Samstag, Januar 25, 2025

Rohe Bürgerlichkeit, Armutsbetroffene und purer Klassismus

Daniela Brodesser rückt die Burgerempfehlungen von Kanzler Nehammer in den richtigen Kontext und offenbart den ignoranten Klassismus der Kanzlerpartei.

Gleich einmal vorweg: begonnen bei Nehammers Burgervideo bis hin zu den Debatten, Erklärungen, Ratschlägen, der verletzten Fürsorgepflicht und den Drohungen mit dem Jugendamt – all das ist weder für mich noch für all die unzähligen Armutsbetroffenen neu. Diese Abwertungen und pauschalen Verunglimpfungen hören und lesen wir seit Jahren. All das habe ich jahrelang erlebt und all das war verantwortlich dafür, dass es zuerst jahrelangen Rückzug bedeutet, aber schlussendlich dazu geführt hat, offen über diese Beschämungen zu sprechen.

Lange unter der Oberfläche

Was hier nun in der breiten Masse ankommt und sich in etlichen Tweets oder Tikoks in Form von Aufregung oder Lächerlichmachen ausdrückt, ist unser Alltag. Einer, der bis vor kurzem eher im Verborgenen blieb.

Diese Verrohung von Menschen, die sich lächerlich machen, da es ja angeblich keine Armut gebe, die gibt es nicht erst seit dem Nehammer Video. Die brodelt schon sehr lange unter der Oberfläche. Bisher bekamen das meist nur die Betroffenen zu spüren.

Bewusstes Runterspielen

Armut gibt es bei uns nicht, meinte in der sonntäglichen Pressestunde auch Arbeitsminister Kocher. Und unterstützt damit den Spin Nehammers: Armut, das findet weit weg von uns statt, wir sollen doch bitte nicht jammern, uns ginge es ja gut. Natürlich stimmt es, dass bei uns kein Kind verhungern muss. Aber das ist auch schon der einzige Anspruch der anscheinend in Bezug auf Armutsbekämpfung besteht.

Armut bedeutet nämlich, durch fehlende Ressourcen Möglichkeiten nicht wahrnehmen zu können, es bedeutet Mangelernährung, fehlende Teilhabe, die wiederum fehlende soziale Netzwerke bedeuten.

Armut bedeutet Bildungsungleichheit und Unsicherheit. Armut bedeutet auch, sich die Reparatur vom Auto nicht leisten zu können, die kaputte Waschmaschine nicht ersetzen zu können oder immer wieder mal tagelang ohne Strom zu sein, weil er gesperrt wurde.

Zwei Klassen

Wir haben noch immer ein Bild über Armut, das nicht der Realität entspricht. Während also manche bei hochpreisigem Wein armen Eltern empfehlen, ihren Kindern doch einen Burger zu kaufen (was besonders ironisch ist, weil Fastfood dermaßen teuer ist, dass es für meine Kinder immer etwas Besonderes war) übersehen sie das eigentliche Problem: ihre Kinder gehen auf die besten Schulen, bekommen jede Unterstützung, die notwendig ist, um einen guten, zukunftsträchtigen Abschluss zu haben. Ihre Kinder können die Unis wählen, die für sie am besten sind, ihre Kinder werden niemals wissen was Mangelernährung ist und damit einhergehende Konzentrationsschwächen oder gar chronische Erkrankungen sind ihnen fremd. Ihre Kinder haben Perspektiven und wachsen auf mit dem Selbstbewusstsein, alles erreichen zu können. Weil die Voraussetzungen gegeben sind.

Kinder, die nicht mit diesem Glück gesegnet sind, die das Pech hatten, in arme Familien geboren zu werden, wachsen auf mit dem Wissen, dass der eigene Gestaltungsfreiraum dort endet, wo Kosten beginnen. Sie sehen die Perspektivlosigkeit der Eltern, die zwar alles versuchen, aber nicht vom Fleck kommen. Sie sehen, egal wie sehr man sich bemüht: du brauchst nur krank werden oder den Job verlieren und du suchst im Supermarkt wieder das -50%-Regal, weil alles andere das Budget sprengt.

Mythos vom sozialen Aufstieg

Armut in Österreich bedeutet eben nicht, zu verhungern, sondern jeglicher Chancen beraubt zu werden. Und als Dank dazu pauschal abgewertet und verunglimpft zu werden.

Armutsbetroffene sind in den Augen dieser rohen Bürgerlichen doch nur selbst schuld. Warum eigentlich? Es ist ganz einfach: sie kennen diese Welt nicht. Sie denken, wer sich bemüht, muss das doch schaffen. Weil es bei ihnen so war. Sie vergessen, dass nicht alle mit den gleichen Chancen aufwachsen. Sei vergessen wie es ist, in einem Umfeld aufzuwachsen, in dem es keine Chancen gibt. Denn sozialer Aufstieg ist und bleibt ein Mythos und nur die allerwenigsten schaffen ihn.

Kinder hungern? Muss doch Verwahrlosung sein, oder?

Nun reicht die Abwertung anscheinend nicht. Nein, jetzt muss der Kanzler höchstpersönlich noch einen Gang härter schalten: er framed Eltern, deren Kinder hungrig zur Schule gehen, als verantwortungslos. Als solche, die ihre Fürsorgepflicht nicht wahrnehmen. Auch das ist ein längst bekanntes Spiel. Genau das haben wir und tausend andere Familien bereits erlebt. Dein Kind kommt mit abgetragenen Schuhen in die Schule? Dein Kind ist still? Anstatt mit uns darüber zu sprechen, hat man das Jugendamt eingeschaltet. Zu unserem Glück war die Sozialarbeiterin damals bereits gut informiert über Armut, hat lange Gespräche geführt und zum Schluss der Direktorin die Meinung gesagt. Bei uns lief es gut. Aber so ist es nicht immer. Denn auch Jugendämter sind dem Klassismus verfallen und urteilen oft rein anhand der finanziellen Verhältnisse einer Familie. Dein Kind ist auffällig? Du bist arm? Dann machst du was falsch. Dann liegt es an dir, dass es deinem Kind nicht gut geht. Wenn du nicht ausreichend für dein Kind sorgen kannst, müssen wir uns eine andere Form der Unterbringung überlegen. Glaubt Ihr nicht? Das und noch härtere Aussagen erleben Armutsbetroffene regelmäßig.

Hast du hingegen keine finanziellen Probleme, wird der Ton ein ganz anderer. Beziehungsweise schaltet sich dann ein Jugendamt nur selten ein. Weil es doch klar ist, dass arme Eltern ihre Kinder verwahrlosen lassen, oder? Es ist ein Machtverhältnis, dem Betroffene ausgeliefert sind und gegen das sie nur selten angehen können. Natürlich gibt‘s auch jene Mitarbeiter*innen, die armutssensibel sind, und sie werden immer mehr. Dennoch bleibt diese Angst davor, als schlechte Eltern dazustehen, und plötzlich der Macht eines Amtes ausgeliefert zu sein, bestehen. Menschen ohne finanzielle Sorgen werden diese Angst selten bis nie kennen lernen.

Das drohen mit dem Jugendamt ist vor allem für Armutsbetroffene ein weiterer Tiefpunkt dieser Kanzlerpartei. Aber wie gesagt, längst nichts Neues. Man hat es bisher nur nie so öffentlich wahrgenommen.

Halbwissen, das Panik verursacht!

Arme Kinder und deren Eltern – ein Bild, das hierzulande noch immer von Vorurteilen, Halbwissen und bewussten Falschinformationen geprägt ist. Der Satz der damaligen Volksschuldirektorin, „wenn Sie Ihrem Kind nicht täglich ausreichend gesunde Jause mitgeben können (durfte nur Vollkorn sein!) und für neue Schuhe sorgen können, dann müssen wir uns an das Jugendamt wenden. Denn dann sind Sie nicht fähig, für ein Kind zu sorgen“, hallt bis heute in mir nach und löst jedes Mal, wenn das Wort Jugendamt fällt, eine Panik in mir aus.

Armut hat nichts mit Verwahrlosung zu tun, sondern mit fehlenden Ressourcen, mangelnden Möglichkeiten und erhöhter Dauerbelastung.

Eine Kanzlerpartei, die nicht dafür sorgt, dass Kinder endlich die gleichen Chancen bekommen, die nur Arme bekämpft und nicht Armut, die hat ihre Fürsorgepflicht verletzt. Denn sie wäre zuständig für unsere Gesellschaft. So wie es Eltern für ihre Kinder sind.

Doch wem dank struktureller Bedingungen die Möglichkeiten und Perspektiven fehlen, kann sich noch so sehr bemühen. Das Kind wird immer wieder die Toastbrotzeit kennen.

Und zu den Rezepttipps: nett gemeint ist oft der kleine Bruder von „dir muss man alles erklären, weil du sonst nichts checkst”. Denken manche wirklich, wir würden nicht kochen können? Oder uns Rindsschnitzel leisten? Oder täglich ein dreigängiges Menü liefern lassen? Man kauft meist das, was in Aktion ist und versucht damit, das Beste daraus zu machen. Wir sind Weltmeister im Improvisieren. Wahrscheinlich könnten Armutsbetroffene Gasthäuser höchst effizient führen, hätten sie die Chance dazu. Aber die haben sie eben nicht.

Also verschont uns bitte mit gut gemeinten Rezepten, wir kennen sie alle! Danke. Stattdessen könnten wir über die Bedingungen sprechen, wie wir Kinderarmut in den Griff bekommen. Ohne Pauschalvorurteile, ohne Übergriffigkeiten, ohne Abwertungen. Auf Augenhöhe. Das scheint unserem Kanzler jedoch schwer zu fallen.

Titelbild: Christopher Glanzl

Autor

  • Daniela Brodesser

    Daniela Brodesser macht als Autorin den Teufelskreis der Armut sichtbar und engagiert sich persönlich gegen armutsbedingte Ausgrenzung und Verzweiflung.

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