Wider den Flirt mit dem Pessimismus: Die Wahlen 2024 könnten besser ausgehen, als viele befürchten.
Es gab einmal eine Zeit, da waren die Linken durchdrungen von Optimismus, und in der Rückschau wird das gerne als eine der Schwächen der Linken betrachtet. Es gab eine Fortschrittsseligkeit, die heute oft belächelt wird. Kritiker verweisen dabei gerne auf Karl Marx. Bei Marx gibt es bekanntlich einige Textpassagen, die man so verstehen kann, dass der Fortschritt eigentlich unaufhaltsam sei. Marx-Sätze wie „die kapitalistische Produktion erzeugt mit der Notwendigkeit eines Naturprozesses ihre eigene Negation“, wurden von manchen Interpreten als eine Art Determinismus angesehen, dass der Kapitalismus sicher untergehe und dann fix der Sozialismus folge.
Das hatte bei den Sozialisten früherer Tage dann einfach die Zuversicht genährt, dass man den Wind der Geschichte im Rücken habe, egal wie unerquicklich sich die Lage im Augenblick ausnehmen möge. Man kann darüber die Nase rümpfen, aber dieses mechanische Fortschrittsvertrauen war, wie Antonio Gramsci einmal schrieb, eine erstaunliche „Kraft moralischen Widerstands … ‚Ich bin momentan besiegt, aber die Macht der Dinge arbeitet langfristig für mich usw.‘“ Also dieser etwas pausbäckige Fortschrittsglaube mag eine Verirrung gewesen sein, aber immerhin eine produktive, eine kraftspendende. Mochten die unteren Klassen auch erniedrigt und beleidigt sein, kujoniert und einflusslos – ihre Angehörigen konnten sich doch immer aufs Neue versichern, die Zukunft wäre die ihre. War die Gegenwart noch so düster, man war sich gewiss: „Die Enkel fechten‘s besser aus!“
Flirt mit dem Pessimismus
Von diesem unerschütterlichen Optimismus ist bei den Linken faktisch aller Farben heute natürlich nur mehr wenig übrig. Mit recht: Es gibt keinen Weltgeist, der mit seiner unsichtbaren Hand die Dinge in unserem Sinne regelt. Sie können gut oder schlecht ausgehen, aber es gibt keine „historische Notwendigkeit“, dass sich alles gütlich einrenkt.
Das Problem dabei: Heute überwiegt, als wäre es eine ebenso überzogene Gegenreaktion, sehr häufig der Flirt mit dem Pessimismus. Man nimmt grundsätzlich das Schlechteste an. Es ist, angesichts der Weltläufe, ja auch durchaus verständlich. Vormarsch des Autoritären, Klimakatastrophe, Trump, Putin, Xi, Orban, AfD-Zuwächse in Deutschland.
Krieg. Jetzt auch noch Flächenbrand in Nahost. Viele gehen fest davon aus, dass 2024 übel wird. Wir sind ja alle schon krisenmüde und erschöpft.
Bei vielen löst das die trübselige Gewissheit aus, dass es auch bei uns ganz schrecklich ausgehen werde. Kommt eine schwindelige Umfrage heraus, die die FPÖ beinahe zehn Prozentpunkte in Führung sieht, dann wird diese fleißig auf Social Media geteilt und als Beweis dafür gesehen, dass alles den Bach herunter geht. Kommen dann fünf Umfragen, die allesamt zeigen, dass die SPÖ rasant aufholt, dann wird angemerkt, dass man diesen Umfragen doch nicht glauben dürfe, schließlich haben sie ja diese oder jene methodische Fragwürdigkeit.
Alle Indizien, die Optimismus stützen, werden kleingeredet, alle Indizien für Pessimismus zu unumstößlichen Fakten erklärt. Nun ist es sicherlich richtig, dass wir in Österreich in einer höchst brenzligen Situation leben. Die FPÖ liegt in den Umfragen noch immer vorne, es hat sich auch eine Wut und Raserei verbreitet, die Kickl günstig ist, sodass Meinungsforscher wie Christoph Hofinger von einer verhärteten Zustimmung zur FPÖ sprechen, die sie so noch nie erlebt hätten. Es gibt einerseits die Wut über die Inflation, andererseits hat die Corona-Politik Kickls Extremistentruppe Wählersegmente zugetrieben, die bisher für sie nicht erreichbar waren, und ein ganz allgemeines Klima des Pessimismus und der Unsicherheit begünstigt generell die rabiate „Dagegen“-Partei. Alles richtig. Wissen wir alles. Und dazu die Zornunternehmungen und die Polarisierungsgeschäftsleute auf Social Media.
Nehammer ist chancenlos…
Aber es gibt auch Gründe für Optimismus. Andi Babler ist als disruptiver Kandidat in den SPÖ-Führungswettbewerb eingestiegen, kann auf gewinnende Charakterattribute wie „integer, glaubwürdig, volksnah“ setzen, auf dieses „Politik mit Herz“, einer, „der die Menschen mag“. Simpel gesagt: „Einer von euch.“ Jetzt hakt er Punkt für Punkt seine To-Do-Liste ab. Er muss natürlich auch die SPÖ neu positionieren, das geht nicht über Nacht. Aber es wirkt schon.
Und die Wettbewerbslage, also gewissermaßen das Konkurrenzumfeld, ist viel günstiger, als die Pessimisten darstellen:
Karl Nehammer ist kein Gegner mehr. Mit seinem Videofiasko, seiner menschenfeindlichen Suada über faule Mütter und arme Kinder, die man doch zu McDonalds schicken sollte, hat er sich faktisch in einen Zustand der Chancenlosigkeit katapultiert.
Abschreckender Brandstifter Kickl
Herbert Kickl und seine Truppe radikalisieren sich immer mehr, sind von den Identitären faktisch ununterscheidbar, werden mittlerweile sogar von den Radikalinskis im eigenen Umfeld getrieben, und die persönlichen Sympathiewerte des wütenden Schreihalses sind quasi unterirdisch. Folge: Selbst für Teile seines Potentials ist er zu radikal, und zugleich stärkt er damit auch denjenigen, der dann als sein aussichtsreichster Widersacher gilt. Vergessen wir nicht: In den Rohdaten liegt die FPÖ etwas über zwanzig Prozent Zustimmung. Zugleich wird, was ja gerne übersehen wird, die Partei von rund 60 Prozent der Bürgerinnen und Bürger leidenschaftlich abgelehnt. Eine extremistische Partei, die polarisiert, kann zugleich zulegen und ihre Widersacher stärken.
Wenn es dann auf den realen Wahltermin zugeht, wird man daher wie immer die üblichen „Herding“-Effekte beim aussichtsreichsten Gegenspieler des Ultrarechts-Kandidaten haben. Und dieser „aussichtsreichste Gegenspieler“ wird nicht Karl Nehammer sein.
Kurzum, die Lage stellt sich so dar: Wir haben einerseits eine sehr brenzlige Situation, aber sie ist weit davon entfernt, aussichtslos zu sein. Die SPÖ und Andi Babler haben in den vergangenen Wochen praktisch in allen Umfragen signifikant zugelegt. Heute wissen wir zudem, dass reine Online-Umfragen die FPÖ meist sogar überbewerten. Am Ende sind kleine Differenzen Kaffeesudleserei, deshalb ist es sehr gut möglich, dass FPÖ und SPÖ mittlerweile faktisch Kopf-an-Kopf liegen.
Man hat jetzt noch etwa ein Jahr Zeit, und es ist äußerst wahrscheinlich, dass der „Herding“-Effekt am Ende der SPÖ hilft. Falls die ÖVP mit Nehammer in die Wahl geht, wird sie nicht mehr in das Spiel hineinkommen. Es ist also sehr gut möglich, um das jetzt einmal ganz vorsichtig zu skizzieren, dass die SPÖ am Ende bei 31 Prozent, die FPÖ bei 30 Prozent, die ÖVP bei 20 Prozent, und Grüne und Neos jeweils bei rund acht oder neun Prozent landen, die Kleinparteien, die wohl an der 4-Prozent-Hürde scheitern, lasse ich jetzt einmal weg. Natürlich kann das eine Prise schlechter, aber auch erheblich besser ausgehen.
Pessimismus „von Natur aus impotent“
Persönlich glaub ich ja: Wir gewinnen das – das „wir“ jetzt einmal ganz breit als das ganze Spektrum Mitte/Links verstanden, also alle, die nicht wollen, dass das Land den Bach runter geht.
Kurzum: So wie es keinen Grund für naiven Optimismus gibt, so gibt es auch keinen für pessimistische Antriebslosigkeit. Alleine die Möglichkeit einer Mehrheit jenseits von FPÖ und ÖVP sollte Energie und Lebensgeister erwecken. Denn ob aus der Möglichkeit eine Wirklichkeit wird, hängt von jedem Einzelnen und jeder Einzelnen ab. Womit wir wieder bei der politischen Bedeutung von Optimismus und Pessimismus wären: Optimismus verleiht Energie, Pessimismus lähmt, sodass die vorhandenen Möglichkeiten gar nicht ausgeschöpft werden. Victor Adler schrieb einmal in einem Brief an seinen Bruder eine Maxime auf, die wir uns eigentlich alle als großen Poster an die Wand hängen sollten: „Ich bin Optimist durch und durch, aus Temperament und aus Prinzip … Aus Prinzip, weil ich glaube, bemerkt zu haben, dass nur der Optimismus was zuwege bringt. Der Pessimismus ist seiner Natur nach impotent.“
Adler saß, als er diese Zeilen schrieb, immerhin im Gefängnis. Das mag uns in den nächsten Monaten daran ermahnen, in durchaus bequemeren Umständen ein wenig von diesem Optimismus zu entwickeln.
Titelbild: Miriam Moné / ZackZack