Freitag, April 26, 2024

Wie man Schicksalswahlen gewinnt

Wider den Flirt mit dem Pessimismus: Die Wahlen 2024 könnten besser ausgehen, als viele befürchten.

Es gab einmal eine Zeit, da waren die Linken durchdrungen von Optimismus, und in der Rückschau wird das gerne als eine der Schwächen der Linken betrachtet. Es gab eine Fortschrittsseligkeit, die heute oft belächelt wird. Kritiker verweisen dabei gerne auf Karl Marx. Bei Marx gibt es bekanntlich einige Textpassagen, die man so verstehen kann, dass der Fortschritt eigentlich unaufhaltsam sei. Marx-Sätze wie „die kapitalistische Produktion erzeugt mit der Notwendigkeit eines Naturprozesses ihre eigene Negation“, wurden von manchen Interpreten als eine Art Determinismus angesehen, dass der Kapitalismus sicher untergehe und dann fix der Sozialismus folge.

Das hatte bei den Sozialisten früherer Tage dann einfach die Zuversicht genährt, dass man den Wind der Geschichte im Rücken habe, egal wie unerquicklich sich die Lage im Augenblick ausnehmen möge. Man kann darüber die Nase rümpfen, aber dieses mechanische Fortschrittsvertrauen war, wie Antonio Gramsci einmal schrieb, eine erstaunliche „Kraft moralischen Widerstands … ‚Ich bin momentan besiegt, aber die Macht der Dinge arbeitet langfristig für mich usw.‘“ Also dieser etwas pausbäckige Fortschrittsglaube mag eine Verirrung gewesen sein, aber immerhin eine produktive, eine kraftspendende. Mochten die unteren Klassen auch erniedrigt und beleidigt sein, kujoniert und einflusslos – ihre Angehörigen konnten sich doch immer aufs Neue versichern, die Zukunft wäre die ihre. War die Gegenwart noch so düster, man war sich gewiss: „Die Enkel fechten‘s besser aus!“

Flirt mit dem Pessimismus

Von diesem unerschütterlichen Optimismus ist bei den Linken faktisch aller Farben heute natürlich nur mehr wenig übrig. Mit recht: Es gibt keinen Weltgeist, der mit seiner unsichtbaren Hand die Dinge in unserem Sinne regelt. Sie können gut oder schlecht ausgehen, aber es gibt keine „historische Notwendigkeit“, dass sich alles gütlich einrenkt.

Das Problem dabei: Heute überwiegt, als wäre es eine ebenso überzogene Gegenreaktion, sehr häufig der Flirt mit dem Pessimismus. Man nimmt grundsätzlich das Schlechteste an. Es ist, angesichts der Weltläufe, ja auch durchaus verständlich. Vormarsch des Autoritären, Klimakatastrophe, Trump, Putin, Xi, Orban, AfD-Zuwächse in Deutschland.

Krieg. Jetzt auch noch Flächenbrand in Nahost. Viele gehen fest davon aus, dass 2024 übel wird. Wir sind ja alle schon krisenmüde und erschöpft.

Bei vielen löst das die trübselige Gewissheit aus, dass es auch bei uns ganz schrecklich ausgehen werde. Kommt eine schwindelige Umfrage heraus, die die FPÖ beinahe zehn Prozentpunkte in Führung sieht, dann wird diese fleißig auf Social Media geteilt und als Beweis dafür gesehen, dass alles den Bach herunter geht. Kommen dann fünf Umfragen, die allesamt zeigen, dass die SPÖ rasant aufholt, dann wird angemerkt, dass man diesen Umfragen doch nicht glauben dürfe, schließlich haben sie ja diese oder jene methodische Fragwürdigkeit.

Alle Indizien, die Optimismus stützen, werden kleingeredet, alle Indizien für Pessimismus zu unumstößlichen Fakten erklärt. Nun ist es sicherlich richtig, dass wir in Österreich in einer höchst brenzligen Situation leben. Die FPÖ liegt in den Umfragen noch immer vorne, es hat sich auch eine Wut und Raserei verbreitet, die Kickl günstig ist, sodass Meinungsforscher wie Christoph Hofinger von einer verhärteten Zustimmung zur FPÖ sprechen, die sie so noch nie erlebt hätten. Es gibt einerseits die Wut über die Inflation, andererseits hat die Corona-Politik Kickls Extremistentruppe Wählersegmente zugetrieben, die bisher für sie nicht erreichbar waren, und ein ganz allgemeines Klima des Pessimismus und der Unsicherheit begünstigt generell die rabiate „Dagegen“-Partei. Alles richtig. Wissen wir alles. Und dazu die Zornunternehmungen und die Polarisierungsgeschäftsleute auf Social Media.

Nehammer ist chancenlos…

Aber es gibt auch Gründe für Optimismus. Andi Babler ist als disruptiver Kandidat in den SPÖ-Führungswettbewerb eingestiegen, kann auf gewinnende Charakterattribute wie „integer, glaubwürdig, volksnah“ setzen, auf dieses „Politik mit Herz“, einer, „der die Menschen mag“. Simpel gesagt: „Einer von euch.“ Jetzt hakt er Punkt für Punkt seine To-Do-Liste ab. Er muss natürlich auch die SPÖ neu positionieren, das geht nicht über Nacht. Aber es wirkt schon.

Und die Wettbewerbslage, also gewissermaßen das Konkurrenzumfeld, ist viel günstiger, als die Pessimisten darstellen:

Karl Nehammer ist kein Gegner mehr. Mit seinem Videofiasko, seiner menschenfeindlichen Suada über faule Mütter und arme Kinder, die man doch zu McDonalds schicken sollte, hat er sich faktisch in einen Zustand der Chancenlosigkeit katapultiert.

Abschreckender Brandstifter Kickl

Herbert Kickl und seine Truppe radikalisieren sich immer mehr, sind von den Identitären faktisch ununterscheidbar, werden mittlerweile sogar von den Radikalinskis im eigenen Umfeld getrieben, und die persönlichen Sympathiewerte des wütenden Schreihalses sind quasi unterirdisch. Folge: Selbst für Teile seines Potentials ist er zu radikal, und zugleich stärkt er damit auch denjenigen, der dann als sein aussichtsreichster Widersacher gilt. Vergessen wir nicht: In den Rohdaten liegt die FPÖ etwas über zwanzig Prozent Zustimmung. Zugleich wird, was ja gerne übersehen wird, die Partei von rund 60 Prozent der Bürgerinnen und Bürger leidenschaftlich abgelehnt. Eine extremistische Partei, die polarisiert, kann zugleich zulegen und ihre Widersacher stärken.

Wenn es dann auf den realen Wahltermin zugeht, wird man daher wie immer die üblichen „Herding“-Effekte beim aussichtsreichsten Gegenspieler des Ultrarechts-Kandidaten haben. Und dieser „aussichtsreichste Gegenspieler“ wird nicht Karl Nehammer sein.

Kurzum, die Lage stellt sich so dar: Wir haben einerseits eine sehr brenzlige Situation, aber sie ist weit davon entfernt, aussichtslos zu sein. Die SPÖ und Andi Babler haben in den vergangenen Wochen praktisch in allen Umfragen signifikant zugelegt. Heute wissen wir zudem, dass reine Online-Umfragen die FPÖ meist sogar überbewerten. Am Ende sind kleine Differenzen Kaffeesudleserei, deshalb ist es sehr gut möglich, dass FPÖ und SPÖ mittlerweile faktisch Kopf-an-Kopf liegen.

Man hat jetzt noch etwa ein Jahr Zeit, und es ist äußerst wahrscheinlich, dass der „Herding“-Effekt am Ende der SPÖ hilft. Falls die ÖVP mit Nehammer in die Wahl geht, wird sie nicht mehr in das Spiel hineinkommen. Es ist also sehr gut möglich, um das jetzt einmal ganz vorsichtig zu skizzieren, dass die SPÖ am Ende bei 31 Prozent, die FPÖ bei 30 Prozent, die ÖVP bei 20 Prozent, und Grüne und Neos jeweils bei rund acht oder neun Prozent landen, die Kleinparteien, die wohl an der 4-Prozent-Hürde scheitern, lasse ich jetzt einmal weg. Natürlich kann das eine Prise schlechter, aber auch erheblich besser ausgehen.

Pessimismus „von Natur aus impotent“

Persönlich glaub ich ja: Wir gewinnen das – das „wir“ jetzt einmal ganz breit als das ganze Spektrum Mitte/Links verstanden, also alle, die nicht wollen, dass das Land den Bach runter geht.  

Kurzum: So wie es keinen Grund für naiven Optimismus gibt, so gibt es auch keinen für pessimistische Antriebslosigkeit. Alleine die Möglichkeit einer Mehrheit jenseits von FPÖ und ÖVP sollte Energie und Lebensgeister erwecken. Denn ob aus der Möglichkeit eine Wirklichkeit wird, hängt von jedem Einzelnen und jeder Einzelnen ab. Womit wir wieder bei der politischen Bedeutung von Optimismus und Pessimismus wären: Optimismus verleiht Energie, Pessimismus lähmt, sodass die vorhandenen Möglichkeiten gar nicht ausgeschöpft werden. Victor Adler schrieb einmal in einem Brief an seinen Bruder eine Maxime auf, die wir uns eigentlich alle als großen Poster an die Wand hängen sollten: „Ich bin Optimist durch und durch, aus Temperament und aus Prinzip … Aus Prinzip, weil ich glaube, bemerkt zu haben, dass nur der Optimismus was zuwege bringt. Der Pessimismus ist seiner Natur nach impotent.“

Adler saß, als er diese Zeilen schrieb, immerhin im Gefängnis. Das mag uns in den nächsten Monaten daran ermahnen, in durchaus bequemeren Umständen ein wenig von diesem Optimismus zu entwickeln.

Titelbild: Miriam Moné / ZackZack

Robert Misik
Robert Misik
Robert Misik ist einer der schärfsten Beobachter einer Politik, die nach links schimpft und nach rechts abrutscht.
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11 Kommentare

  1. Herr Misik versucht mittels Zweckoptimismus den Wahlsieg Bablers und der SPÖ herbeizuschreiben und hat natürlich Recht, dass heute ein Jahr vor der Nationalratswahl noch gar nichts verloren oder gewonnen ist.
    Und dass der Pessimist meistens rechts denkt und wählt und der Optimist politisch eher links geortet werden kann, ist auch zutreffend.
    Doch was mir heute überhaupt abzugehen scheint in der gesellschaftlichen und politischen Debatte, das ist weniger der Optimismus als die Begeisterungsfähigkeit und der Enthusiasmus für einen neuen Kurs in eine bessere Zukunft.
    Hoffentlich irre ich mich, aber mir scheint, auch Herrn Babler ist diesbezüglich schon etwas die Luft ausgegangen.

    • Mal eine richtig provozierende Frage… Wenn Links die FPÖ verhindern will, denken die dann nicht auch pessimistisch ?
      Bin neugierig auf die Interpretationen dieser Aussage 🙂
      Also SO einfach scheint mir die “Schublade” Optmist-Pessimist nicht zu sein ..

  2. Aber es gibt auch Gründe für Optimismus. Andi Babler ist als disruptiver Kandidat in den SPÖ-Führungswettbewerb eingestiegen, kann auf gewinnende Charakterattribute wie „integer, glaubwürdig, volksnah“ setzen, auf dieses „Politik mit Herz“, einer, „der die Menschen mag“. Simpel gesagt: „Einer von euch.“

    Dann kommen die Medien, von Schwürkis gesponsert, Kübeln die korrupte Truppe hoch und patzen die Opposition an….wie 2019 wirds 2024 wiederholt.
    Und die Medien machen fleissig mit….

    • So sehr ich es bedauere, die Attribute integer und glaubwürdig für Babler voran zu stellen, halte ich für sehr gewagt!
      ( Lebenslauf? Doppelfunktion, Bürgermeister und Kommunikationschef, Versäumnisse in der Bürgermeisterfunktion, …)
      Darüber hinaus die für einen Genossen typische „linke Parteifreundschaft“ die parteiintern mit dem Gruß „Freundschaft“ konterkariert wird.

    • Eh klar.
      Babler als charmanter, empathievoller Anführer.. Erinnert mich an Kurz in seinen Anfängen.
      Das ist jetzt keine linke oder rechte Persönlichkeitseigenschaft, sondern rein menschlich gesehen.

    • @Surfer
      Das würde ich nicht unterschreiben, denn der dicke und der junge Fellner sind ja schon seit dem ersten Tag Bablers als Parteiobmann derart angetan, dass man grad meinen könnte die Roten als neuen Sponsor von oe24 zu haben.

  3. Aber:
    die SPÖ wird es wieder schaffen, auch einen vielleicht aussichtsreichen Kandidaten Babler intern zu schwächen!

    Dazu sind zwei Landesfürsten wie Ludwig und Doskozil locker imstande.

    Ich befürchte, diese SPÖ Granden sind zu egoistisch, um über ihren Bundesländerteller mit selbst gekochtem Eintopf hinauszuschauen.

  4. Wie das Super-Wahljahr 2024 ausgehen wird (Europawahl, NR-Wahl, Landtagswahlen in Stmk und Vlbg) hängt mMn davon ab, ob sich die Wähler*innen (das 1/6 nicht Wahlberechtigter in unserem Lande Lebenden aussen vorgelassen) für oder wider des Verlassens eigener Komfortzone(n) entscheiden werden. Ab Mitte rechts, die bürgerlich-konservativen Reformblockierer*innen und die rechtsrechten Grundsatz-Nein-Sager-Blockier*innen werden ihr Komfortzonen wohl nicht verlassen wollen. Es lässt sich einfach in eigener Komfortzone bleiben, wenn man nur eng genug im Lagerdenken abgeschirmt zusammenrückt. Wohin diese regierungszentriert delegierte Komfortzone führt, ist an der wahldemokratischen Abhängigkeit von neoliberal gesteuerten Industrieinteressen in unternehmensfreundlicher Wirtschaftspolitik abzulesen und internationaler Abgeschotetheit im neutralen Inselbetrieb auf Kosten einer zeitgemäßen Bildungs-, Kinder- und Gesundheitspolitik. Nämlich zugunsten einer Minderheit auf Kosten einer Mehrheit, welche dessen Komfortzone dafür verlassen muss(te). Ab Mitte links heisst es für eine zukünftig partizipative Regierungspolitik eigene Komfortzone(n) in partikularen gesellschaftlichen Einflusszonen zu verlassen, um die in Klassen seggregierter Gegenwartwieder eine kollektiv humanistische Zukunft zu transformieren. Komfortzonen die zur grünen Energiewende, Umwelt- und Klimapolitik, digitalisierte Arbeitswelt, Migrationspolitik, einer anstehenden EU-Reform, verschärfter Wettbewerb in den globalen Wirtschaftsräumen usw. verlassen werden müssen.

    Werden Herr und Frau Österreicher*in ihre kakanisch anerzogene Lamoyanz in eine gesellschaftlich proaktive Teilnahme ändern können?

    Das wird ungewohnt viel an Aufwand an Überzeugungsarbeit zum Verlassen individueller Komfortzone(n) für die politisch Werbenden bedeuten. Instrumente wie zB der ORF wurden im richterlichen Urteil nun dazu verpflichtet, ihre Gremien im gesetzlich politisch unabhängigen Auftrag zu reformieren, was diese Arbeit prominenter an die Oberfläche öffentlicher Wahrnehmung spülen wird. (OK, Schmähammer wurde vermutlich im Gegentausch dafür seiner Cuba-Libre-Affaire ledig) Eine Bundeswettbewerbsbehörde wurde dieser Tage auch (wieder) leitend besetzt, ein Informationsfreiheitsgesetz wurde in der ersten Etappe als Vorschlag in diskutante Beschlussfassung gebracht – also auch die Blockierer*innen haben ihre Komfortzone(n) langsam peu à peu zu verlassen…

  5. Die „Intelligenz“ der Österreicher wird wohl noch auf eine Harte Probe gestellt werden. Bleibt zu befürchten, daß die Dummheit aus dieser Schicksalswahl als Sieger hervorgeht.
    Für Einen korrupten Ignoranten wurden schon folgende Domains reserviert:
    teamkurz24 at
    listekurz24 at
    team-kurz2024 at
    team-kurz24 at
    liste-kurz2024 at
    liste-kurz24 at
    Es ist, wie bei den Kurzfilmen nicht wirklich bekannt, wer dahinter steckt!
    OE24 würde gut passen, denn das Beinschabtool lebt!
    Die ÖVP hat sich tatsächlich bis heute nicht vom Möchtegern Austrokraten distanziert!

    • wenn schon sollte man den ganzen artikel zitieren…….. ( abgesehen davon, dass ich auch davon ausgehe, dass bastifantasti wieder kommt, nicht umsonst lässt man mc nehammer von einen fettnapf in den anderen treten )

      “Domain-Grabbing nicht unüblich im politischen Kontext

      Allzu große Hoffnung sollten sich seine Anhängerinnen und Anhänger aber nicht machen. Denn der Grund, warum sich bereits jetzt jemand diese Domains gesichert hat, dürfte finanzieller Natur sein.
      Würde der Altkanzler nämlich tatsächlich antreten und dafür eine der genannten Websites nutzen wollen, müsste er diese (vermutlich) teuer vom jetzigen Eigentümer erwerben. Domain-Grabbing nennt sich dieses Phänomen. Internetadressen werden bei diesem Geschäftsmodell nur deshalb erworben, um die Inhaberrechte lukrativ weiterzugeben.”

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