Der Dollfuß-Express ist in St. Pölten abgefahren. Der Rechtsblock aus Kickl und ÖVP steht. Jetzt hat sich auch die SPÖ überraschend am Bahnhof versammelt. Vielleicht setzt sie sich noch rechtzeitig in Bewegung.
Wien, 26. März 2023. Neulich in Niederösterreich erzählt mir ein Freund, Erwin Pröll habe immer wieder Johanna Mikl Leitner angerufen. Der Alt-Landeshauptmann soll ein einziges Anliegen gehabt haben: Um nichts in der Welt dürfe seine Nachfolgerin eine Regierung mit der FPÖ, Landbauer und damit Kickl bilden. Zwei Tage vor dem Deal soll Mikl-Leitner nicht mehr abgehoben haben. Die Leitung war ebenso tot wie die christlich-demokratische ÖVP.
Die Dollfuß-Weiche
In St. Pölten hat die ÖVP die Weiche auf das Gleis, das in scharfem Winkel nach rechts abbiegt, gestellt. Wer sich die Sammlung aus Absurditäten und Dummheiten, die ÖVP und FPÖ als Regierungsprogramm zusammengestoppelt haben, ansieht, weiß, dass es nicht um Programme geht. Es geht um die Macht. Der Dollfuß-Express hat den Bahnhof St. Pölten mit dem Hitler-Kurswagen verlassen. Es geht nach Wien.
Dollfuß? Hitler? Muss man gleich in die Faschismuskiste greifen, wenn sich die ÖVP wieder einmal die FPÖ als Partnerin nimmt? Ausnahmsweise lohnt es sich, bei der FPÖ genauer hinzusehen. Jörg Haider war Teil des politischen Systems. Heinz Strache wollte unbedingt zum Systemteil werden. Herbert Kickl will das System sprengen. Aber das Wichtigste ist längst in der ÖVP passiert.
Dort hat Sebastian Kurz 2017 die Partei auf neuen Kurs gebracht. Österreich sollte politisch Ungarn werden, weil Kurz Orbán werden wollte. Mit der Landhäusl-Entscheidung in Niederösterreich geht die Zeit der Nehammer-Orientierungslosigkeit zu Ende. Die Kurz-Weiche ist wieder gestellt. ÖVP und FPÖ greifen gemeinsam an. Sie wollen an den Ort, an dem sich Viktor Orbán und Benjamin Netanjahu längst in Sicherheit gebracht haben – in die „Postdemokratie“, in der die Partei Polizei, Justiz, Medien und Parlament kontrolliert. Dass das mit Ballkleidern und einem Kickl-Kanzlerfrack statt mit Heimwehruniformen geht, macht es nicht besser.
Damit steht der Rechtsblock auch in Österreich. Der gute Ruf, das Restansehen, das die ÖVP noch ans alte System band, ist ruiniert. Die ÖVP, die sich jetzt auf den Weg gemacht hat, tut das völlig ungeniert.
Roter Frühling
Auf der anderen Seite steht noch nichts. Die Grünen haben noch nicht verstanden, dass sie als Partei der demokratischen Linken im falschen Zug sitzen. Aber auf die Grünen kommt es noch nicht an. Es geht um die SPÖ. Dort brechen jetzt die Krusten, die die Sozialdemokratie mehr als ein Jahrzehnt an jeder Bewegung gehindert haben, auf.
Der Versuch der Wiener SPÖ, jede Bewegung im Parteikeim zu ersticken, ist gescheitert. Ein Bezirksrat namens Kowall hat mit seiner Kandidatur nicht nur eine Hintertür, sondern die ganze Partei geöffnet. Die Schneerosen blühen, Rosenstöcke und Hollerstauden treiben aus, und die SPÖ bewegt sich. Das kann doch noch ein politischer Frühling werden.
Wenn es nicht doch noch hintertrieben wird, zeichnet sich eine Entscheidung zwischen Hans Peter Doskozil und Andi Babler ab. Beide haben gute Chancen, die Wahl um die Parteiführung und die Nationalratswahl zu gewinnen, weil sie auf völlig unterschiedliche Art etwas Ähnliches vorhaben. Das möchte ich kurz anhand eines herrschenden Unsinns erläutern.
Rechte Linke und linke Rechte
Pamela Rendi-Wagner gilt öffentlich als Vertreterin der „Linken“, Doskozil als Frontmann der „Rechten“ in der SPÖ. Babler gilt in diesem Raster wohl als „links“. Diese Bewertung stammt aus den politischen Salons der Wiener Innenstadt und hat wenig mit der Realität zu tun.
Die sozialdemokratische Linke sammelt sich im Gegensatz zu linken Milieuparteien um ein Motiv: die „soziale Frage“. Umverteilung von Arbeit, Einkommen und Lebenschancen, das ist die kürzeste Form ihres Zwecks. Wie bei liberalen Parteien kommen Rechtsstaat, Demokratie und Freiheit untrennbar dazu. Aber der Kern der Linken ist „sozial“. Das ist der gemeinsame Nenner von Doskozil und Babler.
Auf der anderen Seite steht die Parteirechte, die nach wie vor mit der ÖVP will. Sie hat jetzt schon verloren, und wenn sie am Weg durch alle Hinterzimmer doch noch einmal gewinnt, verliert die SPÖ die entscheidende Nationalratswahl.
Es gibt ein einfaches Argument, warum Doskozil und Babler Wahlen gewinnen können: Alfred Gusenbauer. Wenn dieses schwerste Leichtgewicht der SPÖ-Geschichte Wolfgang Schüssel schlagen konnte, dann haben Doskozil und Babler alle Chancen der österreichischen Welt.
Vielleicht wird das noch etwas: Die SPÖ wählt eine handlungsfähige Führung und bricht auf. Die Grünen nützen ihre letzte Chance und steigen aus dem ÖVP-Zug aus. Beide haben ein gemeinsames Ziel: eine Regierung ohne ÖVP und FPÖ. Das geht, wenn man es angeht. Es ist „höchste Eisenbahn“, wie man so sagt.