Samstag, Juli 27, 2024

Sie werden nicht durchkommen

Die Wahlergebnisse der FPÖ fallen in Serie schlechter aus, als ihr die Umfragen prophezeien. Das sollte dem demokratischen Österreich Schwung geben.

Die Angstlust ist die Schwester des Fatalismus. Die FPÖ liegt in sogenannten „Umfragen“ seit Monaten voran und platzt beinahe vor Selbstüberschätzung. Und auf der anderen Seite starren alle erschrocken auf Russen-Herbert Kickl und seine Fahnenfuchtler, voller Gänsehaut und zittrig, angesichts dessen, was uns bevorstehe.

Angstlust nennen das die Psychologen, diese zwiespältige Gefühlslage, bei der der Schrecken zugleich mit einer verrückten Form von Erregung verbunden ist. So wie bei einem Horrorfilm, der einen fasziniert, und bei dem man zugleich den Kopf unter der Tuchent verstecken will. Nicht wenige sind von einem Fatalismus befallen, ganz fest überzeugt, dass das alles einfach ganz schlecht ausgehen wird. Ganz sicher.

Die Pessimisten haben aber noch nie etwas weitergebracht.

Und es gibt keinen Grund für Fatalismus. Das haben zuletzt die Gemeinderatswahlen im Bundesland Salzburg gezeigt, speziell – aber nicht nur – die in der Stadt Salzburg. Und am vergangenen Wochenende die Gemeinderatswahlen in Innsbruck. Klar, all das sind lokale Wahlen mit sehr lokalen Eigenheiten. Aber es gibt auch ein paar bemerkenswerte Phänomene, die sich generalisieren lassen.

Nach Salzburg jetzt auch Innsbruck: Ein Debakel für die FPÖ

Zunächst und insbesondere: Die Bäume der FPÖ wachsen bei weitem nicht in den Himmel. Bei beiden Wahlen blieben die Orban- und Putin-Verehrer weit unter ihren Erwartungen, und auch weit unter den Prognosen in den Umfragen. Das war in Salzburg besonders augenfällig, denn die Umfragen waren für die anderen Parteien relativ akkurat – nur die FPÖ war dramatisch überschätzt. Man hatte vorher mit 16 Prozent gerechnet. Geworden sind es dann etwas mehr als zehn Prozent. Ähnlich ernüchternd für die Kickl-Leute war der Wahlgang in Innsbruck. Da rechneten sie sich sogar gute Chancen auf Platz eins aus. 2018 hatten sie ja schon 18 Prozent erreicht. Und sie sahen sich auf einer Gewinnerwoge, so dass sie fix mit Zuwächsen rechnen konnten. Nicht nur die FPÖ ging davon aus. Eigentlich war das die allgemeine Erwartung. Und dann gewann die FPÖ gar nichts dazu, sie verlor sogar gegenüber 2018 über drei Prozentpunkte.

Bemerkenswert: Die allgemein verbreitete Stimmung – und dann das reale Wahlverhalten der Bürgerinnen und Bürger, sie weichen dramatisch voneinander ab. Veröffentlichte Meinung und öffentliche Meinung, wie zwei unterschiedliche Galaxien.

In Salzburg war die KPÖ bärenstark, und obwohl das üblicherweise dramatisch auf Kosten der Sozialdemokraten geht, geschah dort etwas Bemerkenswertes: SPÖ und KPÖ fuhren ein gutes Ergebnis ein, zusammen mehr als 50 Prozent. Der Sozialdemokrat gewann dann die Stichwahl zum Bürgermeister gegen den KPÖ-Kandidaten.

SPÖ-Kandidaten gewannen auch in verschiedenen anderen Gemeinden, in denen man das teilweise nie für möglich gehalten hätte.  

In Innsbruck verteidigten die Grünen Platz Eins, der grüne Bürgermeister ist jetzt in der Stichwahl, während die FPÖ und der türkise Kandidat der offiziellen ÖVP arg zerzaust wurden. Aber es tat sich auch darüber hinaus Beachtliches: die SPÖ, in Innsbruck eigentlich seit Jahren in einem beklagenswerten Zustand, gewann von zehn Prozent auf über 13 Prozent dazu und liegt nur mehr knapp hinter der FPÖ. Wirklich niemand hatte das erwartet. Und zwei Linkslisten, KPÖ und ALI, kamen zusammen auf spektakuläre elf Prozent.

Die FPÖ ist in Umfragen offenbar chronisch überschätzt

All das ist auch wegen der psychologischen Wirkung nicht unbedeutend: Wenn die FPÖ in allen Umfragen deutlich besser steht als dann in den realen Wahlen, dann darf durchaus angenommen werden, dass das auch für die verschiedenen anderen Umfragen gilt. Die FPÖ ist mittlerweile offenbar chronisch überschätzt. Man erklärt uns, sie liege seit mehr als einem Jahr ununterbrochen voran. Was, wenn das nicht einmal wahr ist?

Womöglich ist es ja ganz einfach: Am Ende wollen die Wähler und Wählerinnen dann doch keinen irren Radikal-Kurs wie den von Kickl und seiner Truppe. Vielleicht ist es ja tatsächlich so: „Kickl wirkt“, aber anders, als er sich das gedacht hat. Er schreckt die Menschen ab. Was immer so die Werte, Meinungen und politischen Emotionen der Leute sein mögen, am Ende wollen die allermeisten dann doch keine Marionette Moskaus, keine Aufgansler, die das Land immer mehr zerreißen, sie wollen diesen ganzen Hass nicht und auch keine Verrückten, die jetzt sogar gegen die Polio-Impfung mobil machen, die vor einem halben Jahrhundert die Welt von der Geisel der Kinderlähmung befreit hat. Kurzum: Die Wähler und Wählerinnen sind dann doch klüger als viele denken.

Womöglich ist ja alles relativ einfach zu erklären: Wer sich immer mehr radikalisiert, wer nur mehr als Sprachrohr des extremistischen Randes und irrer Verschwörungsanhänger agiert, der wird logischerweise nur mehr vom extremistischen Rand und den Spinnern gewählt.

Russen-Herbert wirkt – aber anders als er glaubt

Innsbruck ist dafür womöglich ein schönes Exempel, gerade weil dort die Mitte-Links-Parteien bei Gott nicht strahlend da standen: Ein grüner Bürgermeister, der wenig weiterbrachte, dessen eigene Koalition zerbröselt war, dessen Partei auch ziemlich klapprig unterwegs war; Sozialdemokraten, die nicht zufällig auf zehn Prozent runtergerasselt waren, die sich auch noch gespalten haben und sich untereinander bekämpfen. Und dennoch schnitten sie alle überraschend gut ab. Wahrscheinlich nicht, weil sie die Wähler und Wählerinnen so super fanden. Sie wurden gewählt, angesichts der Alternativen, die zur Verfügung standen.

Russen-Herbert bläst jetzt aus verschiedenen Richtungen der Wind ins Gesicht. Der FPÖ-Russland-Spionage-Skandal, Kickls fragwürdige Rolle bei der Zerstörung des österreichischen Verfassungsschutzes, die Verstrickungen seiner Partei mit dem Kreml – das macht natürlich auch Teile der potentiellen FPÖ-Wählerschaft nachdenklich. Vielleicht nicht die Totalüberzeugten, die Kickl wie einen Sektenführer verehren – aber viele andere schon.

Jetzt gehen auch noch alle Wahlen schmerzhaft verloren.

Es sind nicht einmal mehr zwei Monate bis zur EU-Wahl. Es ist absolut im Rahmen des Möglichen, dass die SPÖ auf Platz eins kommt und diese Wahl gewinnt, und die FPÖ auf dem – für sie enttäuschenden – zweiten Platz landet (wenn nicht gar am dritten Platz). Auch davon sollte man nicht allzu viel ableiten natürlich, denn bei EU-Wahlen herrschen eigene Dynamiken. Aber die psychologische Wirkung wäre immens. Der progressive Teil des Landes würde spüren, dass er gewinnen kann. Das würde Schwung geben. Das gibt Auftrieb. Und das überbordende Selbstbewusstsein der FPÖ-Leute bekäme den nächsten Knacks. Andreas Babler, der SPÖ-Vorsitzende, der von allen Seiten und in einer absurden Mediendynamik als Loser runtergemacht wird, stünde plötzlich ganz anders da.

Vielleicht macht er ja doch nicht alles falsch, auch wenn das die „ganz wichtigen Männer“ (und Frauen) in den Chefredaktionen finden.

Vranitzky stellt sich hinter Babler

Man darf sogar zuversichtlich annehmen, dass die notorischen Streithanseln in der SPÖ jetzt einmal eine Zeitlang die Klappe halten. Die eigene Partei in einem solchen entscheidenden Moment zu schädigen, dafür gibt es einfach kein Verständnis mehr in der SPÖ. Es ist in einer breiten Öffentlichkeit gar nicht so richtig aufgefallen, hat in der SPÖ aber eine große Wirkung, dass sich zuletzt Franz Vranitzky und Heinz Fischer, der Ex-Kanzler und der Ex-Präsident, demonstrativ an die Seite Bablers gestellt haben, explizit mit der Botschaft, dass ein Mann, den man zum Parteivorsitzenden gewählt hat, die Unterstützung aller verdient hat. „Ich will, dass der Babler Erfolg hat“, sagte Franz Vranitzky im großen ORF-Wien-Gespräch.

So etwas hat in der SPÖ Resonanz.

SPÖ-Parteichef Andreas Babler hakt seine Aufgaben mit ruhiger Hand ab. Die vergangenen Monate ist er von Parteiveranstaltung zu Parteiveranstaltung, von Volksfest zu Kirtag gepilgert und hat dort erstens hunderttausende persönliche Kontakte gehabt und zweitens die Loyalität seiner engsten Unterstützer aufgebaut, die sich für ihn ins Zeug hauen müssen. Dann hat er – bisher weitgehend ungeachtet – seine Expertenkreise etabliert, die schlaue Pläne für die Wirtschaftspolitik, für die Energiepolitik, für Pflege und Gesundheitssystem, für liberale Rechtsstaatsreformen ausarbeiten.  Die Ergebnisse und Gesichter werden jetzt nach und nach präsentiert. Bablers Konzept eines Fonds zur Unterstützung der österreichischen Industrie bei der Transformation zur CO-2-Neutralität hat jetzt sogar WIFO-Chef Gabriel Felbermayr unterstützt. Bei den großen emotionalisierten Triggerthemen hält Babler sich zurück, um sich als „Sozialfighter“ bei den wichtigen Alltagsfragen zu positionieren: Löhne, leistbare Mieten, soziales Netz, Gesundheitssystem, Inflation.

Vernunft und ruhige Ernsthaftigkeit

Gut möglich, dass ihm am Ende die Konkurrenz sogar in die Hände spielt: Während die das Gendern, das Binnen-I bekämpfen, das Schnitzel subventionieren und die großen Leitkulturfragen debattieren, ob Ausländer Blasmusik spielen müssen (ÖVP), oder umgekehrt, nicht in der Blasmusik spielen dürfen (FPÖ), kümmert sich Babler um die Fragen, die am Ende in Zeiten einer sozialen und ökonomischen Krise für die Menschen entscheidender sind. Ob man sich das Leben noch leisten kann, das Wohnen und ob man rechtzeitig einen Arzt findet.

Hilfreich kann sogar sein, dass ÖVP und FPÖ jetzt aufeinander einschlagen. Da steht man dann im Meer des Haders und des Irrsinns als der da, der Vernunft und stille Ernsthaftigkeit garantiert, garniert mit den Bablerschen Charakterattributen: volksnah, integer, geerdet.

Für Depression und schlechte Stimmung gibt es jedenfalls keinen Grund, dafür umso mehr für Kampfgeist und Energie. Es geht schließlich um etwas.

Die extremen Rechten und ihre Trittbrettfahrer – sie werden nicht durchkommen.


Titelbild: Miriam Moné

Autor

  • Robert Misik

    Robert Misik ist einer der schärfsten Beobachter einer Politik, die nach links schimpft und nach rechts abrutscht.

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