Samstag, April 27, 2024

Mit Tauben Schach spielen

Die Diskussionskultur ist im Niedergang begriffen, findet Daniela Brodesser. Anstatt respektvollem Zuhören regiert das Ablenken mit „strategisch notwendigem Unsinn“ und das persönliche Angreifen ideologischer Gegner.

Sich in eine Diskussion mit Vertretern der Wirtschaft zu setzen, vor allem mit solchen, die die Öffentlichkeit gewohnt sind, ist ungefähr so sinnvoll wie das berühmte Schachspiel mit der Taube. Die, egal ob es Regeln gibt oder nicht, ob es zum guten Ton gehört oder nicht, einfach ihr Ding durchzieht und sämtliche Schachfiguren umschmeißt.

Da gehts nicht mehr um Fakten oder Realitäten, da werden wahllos Zahlen in den Raum geworfen, die schlicht und einfach nicht stimmen oder irreführend sind. Da werden Äpfel mit Birnen verglichen und Debatten begonnen, die nicht einmal im Entferntesten mit dem Thema zu tun haben.

Und wer all das nicht gewohnt ist, wer nicht geschult ist im Ablenken, wer selbst Wert auf eine Debattenkultur legt, hat eigentlich schon verloren. Denn gegen solche Menschen kommst du eigentlich nur an, wenn du deren Spiel mitmachst. Und ebenso zur Schach spielenden Taube wirst.

Egal was, Hauptsache Redezeit!

Wo ist unsere Debattenkultur geblieben? Wo der Respekt anderen Teilnehmer*innen gegenüber. Wo der Anstand, andere ausreden zu lassen? Ist das vielleicht das neue “normal”, das Kanzler Nehammer angepriesen hat? Ein Normal, in dem es nur noch eins gibt: recht zu haben und recht zu behalten, egal ob man falsch liegt oder nicht? Ein Normal, in dem Schuldvorwürfe in den Raum gebrettert werden, ohne dem Gegenüber die Chance auf eine Antwort zu geben?

Ja, die Bundeswettbewerbsbehörde hat festgestellt, dass sich der Handel an den Teuerungen nicht bereichert hat. Gut. Aber ebenso wurde festgehalten, dass der fehlende Konkurrenzkampf zu sehr homogenen Preisen führt und dies vor allem für die untere Einkommensschicht zum Nachteil ist. Mehr Wettbewerb würde hier helfen. In Österreich, wo 4 große Konzerne 91% des Lebensmittelmarkes beherrschen, leider eine Utopie.

Auch der Preisaufschlag für Lebensmittel in Österreich, der von der BWB als „Österreichaufschlag“ bezeichnet wird, wurde von der Behörde als potenziell problematisch eingestuft. Die Thematik würde rasch an die EU-Kommission übermittelt werden.

Doch kommt man gar nicht dazu, dies anzusprechen, denn das möchte niemand hören. Und so wird die Debatte unterbrochen, wird nach einem Satz abgeschnitten, nur um dann in Richtung Eigenverantwortung abzudriften. Das Thema wird in eine Richtung gelenkt, in der es plötzlich um Wärmedämmung geht und darum, dass die Arbeitsplätze im Handel doch eh so super familientauglich wären. Es wird persönlich (Sie waren ja ein Härtefall, eine Ausnahme, da gibts nicht viele bei uns) anstatt auf die Strukturen einzugehen, weshalb sich immer mehr Menschen das Leben und den Einkauf nicht mehr leisten können.

Ganz in Fleischmann-Manier muss „strategisch notwendiger Unsinn“ valide Argumente ersetzen.  

Debatten zur puren Selbstbeweihräucherung

Ich hatte mich nach Ende der Debatte unglaublich geärgert. Weil ich mir vorgeworfen habe, nicht mithalten zu können. Jetzt, mit ein paar Tagen Abstand, ist mir klar geworden – ich will das gar nicht. Ich möchte nicht jene Debatten führen, in denen es nur darum geht, am besten dazustehen. In denen es nie darum geht, sich gegenseitig zuzuhören und eventuell die Perspektiven der anderen sehen zu können. Möchte keine Debatten, in der jene am meisten Redezeit haben, die frech genug sind, andere Standpunkte einfach auszublenden. Das ist nicht meine Welt. Ich möchte wieder eine Diskussionskultur, eine, in der man Fakten auf den Tisch legen kann, ohne mit Ablenkungen oder Persönlichem konfrontiert zu werden. Leider hat diese Kultur, höchstmöglichen Unsinn und viel Belangloses einzubringen, sich bis in die höchsten Regierungskreise verbreitet und jede Diskussionsgrundlage damit meist schon im Vorfeld erstickt. Es wäre an der Zeit, das wieder zu ändern. Zeit, wieder auf eine gute Diskussionskultur zu bestehen, Menschen ausreden zu lassen, Fakten zu bringen und nicht Redezeit durch manipulative Abschweifungen zu gewinnen. Ich werde nicht mehr mit Tauben Schach spielen und vielleicht sollten das viele tun, zumindest solange bis wir alle wieder vernünftig an einem Tisch sitzen können und uns auch zuhören und ausreden lassen.

Titelbild: Christopher Glanzl

Daniela Brodesser
Daniela Brodesser
Daniela Brodesser macht als Autorin den Teufelskreis der Armut sichtbar und engagiert sich persönlich gegen armutsbedingte Ausgrenzung und Verzweiflung.
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19 Kommentare

  1. Der Befund ist völlig richtig. Politiker, die keine zwei sachlichen Wortwechsel zustandebringen und reihenweise Interviewtermine absagen, offenbaren damit ihre Überforderung. Eine Partei, die systematisch “Strategisch notwendigen Unsinn”, auf Deutsch: die Desinformation des Sourveräns, betreibt, ist für Demokraten nicht wählbar.
    In einem Taubenkopf steckt allzu oft nur ein Taubenhirn.

  2. Im ZackZack Taubenschlag funktioniert die Kommunikation.
    Die Kommunikation von Taube zu Taube und das tägliche Aufpicken der immer gleichen Körner füllt manchen leeren Magen.

  3. Mit einer solchen destruktiven Diskussionsführung lassen sich auch keine konstruktiven Debatten führen. Gewinnen kann der, der mit dem Status quo zufrieden ist, also keine Veränderungen wünscht. Es geht also nicht nur um Ego sondern um Erhalt einer Position.

  4. Was sie hier beschreiben ist die aktuelle Kommunikation mit fast allen Behörden dieses Landes.
    Da aber die Medien nicht funktionieren und für deren lauten Schweigen auch noch gekauft wurden, kann man und damit einhergehend eben auch die Öffentlichkeit in diesem Lande, nirgends, ausser auf ihrem Beitrag, überhaupt von diesen unfasslichen Misständen und diesem notorischen Dauerbehördenversagen etwas erfahren.
    Ja aber wohin kann man sich dann aber denn noch dagegen wenden?

  5. Es geht um simple, plumpe, momentane Meinungs-Hoheit, s.g. Fr. Brodesser. Meinung, die nicht zwingend mit augenblicklich faktenbasierter Realität oder konkreten Anliegen zu tun haben muss, weil sie offenkundig überwiegend nur einem intendierten (verhohlenen) Systemwechsel dient. Pluralistische Diskussionsformate / Debatten werden so als unidirektionales Meinungsportal missbraucht. Macht braucht keine Fakten / Probleme / Lösungswünsche, Macht braucht nur Bühne für Ohnmächtige. Es geht um eine breitflächig subventionierte Meinungs-Hoheit, die man (inzwischen) gewohnheitsgemäß beliebig mächtig ins Land fluten kann. Im (lobbysierten) überheblichen Selbstverständnis also um grundsätzlich assymetrisch installierte Machtverhältnisse, die diskursvermeidend nicht nachhaltig apodiktisch (wahrheitsbezogen evident und unumstösslich) argumentativ – Gott behüt’ gar empathisch!? – in die Agenda eingebracht werden (müssen), sondern nur mehr vollendete Tatsachen endergebnisorientiert wahrgenommen (sollen). Diktate also, unmissverständlich gerichtet an “den Rest” in völliger Ignoranz jeweiliger Situationsgegebenheit. Werden Repräsentant*innen dieser Meinungs-Macher*innen in ein themenbezogen ergebnisoffenes Interview zB auf den Küniglberg ohne vorheriges Briefing geladen, glänzen sie daher zumeist durch Abwesenheit – oder erscheinen alternativ angriffig in einem konfrontativen “Duell-Modus”, so wie es unser Paradeunteroffitschier auch gerne noch betont – oder auch bauen sich nur mehr eigene Paralleluniversen in deren Social-Kanälen. Es geht in diesen Kommunikations-Schemata nicht mehr um ein durch Wahlen gewonnenes Mandat (des zahlenden Publikums) zur Rechtfertigung in redlicher Umsetzung liberaldemokratisch mehrheitlicher Verantwortung, nein, in Wahldemokratien geht es nur mehr um die taktische und strategische Umsetzung der “Programme” (deren Punkte) für eigene ideologische Befindlichkeiten, nur mehr deren Großspender*innen verpflichtet. Logisch nur Minoritäten Klientell bezogen… (auch die Rhetorikkurse dazu werden vom Publikum bezahlt – wobei, bei manchen rausgeworfenes Steuergeld)

  6. Genau deshalb stehen wir in Österreich wo wir stehen. Aus der Politik ist ein “Schaulaufen” statt einer “Leistungsschau” geworden. Davon abgesehen gibt es auch immer weniger Personen, die Argumente in eine tragfähige konstruktive Lösung umwandeln können. Was nützt eine Debatte, wenn nie etwas dabei herauskommt, so wie es eigentlich der ureigenste Sinn und Zweck einer Debatte wäre. Diese Debatten nur um der Debatte willen sind auf Dauer unsinnig und zeitverschwendend und dienen ja nicht einmal mehr dazu, das Verständnis für den jeweils anderen Teilnehmer zu erlangen. Sie bieten nur verzichtbaren Protagonisten eine Bühne die an Lösungen ohnehin nicht interessiert sind und auch keine anbieten können. Und warum lädt man eine Eva Schütz zu “im Zentrum” ein? Eine Frau die vielleicht 1% der Bevölkerung repräsentiert? Viel Geld zu haben ist ja nicht gleichbedeutend damit, wirtschaftliche Kompetenz zu haben, eben so wenig wie ein Studium im turbokapitalistischen Amerika, das seine Bürger massenhaft auf seinen Straßen vegetieren lässt. Am aller schlimmsten sind Debattenteilnehmer denen der Drill der jeweiligen Parteiakademie aus jeder Pore dringt. Das sind Marktschreier, die nur ihre jeweilige politische Indoktrination verkaufen wollen.

  7. der vollständigkeit halber – das zitat mit den schachspielenden tauben stammt von eric cantona als antwort auf rassisten:
    ‘Arguing with them is like playing chess with a pigeon.’

    nico semsrott von “der partei” hat das dann so ins deutsche übersetzt:
    Mit Rassisten diskutieren, das ist, wie mit einer Taube Schach spielen: Egal wie gut du bist, egal wie sehr du dich anstrengst, am Ende wird die Taube aufs Spielfeld kacken, alles umschmeißen und umherstolzieren, als hätte sie gewonnen.

    • Ich bezeichne ein solches Verhalten gerne auch als “dumm-dreist” ( was ja besonders gut zu eingefleischten Anhängern rechts gerichteter Volkskanzler passt, wie ich finde).

  8. Apropos Ablenkung:

    https://www.derstandard.at/story/3000000193656/kurz-prozess-schmid-sagte-zeugenaussage-f252r-17-november-ab

    Schmid sagt als KRONZEUGE einen Gerichtstermin ab, weil er im Ausland ist. Ein Gerichtstermin ist ein Grund anzureisen.

    Liebe Behörden, es ist durchaus angebracht den Typ herzubeordern. Wenn nötig, per Haftbefehl wegen Flucht- und Verdunklungsgefahr. Er ist KRONZEUGE in einem äußerst brisanten österreichweit bekannten Verfahren. Und dann kann er sich entschuldigen “Ups, da bin ich nicht da, vielleicht bin ich im Dezember mal zufällig in Österreich. Wenn ich dann nicht mit Grippe darniedet lieg.”????
    Ich sag ja nix, wenn es sich um irgendein Pfufferlverfahren handelt, wo es um nix geht und er ganz normaler Zeuge ist. Aber er ist KRONZEUGE.

    • KRONZEUGE aber in einem Verfahren in dem es um Falschaussage im U-Ausschuss geht. Meines Wissens nach ist das nicht einmal strafbar und politische Korruption ist in Österreich ohnehin ein Kavaliersdelikt.

      • Kurz drohen bis zu drei Jahre Haft. Es ist definitiv strafrechtlich relevant. Es ist nicht wurscht, ob ein Politiker bei Wahrheitspflicht lügt oder nicht.

        • Leider litt der arme Herr Kurz aber unter einem “Aussagenotstand” und damit kann man sich das Geld für diesen Prozess sparen.

          • Die (schwindlige) Option hätt er gehabt, doch hat er sie ausgeschlagen…. Womit es jetzt hart auf hart kommt.

          • @ Sig….vielleicht hat die ÖVP dem Schmid ja was geboten, wenn er sich äh…..der ganzen Sache entzieht. Vielleicht war das ein besseres Angebot als das was die Gerichte ihrem “Kronzeugen” geboten haben? Oder aber dem Schmid seine Großmutter ist verstorben und er musste deshalb dringend weg…

        • Immerhin hat sich Sugar Daddy Peter Thiel nunmehr wenigstens von Donald Trump distanziert. Er wird Trump nicht mehr finanziell pampern.
          Das neueste Thiel Startup Palantir ( CIA Spyware ) entwickelt sich stabil. Davon dürfte auch Kurz profitieren. Wenn dann bald die Ersten Geschäfte mit der Republik eingefädelt sein werden, wird ein bedingtes Urteil weder Sugar Daddy Thiel noch Kurz kratzen!

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