Wie man den ermüdenden Dauerschleifen von Propagandarednern und Predigern etwas entgegensetzen kann.
Bei Egon Friedell lese ich: »Im Grund können wir den anderen nur sagen, was sie schon wissen. Wir vermögen einem Menschen nur diejenigen Dinge mitzuteilen, die er immer schon latent in sich gehabt hat. Im anderen Falle wird er sie entweder rundweg ablehnen oder so lange auf seine Art auslegen, bis sie ihm ähnlich sind und nicht mehr uns.«
Es handelt sich wahrscheinlich dabei um eine zeitlose Wahrheit. Ihr zeitgemäßer Bezug allerdings ergibt sich durch den Umstand, dass man in unserer gegenwärtigen Gesellschaft bei jedem Schritt auf Prediger trifft. Es ist schwer, den Predigern Friedells Erkenntnis nahezubringen. Oder – was vielleicht noch häufiger ist: Sie ist ihnen völlig egal.
Propaganda statt Diskussion
Prediger sind wie Sektenmitglieder, die an Haustüren klingeln. Werden sie eingelassen und zum Kaffee ins Wohnzimmer gebeten, dann breiten sie ihre Botschaft aus. Sie versuchen nicht, ihr Gegenüber kennenzulernen, ernst zu nehmen oder gar anzuhören. Sie rattern ihre ewigen Wahrheiten herunter und lassen sich dabei weder von Einwänden stören noch von der Idee, es könne vielleicht Andersdenkende geben.
Die Diskussion ist in unserer Zeit durch Propaganda ersetzt. Die Menschen, die »im Internet recherchieren« sind lediglich auf der Suche nach irgendeinem »Beweis«, der ihre Theorien unterstützt. Dann verschicken sie den Link eines Videos, in dem EIN ARZT ERKLÄRT, WARUM POCKENIMPFUNG ZU FLUGZEUGABSTÜRZEN FÜHRT in alle Welt. Ich habe schon Tausende solcher E-Mails gelöscht. Warum? Weil ich immun bin. Ich bin immun gegen Propaganda.
Zum Glück bin ich rot
Meine Immunität erstreckt sich nicht nur über parteipolitische Propaganda. Die gab es schon in meiner Jugend. Im Fernsehen hieß es damals »Belangsendung«. Ein Name, der durch Reversion (wie es in der Freudschen Psychoanalyse heißt) seine Bedeutung offen legt: Diese Sendungen waren belanglos. Heute nennt man Belangsendungen »Nachrichten«.
Viele verschiedene Prediger und Sekten sind unterwegs. Da gibt es natürlich jene, die ohnehin schon seit Jahren auf allen Podien der Welt sitzen, die die Kultur durch Absagen bestreiten wollen, einem erklären, dass man Shakespeare nicht mehr lesen darf, weil er die Existenz von Geschlechtern nicht leugnet, dass die grundlegenden Gesetze der Quantenmechanik nicht stimmen können, weil Erwin Schrödinger eine siebzehnjährige Geliebte hatte und dass ein Gumpoldskirchner, der einen Roman über Pfaffstätten schreibt, kulturelle Aneignung betreibt. Ja, schon die Benutzung des Namens Pfaffstätten sei eigentlich unzulässig. All das sind Bewegungen, die mit Rassismus, Sexismus und anderen Arten der Diskriminierung vorgeben, gegen Diskriminierung zu kämpfen. »Alte weiße Männer«, das ist eine ihre diskriminierungsfeindlichen Dreifachdiskriminierungen. (Zum Glück bin ich rot.)
Jahrelang kolportierte Unwahrheiten
Die hartnäckigste Gruppe, die einen nun schon seit Jahren in sogenannten »Diskussionen« nicht zu Wort kommen lässt, sind jene, die sich trotz der freien Verbreitung von Corona und obwohl man sich heute weder testen kann, noch irgendjemand sein Gegenüber vor einer Infektion zu schützen versucht, von der »Corona-Politik« der Regierung ihrer Freiheit beraubt sehen. Man merkt zwar nicht, was sie so sehr einschränkt und worin die Freiheitsberaubung liegt. Darum scheint es aber auch nicht zu gehen.
In unserem Land lebt immer noch die Hoffnung, dass eine Unwahrheit dadurch wahr wird, dass man sie jahrelang kolportiert. Auf diese Weise ist schon Arnold Schwarzenegger zu einem Umweltschützer und Menschenfreund gemacht worden. Man lese kurz nach was er als Regierungschef Kaliforniens alles getrieben hat.
Gegen Null
Und zuletzt wächst in Österreich die Kirche der Prediger, die vor abweichenden politischen Strömungen warnen. Schon die Auswahl ihre Publikums ist meist falsch, sie halten ihre Predigten nämlich nicht denen, die sie bekehren wollen. Das mindert den Effekt ihrer Botschaft und lässt ihn gegen Null konvergieren.
Dass die FPÖ und die heutige ÖVP Rechtsparteien sind, die den Wählerinnen und Wähler in allen Punkten Dinge versprechen, die sie nach der Wahl nicht einlösen, dass sie nicht die Partei der Arbeitenden und Unternehmer, sondern die Partei der Superreichen und Oligarchen sind, das habe ich hier schon etliche Male mit Hunderten von Aussagen der Parteien selbst bewiesen. Wahrscheinlich bin ich damit dem Fehler aufgesessen, den ich hier anprangere.
Inhalte und Sachfragen
Als Vollimmunisierter gegen Propaganda freue ich mich daher über sachliche Diskussionen. Die Diskussion, die Andreas Babler über Arbeitszeitverkürzung angestoßen hat, ist etwa eine solche Sachfrage. Sie betrifft alle. Und sie ist zentral für die Frage der Gleichheit in der Gesellschaft, der gerechten Verteilung und des Schließens der sozialen Schere. Dass danach unsachlich gegen Babler polemisiert wird – man macht sich über seinen Redestil lustig, über seinen Nachnamen, man findet plötzlich eine Lenin-Büste – gehört auch zum Wesen des Predigertums: der Rundumschlag gegen Andersgläubige.
Unübersehbar und wohltuend, dass hier jemand in Zeiten von Forderungen für den Artenschutz des Schnitzels und die Heilkraft oft abgegriffener Euromünzen endlich wieder Inhalte und Sachfragen in einer politischen Diskussion einbringt. Jede und jeder, der politische und wirtschaftliche Interessen hat, kann sich daran orientieren. Es gilt nun, sich nicht ablenken zu lassen und sich nicht für Jahre in jene sinnlosen Diskussionen der Predigerkanäle verwickeln zu lassen, die keinem anderen Zweck dienen, als das Volk in einer Oligarchie von der Erkenntnis seiner Machtlosigkeit abzulenken.
Titelbild: Miriam Moné / ZackZack