Eine der spannenderen Fragen bei der angepeilten Pandemie-Aufarbeitung wäre die verhaltensoriginelle Über- und Unterförderung mit Coronahilfen, meint Kolumnistin Julya Rabinowich.
Wien | Wir haben den Prozess gestartet. Endlich. Nun wird alles gut. Die Inflation wird in den Griff bekommen, die explodierenden Mieten frieren ein, die Schere zwischen Arm und Reich schließt sich so zart wie das Flattern eines Kolibriflügels, das Auseinanderdriften der Gesellschaft endet sowieso. Wir haben demnächst eine Antwort auf alles! Das ist doch ganz wunderbar, erleichternd, frühlingshaft mit Blumen und Schmetterlingen! Und Luftfilter kommen endlich an Schulen und nicht nur ins Bundeskanzleramt! Halt. Noch nicht ganz. Zugegeben, alle diese schönen Dinge müssen doch noch ein wenig warten. Es steht Wichtigeres an!
Aufarbeitung der Coronahilfen?
Johannes Rauch, Karl Nehammer, Karoline Edtstadler und Martin Polaschek haben zu durchschlagenden Maßnahmen gegriffen: Die Pandemie wird aufgearbeitet, als ob sie schon zu Ende wäre. Vulnerable wagen sich jetzt zwar zu einem großen Teil nicht mehr in die Spitäler, aber das hat auch sein Gutes, dann belegen sie auch keine Plätze darin – weil sie sich nicht mehr trauen oder weil sie sie dann irgendwann auch nicht mehr brauchen, ist keine Frage, die allzu viele Verantwortliche bekümmert. Hauptsache, los ist man sie geworden, so oder so, dieses mangelhafte Menschmaterial, das kostet und kostet. Apropos Kosten: eine der spannenderen Fragen bei dieser angepeilten Aufarbeitung wäre die verhaltensoriginelle Über- und Unterförderung mit Coronahilfen. Aber ob sich denen wirklich jemand widmen wollen wird? Das kann nun nicht einmal das Ho-Rakel mehr verkünden.
Der Rest der unverwundbaren Gesellschaft arbeitet sich weiter in die totale Freiheit vor. Diese Freiheit, die um Verständnis wirbt für jene, die Ärzte und Ärztinnen bedrohten. Oder Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen. Oder Kinder, die eine Maske getragen hatten. Das muss man schließlich verstehen! Und nun geht es hoch über den großen Graben, der sich in der Gesellschaft aufgetan hat. Wer Wahlen gewinnen will, muss sich unbedingt um diesen Graben kümmern. Niederösterreich aka Neu-Mordor hat es schon vorgesungen. Ich bin gespannt, wie so ein Dialog zwischen dem Wutwirten mit originellen Interpretationen der Gegenwart und einer älteren jüdischen Dame von der Mazzesinsel, die in zweifelhaften Genuss antisemitischer Pöbeleien während der Coronademos gekommen ist, aussehen soll. Die Dame freut sich bestimmt darauf. Ein kleiner Einwand, dass Küssel und seine Freunde vermutlich wenig Interesse an so einer Annäherung haben werden, weil sie ausschließlich an eigenen Interessen arbeiten und nicht an jenen der Allgemeinheit, wird an der gläsernen Decke der besten Absicht von „gut gemeint“ und „übel gemacht“ zerschellen. Es wird wieder in die Hände gespuckt! Hoffentlich nicht in die zur Versöhnung ausgestreckten.