Die Diskussionskultur ist im Niedergang begriffen, findet Daniela Brodesser. Anstatt respektvollem Zuhören regiert das Ablenken mit „strategisch notwendigem Unsinn“ und das persönliche Angreifen ideologischer Gegner.
Sich in eine Diskussion mit Vertretern der Wirtschaft zu setzen, vor allem mit solchen, die die Öffentlichkeit gewohnt sind, ist ungefähr so sinnvoll wie das berühmte Schachspiel mit der Taube. Die, egal ob es Regeln gibt oder nicht, ob es zum guten Ton gehört oder nicht, einfach ihr Ding durchzieht und sämtliche Schachfiguren umschmeißt.
Da gehts nicht mehr um Fakten oder Realitäten, da werden wahllos Zahlen in den Raum geworfen, die schlicht und einfach nicht stimmen oder irreführend sind. Da werden Äpfel mit Birnen verglichen und Debatten begonnen, die nicht einmal im Entferntesten mit dem Thema zu tun haben.
Und wer all das nicht gewohnt ist, wer nicht geschult ist im Ablenken, wer selbst Wert auf eine Debattenkultur legt, hat eigentlich schon verloren. Denn gegen solche Menschen kommst du eigentlich nur an, wenn du deren Spiel mitmachst. Und ebenso zur Schach spielenden Taube wirst.
Egal was, Hauptsache Redezeit!
Wo ist unsere Debattenkultur geblieben? Wo der Respekt anderen Teilnehmer*innen gegenüber. Wo der Anstand, andere ausreden zu lassen? Ist das vielleicht das neue “normal”, das Kanzler Nehammer angepriesen hat? Ein Normal, in dem es nur noch eins gibt: recht zu haben und recht zu behalten, egal ob man falsch liegt oder nicht? Ein Normal, in dem Schuldvorwürfe in den Raum gebrettert werden, ohne dem Gegenüber die Chance auf eine Antwort zu geben?
Ja, die Bundeswettbewerbsbehörde hat festgestellt, dass sich der Handel an den Teuerungen nicht bereichert hat. Gut. Aber ebenso wurde festgehalten, dass der fehlende Konkurrenzkampf zu sehr homogenen Preisen führt und dies vor allem für die untere Einkommensschicht zum Nachteil ist. Mehr Wettbewerb würde hier helfen. In Österreich, wo 4 große Konzerne 91% des Lebensmittelmarkes beherrschen, leider eine Utopie.
Auch der Preisaufschlag für Lebensmittel in Österreich, der von der BWB als „Österreichaufschlag“ bezeichnet wird, wurde von der Behörde als potenziell problematisch eingestuft. Die Thematik würde rasch an die EU-Kommission übermittelt werden.
Doch kommt man gar nicht dazu, dies anzusprechen, denn das möchte niemand hören. Und so wird die Debatte unterbrochen, wird nach einem Satz abgeschnitten, nur um dann in Richtung Eigenverantwortung abzudriften. Das Thema wird in eine Richtung gelenkt, in der es plötzlich um Wärmedämmung geht und darum, dass die Arbeitsplätze im Handel doch eh so super familientauglich wären. Es wird persönlich (Sie waren ja ein Härtefall, eine Ausnahme, da gibts nicht viele bei uns) anstatt auf die Strukturen einzugehen, weshalb sich immer mehr Menschen das Leben und den Einkauf nicht mehr leisten können.
Ganz in Fleischmann-Manier muss „strategisch notwendiger Unsinn“ valide Argumente ersetzen.
Debatten zur puren Selbstbeweihräucherung
Ich hatte mich nach Ende der Debatte unglaublich geärgert. Weil ich mir vorgeworfen habe, nicht mithalten zu können. Jetzt, mit ein paar Tagen Abstand, ist mir klar geworden – ich will das gar nicht. Ich möchte nicht jene Debatten führen, in denen es nur darum geht, am besten dazustehen. In denen es nie darum geht, sich gegenseitig zuzuhören und eventuell die Perspektiven der anderen sehen zu können. Möchte keine Debatten, in der jene am meisten Redezeit haben, die frech genug sind, andere Standpunkte einfach auszublenden. Das ist nicht meine Welt. Ich möchte wieder eine Diskussionskultur, eine, in der man Fakten auf den Tisch legen kann, ohne mit Ablenkungen oder Persönlichem konfrontiert zu werden. Leider hat diese Kultur, höchstmöglichen Unsinn und viel Belangloses einzubringen, sich bis in die höchsten Regierungskreise verbreitet und jede Diskussionsgrundlage damit meist schon im Vorfeld erstickt. Es wäre an der Zeit, das wieder zu ändern. Zeit, wieder auf eine gute Diskussionskultur zu bestehen, Menschen ausreden zu lassen, Fakten zu bringen und nicht Redezeit durch manipulative Abschweifungen zu gewinnen. Ich werde nicht mehr mit Tauben Schach spielen und vielleicht sollten das viele tun, zumindest solange bis wir alle wieder vernünftig an einem Tisch sitzen können und uns auch zuhören und ausreden lassen.
Titelbild: Christopher Glanzl