Kaum wurde gestern die Kurz-Anklage bekannt, setzte massives Nebelgranatenfeuer ein. Die SNU-Granaten waren ebenso beachtlich wie die „Rohre“, aus denen sie verfeuert wurden.
„Immer wenn es um Kurz geht, rücken auf Social Media die Bots und Trolle aller Parteien aus, um dafür oder dagegen oder sonst was zu sein. Und ich kriege Lust, mal wieder zu recherchieren, wo die so sitzen, was es kostet, Wind zu machen. Weiß auch schon, wo anfangen.“ Das wünscht sich Anna Thalhammer, die Chefredakteurin von „profil“. Einiges spricht dafür, bei Thalhammer selbst anzufangen.
Station 1: Das Opfer der Medien
Um 9.41 Uhr wendet sich Sebastian Kurz in eigener Sache an das Twitter-Publikum. Die WKStA-Anklage wegen falscher Beweisaussage ist den Anwälten der drei Beschuldigten zugestellt worden. Kurz ist empört: „Mein Team und ich wurden gerade von mehreren Journalisten informiert, dass die Anklage wegen mutmaßlicher Falschaussage im U-Ausschuss unmittelbar bevorsteht.“
Dann erhebt Kurz einen schweren Vorwurf: „Bemerkenswert und rechtsstaatlich nicht unbedenklich ist allerdings, dass die Medien einmal mehr vor den Betroffenen über den Verfahrensstand informiert sind.“
Wenn „die Medien“ die Anklageschrift vor den Angeklagten und ihren Anwälten erhalten haben, dann können die Kopien der Anklageschrift nur aus der Justiz kommen. Kurz stellt damit einen schweren Vorwurf in den Raum. Aber woher haben „die Medien“ die Kopie der Anklageschrift gegen Sebastian Kurz, Bernhard Bonelli und Bettina Glatz-Kremsner?
Neuer Akt
Die WKStA hat für die Anklage einen neuen Akt unter der Zahl 17 St 1/23x angelegt. Damit haben die Anwälte der vielen CASAG-Beschuldigten keinen Zugriff mehr – mit drei Ausnahmen: die Anwälte von Kurz, Bonelli und Glatz-Kremsner. Glaubt man Kurz, dann ist die Anklageschrift nicht von ihnen gekommen. Kurz sagt es nicht, aber der Verdacht fällt damit auf die Justiz: auf die OStA, das Justizministerium, aber vor allem auf die WKStA.
Nur – der Verdacht ist falsch. Wie andere Medien verfügt auch ZackZack über eine Kopie der Anklageschrift. Nach jetzigem Stand der Recherche stammt sie nicht aus der Justiz. ZackZack erwartet dazu noch eine offizielle Stellungnahme aus der Justiz. Hat Kurz wieder ein Spiel gespielt? Haben Anwälte der drei Beschuldigten einzelne Journalisten gezielt bedient? „Profil“ konnte jedenfalls als erstes Medium über die Anklage berichten.
Es ist auszuschließen, dass Anna Thalhammer und „profil“ ein Exemplar der Anklageschrift aus der WKStA erhalten haben. Also stellen sich die ersten beiden Fragen: Haben Thalhammer und „profil“ eine Kopie der Anklageschrift von Beschuldigten und ihren Anwälten erhalten? Und warum hat die Chefredakteurin dem Tweet, in dem Kurz offensichtlich die erste falsche Anschuldigung erhebt, nicht widersprochen?
Station 2: der falsche Richter
Um 11.57 Uhr zündet das Fellner-Medium „oe24.at“ die nächste Nebelgranate: „Es ist das heißeste Gerücht in Justiz-Kreisen rund um die Anklage gegen Ex-Kanzler Sebastian Kurz. Ausgerechnet ein enger Vertrauter des Aufdeckers Peter Pilz könnte Richter im spektakulären Prozess um die Falschaussage von Kurz vor dem U-Ausschuss werden.“
Das Gerücht ist mit einem typischen Fellner-Makel behaftet: Es ist falsch. Staatsanwalt Radasztics war nie ein „enger Vertrauter des Aufdeckers Peter Pilz“. Die „Kontakte“ zwischen Pilz und Radasztics beschränkten sich über den langen Zeitraum der Eurofighter-Ermittlungen auf die Weitergabe von Beweisen und Hinweisen durch den Abgeordneten an den Staatsanwalt. Privaten Kontakt zwischen beiden hat es nie gegeben, wie auch die Daten einer – inzwischen vom OLG als illegal erkannten – Telefonüberwachung belegen.
Thalhammer legt nach
Anna Thalhammer legt kurz darauf nach: „Die Wahl des Richters, Michael Radasztics, im Kurz-Verfahren ist jedenfalls spannend.“ Thalhammers falsche Behauptung, der Richter sei „gewählt“ worden, begründet einen Verdacht, den Thalhammer gleich anklingen lässt: „Gut bekannt mit Peter Pilz…“
Nach heftiger öffentlicher Kritik rudert Thalhammer eine Stunde später zurück: „Weil sich alle aufregen: Ich hab mich ungeschickt ausgedrückt.“ Jetzt weiß auch sie: „Ein Richter wird nicht aktiv gewählt, also ausgesucht.“
Station 3: Der falsche Beschuldigte
Die zweite Nebelgranate ist damit im Rohr explodiert. Aber wie diskreditiert man einen Richter, dessen Auswahl jeder Kritik standhält? „oe24.at“ macht einfach weiter: „Radasztics ist kein unbeschriebenes Blatt: Er war der zuständige Staatsanwalt für die Eurofighter-Causa. Im letzten Eurofighter-U-Ausschuss wurde das Nahverhältnis von Radasztics und Pilz bereits thematisiert. Es ging um den Vorwurf des Amtsmissbrauchs in Verbindung mit Verrat von Amtsgeheimnissen, weil Pilz und Radasztics miteinander geredet hatten.“
OE24“ weiß noch mehr: „Radasztics wurde daraufhin durch den seinerzeitigen Justiz-Sektionschef Christian Pilnacek von der heiklen Causa abberufen.“
Hier überschreitet Fellners Portal eine Grenze. Von Beginn weg war aufgrund der Beweise klar, dass Radasztics fälschlich beschuldigt wurde. Inzwischen hat das OLG Wien den damaligen Eurofighter-Staatsanwalt von allen Vorwürfen freigesprochen. Heute weiß man: Radasztics wurde von Beginn an gezielt verfolgt.
Beschuldigter „Pilnacek“
Statt Radasztics steht jetzt ein anderer im Verdacht, das Amtsgeheimnis gebrochen zu haben: Christian Pilnacek, der Mann, der Radasztics damals zu Unrecht verfolgen ließ. Am 2. November 2021 musste Pilnacek als Beschuldigter die Fragen des Innsbrucker Staatsanwalts beantworten.
Der Staatsanwalt hielt ihm vor: „Es ist auch ein sehr begrenzter Komplex. Es geht um ein einziges E-Mail samt den Anhängen, das Sie im Dezember 2018 geschickt haben“. Der Staatsanwalt hat mit dem E-Mail von Pilnacek an ZiB1-Redakteur Jörg Hofer die Beweise vor sich: „Und aus diesem E-Mail geht hervor, dass Sie eben am 21. Dezember 2018 dem Jörg Hofer in den Anhängen den Beschluss aus dem Eurofighter-Verfahren – den Beschluss des OLG Wien vom 28.8.2018 – in ungeschwärzter Form übermittelt haben.“
Pilnaceks Rechtfertigungen ändern nichts an den Fakten. Der Kopf der einst mächtigen Pilnacek-Fuchs-Gruppe ist in ernsthaften Schwierigkeiten.
Granaten und Rohre
Aber warum verschweigt „oe24.at“ das? Warum nimmt das Fellner-Medium den alten Faden der Diffamierung gegen den damaligen Staatsanwalt wieder auf? Soll Radasztics als Richter aus dem Weg geschafft werden? Und wenn ja, warum und für wen?
„Die Anklageschrift ist geleakt worden“; „schon wieder die WKStA“; „ein Pilz-Freund wird als Richter ausgesucht“; „Radasztics ist der schwer belastete Eurofighter Staatsanwalt“ – das ist alles SNU, „strategisch notwendiger Unsinn”. Immer, wenn die ÖVP in Schwierigkeiten gerät, werden diese Granaten in die passenden Rohre geschoben.
Aber warum werden Journalisten zu „Rohren“? Bei „oe24.at“ und Wolfgang Fellner scheint das einfach. Das Strafverfahren gegen die Fellner-Brüder wird hier wohl Aufschluss bringen.
Im Fall „Thalhammer“ scheint von Richard Grasl bis zum alten BVT einiges komplexer zu sein.
Für Kurz, Bonelli, Glatz-Kremsner, Fellner, Pilnacek und andere Genannte gilt die Unschuldsvermutung.
P.s.: (11.35 Uhr) „Kurier“ und „Kleine Zeitung“ beschreiben warnend das Risiko, das mit der Anklage verbunden sei – aber nicht für Kurz, sondern für die WKStA. So geht Gleichschritt.
Titelbild: HELMUT FOHRINGER / APA / picturedesk.com, Christopher Glanzl, HANS PUNZ / APA / picturedesk.com, Auszug Strafantrag WKStA