, dass der Bundespräsident in seiner zweiten Amtszeit eine überparteiliche Position einnimmt. Im Gegenteil. Die Aussagen Van der Bellens diese Woche enthalten leider parteipolitische Positionierungen wie sie sich kein Präsident der Zweiten Republik bisher erlaubt hat.

Der Wahlkampf, den es nicht gibt

Man könnte meinen, Alexander Van der Bellen ist in den Nationalratswahlkampf eingestiegen; einen Wahlkampf, den es eigentlich nicht gibt. Als Christian Kern 2016 die SPÖ übernahm und Kanzler wurde, verkündeten die ÖVP und ihr wichtigstes Organ, die Kronen Zeitung, praktisch täglich, Kern sei nicht gewählt worden. Sie suggerierten, was verfassungswidrig und unrichtig ist, dass der Bundeskanzler in Österreich vom Volk gewählt wird. Seit Karl Nehammer Kanzler ist, ist mit dieser Demagogie freilich Schluss, obwohl oder gerade weil Nehammer niemals Spitzenkandidat bei einer Nationalratswahl war und sich vor den kommenden Wahlen fürchtet.

Ob die demokratiefeindlichen Aussagen der zwei von ihm angelobten Minister Schallenberg und Karner wohl dem Gewissen des Bundespräsidenten entsprechen, dem dieser laut eigener Aussagen verpflichtet ist? Ob er – wenn von Korruption die Rede ist – in der ÖVP eine Änderung der Haltung sieht, solange die Frau des Bundeskanzler seine Beraterin ist, Kurz-Mastermind Fleischmann die Kommunikation der ÖVP leitet, Wolfgang Sobotka weiterhin Erster Nationalratspräident ist? Ob er hinter Österreichs Veto zur Schengen-Erweiterung eine proeuropäische ÖVP sieht oder doch eher den nächsten populistischen Vollholler?

Personen statt Sachfragen

Der Bundespräsident muss sich den Vorwurf gefallen lassen, auf einem Auge blind zu sein. Dann nämlich, wenn es sich um die ÖVP handelt. Man erinnere sich, wie Gernot Blümel, der die gerichtlich angeforderten Aktenlieferungen aus seinem Ministerium mit Arroganz verweigert hat, Van der Bellen vorgeführt hat. Man erinnere sich, wie Verteidigungsministerin Tanner den Bundespräsidenten erst vor wenigen Tagen mit ihren Personalentscheidungen düpiert hat. (Tanner – aus der rechtspopulistischen ÖVP-NÖ – hat im Gegensatz zur Mehrheit der ÖVP-Politiker 2022 dezidiert keine Wahlempfehlung für Van der Bellen ausgesprochen.)

Immer wieder hat Van der Bellen sich bei der ÖVP in Zurückhaltung geübt, hat von der ÖVP eingesteckt und sich auf die Verfassung berufen. Umso seltsamer mutet es an, dass er jetzt einen Usus in Frage stellt, den alle seine Vorgänger eingehalten haben: Den Spitzenkandidaten der stimmenstärksten Partei nach der Nationalratswahl mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Die Rede ist, wie immer, wenn Negativwahlkampf gemacht wird, von Personen und nicht von Sachfragen. Es geht um Herbert Kickl.

Herbert Kickl: Plakattexter der ÖVP

Herbert Kickl ist jener Mann, den die ÖVP im Jahr 2018 zum Innenminister gemacht und den Bundespräsident Van der Bellen als Innenminister angelobt hat. Herbert Kickl ist jener Mann, den die ÖVP gegen sieben Misstrauensanträge im Nationalrat erfolgreich verteidigt hat. Auch der heutige Kanzler Nehammer hat ihn verteidigt – die Artikel dazu sind noch online.

Ich habe die FPÖ nie gewählt, werde sie niemals wählen und fände es angebracht, die politischen Ansagen und Versprechen der FPÖ inhaltlich zu durchleuchten, was ich in einem meiner nächsten Artikel tun werde. Das tut die Regierung aber nicht und Van der Bellen ebenso nicht. Sie betreiben die Dämonisierung einer Person. Einer Person, die ohne ÖVP und Van der Bellen niemals Minister geworden wäre. Einer Person, von der die ÖVP 2017 sämtliche Positionen und sogar einen von ihm getexteten Plakatslogan übernommen hat.

Wolf und Schaf

Die Position der ÖVP, der Grünen und des Bundespräsidenten ist populistisch. Sie basiert auf Schwarz-Weiß-Malerei. Wenn man sich aber mit Rechtspopulismus auseinandersetzt und sich politisch gegen ihn stellt, darf man seine Methoden nicht kopieren. Leider geschieht genau das. Dadurch entsteht ein Umkehreffekt: Herbert Kickl kann sich gegen diese Aussage nun verteidigen, indem er sich als großer Demokrat geriert und Van der Bellen – in diesem Fall nicht zu Unrecht – Missachtung des Wählerwillens vorwirft. Van der Bellen verspricht hingegen, indem er sich gegen eine rechtspopulistische Bewegung stellt, eine Maßnahme, die einen Bruch des Usus und eine weiteren Schaden für den demokratischen Konsens darstellte.

Natürlich tritt Kickl bei seiner Entgegnung als Wolf im Schafspelz auf. Van der Bellen aber tritt als Schaf im Schafspelz auf. Er hat es Kickl mit seiner Vorlage leicht gemacht. Zudem muss der Bundespräsident sich den Vorwurf gefallen lassen, mit zweierlei Maß zu messen. Denn er kritisiert die FPÖ an Punkten, in denen die ÖVP die gleiche Ansicht vertritt.

Der Handschlag von 1963

Der Blick auf unsere Geschichte genügt, um zu sehen, dass der Kampf der bürgerlichen Parteien gegen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus ohne eine Gesellschaft, die eine demokratische Gesinnung eint, nicht möglich ist. Zum einen, weil sich die bürgerlichen Parteien dabei selbst radikalisieren und rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien werden wie die Christlich-Soziale Partei in den Dreißigerjahren. Zum anderen, weil sie durch die Spaltung der demokratischen Gesellschaft einen großen Teil derselben als wichtigen Verbündeten verlieren, wenn nicht in die Arme der Rechten treiben.

Das Symbol für das Erkennen dieser Tatsache und das Eingestehen eines historischen Fehlers, ist und bleibt der Handschlag von ÖVP-Bundeskanzler Gorbach und SPÖ-Vizekanzler Pittermann am Grab der Februar-Gefallenen am 12. Februar 1963. Er jährt sich in wenigen Tagen zum sechzigsten Mal.

Otto Bauer, der Österreich im Februar 1934 verlassen musste, schrieb kurz darauf in Bratislava: »Viel größer ist die Gefahr, dass der Nationalsozialismus in verstärktem Maße in die Arbeiterschaft einzudringen vermöchte. Schon im Ausgang des Kampfes haben wir von den Wiener Arbeitern gehört: ›Jetzt bleibt nichts anderes, als mit den Nazi gegen Dollfuß zu gehen.‹ So mancher Arbeiter denkt heute: ›Wenn die Nazi uns nur versprechen, den Dollfuß und den Fey aufzuhängen, dann gehen wir mit ihnen!‹

Titelbild: ZackZack/Miriam Mone

Autor

  • Daniel Wisser

    Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.

LESEN SIE AUCH

Liebe Forumsteilnehmer,

Bitte bleiben Sie anderen Teilnehmern gegenüber höflich und posten Sie nur Relevantes zum Thema.

Ihre Kommentare können sonst entfernt werden.

153 Kommentare

153 Kommentare
Meisten Bewertungen
Neueste Älteste
Inline Feedbacks
Zeige alle Kommentare

Jetzt: Die verhinderte Obduktion im Fall "Pilnacek"

Nur so unterstützt du weitere Recherchen!

pilnacekbannerhalfpage