Freitag, April 26, 2024

Israel: Falsche Wahrheiten und richtige Falschheiten

Nach dem grausamen Massaker der Hamas fällt es schwer, die richtigen Worte zu finden. Denn so vieles ist falsch und richtig zugleich.

Die Welt steht in Flammen, und alles ist falsch und richtig zugleich, alles voller falscher Wahrheiten und wahrer Falschheiten. Das grauenhafte Massaker der Hamas an mehr als 1400 Menschen, in der übergroßen Mehrheit Zivilisten, in der übergroßen Mehrzahl jüdische Israelis, ist ein auch nach Maßstäben von Kriegsverbrechen maßloses Verbrechen. Es ist unvergleichlich in seinem Ausmaß, unvergleichlich in Grausamkeit und Gnadenlosigkeit und unvergleichlich im Terror, den es verbreitet und bewirkt, also in der Angst und Panik, in die es eine ganze Gesellschaft versetzt. Eine ganze Nation ist in Panik, in Schock und im Zustand allgegenwärtiger Bedrohungsgefühle.

Richtig ist, dass es keinen Staat der Welt gibt, der nach einem solchen Geschehen auf eine massive militärische Antwort verzichten könnte. Massiv falsch, eine solche monströse Tat erklärend mit Unrecht, Leid, Unterdrückung und Herabsetzung zu „kontextualisieren“ (ganz zu schweigen von rechtfertigen), also durch das, was den Palästinensern in 75 Jahren Nahostkonflikt angetan wurde. Ebenso falsch ist zugleich, die Geschichte von Besatzung, Unrecht, Terror, die Spirale von Gewalt und den Übergang von Gegnerschaft in Hass, die zertretenen Pflanzen von Hoffnung, nicht zu erwähnen.

Geschehnisse wiederum, die alle Beteiligten mit Geschichte und Geschichten ausstatten, die jeweils andere Seite als die eigentlich Schuldigen anzusehen. Die Gräuel der Hamas machen die Kritik an Besatzung, Abschnürung und Siedlerradikalismus nicht falsch, genauso wie, umgekehrt, letztere die Gräuel der Hamas um nichts weniger widerwärtig machen. Wer hier aufzurechnen beginnt, hat schon verloren. Wer auch nur glaubt, damit auch nur ein wenig dieses Massaker rechtfertigen zu können, hat seinen moralischen Kompass verloren. Und umgekehrt. Alles ist wahr und falsch zugleich.

Der Jargon des Antikolonialismus

Der Massenmord macht Benjamin Netanjahu, der böse Geist der israelischen Innenpolitik seit 20 Jahren und Kraft der Zerstörung, nicht zu einem engelsgleichen Unschuldslamm, als welches er sich gerne durch Meinungsmanipulation hinstellt. Abstrus sind seine Versuche, jede Kritik an der rechtsradikalen Politik seiner Regierungen als „antisemitisch“ zu framen, aber nicht weniger abstrus, nein, noch abstruser, sind alle Versuche, mit Rhetoriken von „Antiimperialismus“ oder „Anti- oder Postkolonialismus“ die Blutorgien der Hamas irgendwie als nachvollziehbare Widerstandshandlungen geschundener, kolonisierter Seelen hinzubiegen. Letzteres zeigt nebenbei wie problematisch die Schemata, der ganze Jargon und die Phrasen postkolonialer Theorie offenbar sind, wenn heutzutage sowohl Putin mit diesen Begrifflichkeiten operieren kann (der diese Rhetoriken klaut, um sich als Widerstandskämpfer gegen westliche Dominanz zu kostümieren), und auch islamistische Meuchelmörder diesen Jargon missbrauchen können. Falsch ist es, den Antisemitismus zu leugnen, den Hass, der Juden entgegenschlägt, ihn kleinzureden, ihn zu ignorieren, und genauso falsch ist, den Antisemitismusvorwurf zum billigen sprachpolizeilichen PR-Instrument zu verwandeln, mit dem jeder und jede moralisch erledigt wird, der die Dinge anders beurteilt als die rechtsradikalen israelischen Regierungsfunktionäre.

Dauernd ist man versucht „Ja“ und „Nein“ zugleich zu schreien.

Es ist auch noch nicht einmal der Vorhalt muslimischer Stimmen falsch, dass wir im Westen palästinensische Opfer israelischer Politik oder generell arabische Opfer westlicher Politik (von Irak bis Afghanistan bis Syrien) mit einem Achselzucken abtun, dass sie es kaum als Meldung in die Nachrichten schaffen, im Unterschied zu „unseren“ Opfern islamistischen Terrors. Der Vorwurf der Doppelstandards und der Heuchelei ist zumindest verständlich und nachvollziehbar, aber umgekehrt ist es der falscheste, unpassendste Augenblick, diesen Vorhalt vorzubringen, angesichts dieses grauenhaften Massenmordes. Wenn man gegen den Tod unschuldiger palästinensischer Opfer demonstrieren will, wären andere Gelegenheiten womöglich angebrachter. Jubelfeiern für die Ermordung von 1400 junger Israelis, von Buben, von Mädchen, von Alten, von Greisen, von Kindern und Jugendlichen, von Vätern und Müttern, sind vermutlich nicht die passendste Gelegenheit.

Wenn sich das Richtige falsch anhört

Bei so vielem, das vorgebracht wird, ist das bisschen Richtige, die Prise Wahrheit, viel zu oft erdrückt vom Falschen, vom Böswilligen, vielleicht auch da und dort nur vom Dummen. Wahrheiten fallen sich gegenseitig ins Wort: Gewiss ist es richtig, dass den Opfern der Hamas-Anschläge Gesicht gegeben wird, dass die Ermordeten und Geschändeten keine bloße anonyme Zahl in der Opferstatistik bleiben, und genauso richtig ist, wenn muslimische Menschen meinen, dass uns die Opfer westlicher militärischer Aktionen nie kümmern, wir das Leid in Gaza desinteressiert ignoriert haben. Wenn zerfetzte afghanische Kinder bei uns „Collateral Damage“ heißen, hat man einen schweren Stand, hier Doppelstandards zu dementieren. Falsch fühlt sich an, die Richtigkeit oder Falschheit solcher Aufrechnungen überhaupt zu diskutieren, ebenso falsch aber auch, sie einfach ignorant von sich zu weisen.

Wahr ist, seit Jahrzehnten schon und seit Jahrzehnten von der israelischen Friedensbewegung betont, dass Besatzung und koloniale Gewalt sowohl die Besatzer wie auch die Besetzten verroht, falsch ist zugleich, das auch nur irgendwie als Legitimation zu benützen, oder gar in ein moralisches Freispiel von der Art zu verwandeln, dass der von den Umständen Verrohte gleichsam immer freigesprochen ist, als wäre er als Opfer von Umständen befreit von jedem Urteil.

Den islamistischen Fanatismus der Hamas, deren radikal-konservative Reinheitsgebote, den Manichäismus von Freund und Feind, und deren Kriegsverbrechen irgendwie als vergleichbar mit nationalen Befreiungsbewegungen vergangener Zeiten hinzustellen, ist, neben allem weiteren, übrigens auch eine Beleidigung für die allermeisten Befreiungsbewegungen. Nichts auch nur annähernd Ähnliches hat irgendeine antikoloniale Bewegung mit legitimen Befreiungszielen jemals getan.

Falsch ist die konfrontative Kriegs-Anfeuerungsrhetorik, dass Israel jede Unterstützung ohne Wenn und Aber und ohne jeden Vorbehalt verdiene, aber falsch ist zugleich, Israel diese Unterstützung zu versagen. Ich ertappe mich bei der Lektüre und beim Nachrichtenschauen, die meisten Worte und Sätze hohl und falsch zu empfinden, als würde die Sprache fehlen für das Richtige.

Als wäre die Sprache krank geworden und die Worte fehlen, um das alles akkurat zu beschreiben.

Die Naivitätsfalle

Israel hat das Recht, massiv zu reagieren, und eine Zerschlagung der Hamas ist nach dieser Tat ein mehr als legitimes Kriegsziel. Die Frage ist nur, ob es irgendwie praktisch-realistisch erreichbar sein könnte. Israel hat höchstwahrscheinlich noch nicht einmal eine echte Alternative dazu, es zu versuchen. Eine Gegenreaktion auf ein Kriegsverbrechen entbindet zugleich nicht von der Pflicht, keine Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung zu begehen. Zugleich soll mir jemand sagen, wie ein militärischer Einsatz gegen eine Terrormiliz ablaufen soll, die sich in dicht bewohntem Gebiet inmitten der Zivilbevölkerung verschanzt, ohne dass massive Kriegsverbrechen einfach eine logische Folge sein werden. Eine Binsenweisheit, dass nur eine politische Lösung, angeschoben von Humanisten und Friedensfreunden in den verschiedensten Nationen (und vielleicht unterstützt durch praktische Vernunft von Realpolitikern) eine Lösung bringen kann. Aber es bleibt eine schale Binsenwahrheit, deren abgeschmackter Sound einem auch nicht verborgen bleiben kann, weil wir wissen, wie aussichtslos das ist nach jahrzehntelangen Geschehnissen der gegenseitigen Gewalt. Selbst das Richtige fühlt sich als hohle Phrase an. Weil Hoffnung naiv klingt, flüchtet man entweder in die Sprache des Krieges oder in die stille Deprimiertheit.

Es kommt nicht oft vor, dass ich beim Tod eines Staatsmannes weine. Das letzte Mal tat ich das, als ich mit offenem Mund vor dem TV-Gerät saß und die Nachrichten und Bilder von der Ermordung Yitzhak Rabins sah. Das war 1995. Beinahe dreißig Jahre ist das her. Wer jünger ist als ich, der ich auch langsam ins Zeitzeugenalter komme, hat nicht einmal mehr eine Erinnerung daran, dass es einmal eine Hoffnung gab, die zerstört werden konnte.  

Titelbild: Miriam Moné

Robert Misik
Robert Misik
Robert Misik ist einer der schärfsten Beobachter einer Politik, die nach links schimpft und nach rechts abrutscht.
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25 Kommentare

  1. Solange nicht zu 100 Prozent geklärt ist, wie diese Anschläge der Hamas überhaupt möglich waren, darf es keine weiteren Morde mehr geben. Das ist zumindest meine Meinung. (Warum ist der Geheimdienstchef denn schon zurückgetrteten, wenn es hier keine Unklarheiten gäbe?)
    So sind durch die Bombardements zwischenzeitlich ja schon mehr Palistinenser gestorben als Israeli und damit uch das Auge um Auge und Zahn um Zahn Kriterium damit erfüllt?
    Alles was nun noch kommt ist für mich ein weiterer und erneuter Völkergenozid…

  2. Wann kommt der Tag, an dem die Entstehung von Kriegsgeschehen nicht mehr mit ideologischen, politischen Konflikten erklärt werden, sondern ganz offen mit dem Wunsch von Anlegern mit Aufrüstung Geld zu verdienen.

    Das ausschließliche Konzentrieren auf angebliche “inhaltliche” Konflikte… vertuscht ja die immense Bedeutung die die Börse im Kriegsgeschäft spielt.

    Die “Nachrichten” über Kriegsgeschehen bilden ja nur einen winzigen Teil der Infirmationsfülle ab, die eine Rolle dabei spuelt ob ein Krieg entsteht oder nicht.

    Wo bleibt die Kommunikation zum Thema?

    Schlimm genug, dass die UNO nicht lautstark und unmissverständlich auf einen Zusammenhang von Finanzpolitik und Kriegsgeschehen aufmerksam macht…. Wieso unterlassen das auch unsere Medien?

    Gäb es nicht die Möglichkeit finanzpolitisches Engagement für den Frieden zu propagieren oder wenigstens zu benennen, dass es so etwasnicht gibt?

    Das ist ja die größte Schande! So zu tun als ob es niemanden gäbe der am Krieg verdient und Jrieg will…weil er Kihle bringt!

  3. Und eine Sache möchte ich hier schon auch noch herausstreichen – die aktuellen Opferzahlen im Gazastreifen.

    Mittlerweile wurden durch die israelische “Militäraktion” fast gleich viele Kinder getötet wie Opfer des Hamas-Terroranschlags – also für jeden Israeli ein Kind. (die gesamten Opferzahlen sind natürlich schon viel viel höher).

    Wo ist denn da ihre Sprache der absoluten Verurteilung?
    Sie schreiben der Anschlag durch die Hamas ist “ist unvergleichlich in seinem Ausmaß, unvergleichlich in Grausamkeit und Gnadenlosigkeit….”. Ich stimme zu das der Terroranschlag absolut zu Verurteilen ist. Ich stimme zu das er Grausam, Gnadenlos, etc war
    aber ist er wirklich unvergleichlich Herr Misik oder finden sie doch, unterschwellig, dass der Terroranschlag “für jeden Israeli ein Kind” rechtfertigt?!

  4. Diese Hass ist doch schon jahrtausende alt.
    Weiss eigentlich wirklich irgendwer, wann bzw. wer damit begonnen hat bzw. die Ursache ?
    Insofern ist es wirklich schwer, einer Seite zuzustimmen oder gar Partei zu ergreifen.
    Was gar nicht geht ist, vor diesem Hass zu flüchten und das dann aber bei uns so zu kommunizieren, egal welche Seite.

    • Viele “Juden” waren schon zu Christi Geburt Beamte und Händler im benachbarten Assyrien. Auch gibt es ein Kapitel mit “Exil ohne Verbannung” im Buch: Die Erfindung des jüdischen Volkes, von Shlomo Sand (jüdischer Glaube, wie man am Namen erkennt).
      Die tiefgreifenden Problem liegen aber in unserer Vorstellung ( Calvin, rk Kirche, etc., Nehammer, wenn er sagt die Leute sollen halt länger arbeiten, …), dass man nur durch Arbeit, iS von Erzeugung von materiellen Dingen, in den Himmel kommt. Damit haben wir gegen Handel und insbesondere Geldverleih Vorbehalte. Die Verbannung ist mehr eine ökonomische.

  5. “Der Vorwurf der Doppelstandards und der Heuchelei ist zumindest verständlich und nachvollziehbar, aber umgekehrt ist es der falscheste, unpassendste Augenblick, diesen Vorhalt vorzubringen, angesichts dieses grauenhaften Massenmordes.”

    Wenn die Welt und insbesondere Europa durch den brutalen, grauenhaften Terroranschlag der Hamas gezwungen wird über die Realität der Menschen in Israel & Palästina zu berichten ist es genau der richtige Zeitpunkt diesen “Vorhalt” vorzubringen denn wann gibt es dafür den sonst eine Gelegenheit?!

    Es ist ja nicht so als hätte es dazu in der Vergangenheit keine Gelegenheit gegeben – zum Beispiel 2018 als zehntausende Palästinenserinnen an der Grenze zu Gaza, der absolute Großteil davon friedlich, demonstrierten – Israel reagierte mit Eskalation. Österreichische Medien berichteten spärlich und wenn lediglich nüchtern. Laut UN Angaben wurden damals durch israelische Scharfschützen bei den Protesten 2018 214 Palästinenser getötet darunter 46 Kinder. 36.100 wurden verwundet (8.800 Kinder). Rund ein Fünftel der Verletzten wurden angeschossen – israelische Soldaten rühmten sich öffentlich mit der Anzahl an Knieen die sie wegschießen konnten. Auch ein israelischer Soldat kam ums leben – 7 wurden verletzt.

    “Wer hier aufzurechnen beginnt, hat schon verloren.” – Robert Misik

    Sieht man sich jedenfalls die non-Berichterstattung österreichischer Medien an, ist es nicht verwunderlich, dass die Gräuel, Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen, die die israelische Regierung in den vergangenen Jahrzehnten an der Palästinensischen Zivilbevölkerung verübten hier in Österreich bestenfalls abstrakt und nüchtern wahrgenommen werden und einfach als ein Produkt “gegenseitiger Gewalt” abgetan werden – die Realität ist jedoch komplexer und auch wenn die Beobachtung Misiks “vieles ist richtig und falsch zugleich” durchaus zutrifft – Antisemitismus immer noch ein ernstzunehmendes und großes Problem, Gewalt, die es zu Verurteilen, aber vorallem auch zu hinterfragen gilt wird von beiden Seiten verübt, steht die Gewalt die die Palästinenser erleben jedoch trotzdem, statistisch, in so einem krassen Missverhältnis dass eine “Aufrechnung” sehr wohl angebracht ist und das es sehr wohl einen Kontext gibt.

    So wurden seit 2000 bis 2023 – also vor dem jüngsten Terroranschlag, laut der israelischen Menschenrechtsorganisation B’Tselem 10.651 Palästinenser getötet, 2270 davon Jugendliche und Kinder und auf israelischer Seite 1.330 Menschen. Bei 23 Jahren, also ungefähr 8.395 Tagen wurden somit im Schnitt täglich 1.25 Palästinenser getötet – das ist eine Intensität an Gewalt die man sich hier gar nicht vorstellen kann bzw. verglichen mit der spärlichen, nüchternen und einseitigen Berichterstattung Österreichischer Medien, eine Realität die somit für die meisten Österreicherinnen schon überhaupt faktuell gar nicht fassbar ist.

    Eine weitere Realität von der wir eigentlich im Grunde nichts hören ist die der inhaftierten Palästinenser die sich in “administrativer Haft” befinden. Laut UN befinden sich stand May 2023 1016 Palästinenser in “administrativer Haft” – also ohne Verurteilung, auf unbestimmte Zeit und aufgrund von Anklagepunkten die unter geheimhaltung stehen.
    Laut einem Artikel von Aljazeera vom April 2022 ist Israel auch eines der einzigen Länder der Welt das Kinder einem Militärtribunal unterzieht – das werfen von Steinen wird laut Militärrecht mit bis zu 20 Jahren Haft bedroht.

    Die Liste an Menschenrechtsverletzungen, Gräuletaten und Kriegsverbrechen die Israel regelmäßig gegen die Menschen in Palästina verübt ist jedenfalls lang und steht ohne jeden Zweifel in einem extremen Missverhältniss vorallem hinsichtlich der Tatsache das Palästina von Israel besetzt wird und Palästinnenser als Menschen zweiter Klasse unter einem Apartheid Regime leben (Amnesty International berichtete genau)!

    Der Doppelstandard den unsere Medien bei der Berichterstattung darüber an den Tag legen ist verzerrend – wie sollen wir jemals ernsthaft über etwas Diskutieren wenn diese Realität nicht anerkannt wird – “Aufrechnen” ist jedenfalls sehr wohl notwendig damit man überhaupt “an einem Tisch” zusammenkommen kann und reden kann.

  6. Bravo Herr Misik, Sie haben mir aus dem Herzen gesprochen. Die selben Gedanken bezüglich der angekündigten Bodenoffensive auf Gaza sind mir durch den Kopf gegangen und auf Rabins Ermordung im Nov. 95 habe ich ähnlich reagiert wie Sie.
    Danke für Ihren ehrlichen und emotionsvollen Kommentar.

  7. Misik’s Text zeigt sehr schön die (seit Jahrzenten) Orientierungslosigkeit der SPÖ. In den – derzeit stürmischen – Wellen der emotional verkauften ( und natürlich ideologisierten) Nachrichten der Medien.

  8. Es gibt etwas zutiefst Beschämendes, das ich empfinde. Und diese Beschämung ist so facettenreich, dass sie schwer ganz beschrieben werden kann. Diese vielen Facetten fragmentieren im Inneren.

    Die Blindheit der medialen Öffentlichkeit, die sich mit so vielem beschäftigt, was “auch wichtig” ist, dabei aber immer mehr im Gartenzwergenreich nach Problemen, Konfrontationen, Unstimmigkeiten etc. sucht und so die schweren und auch existenzbedrohenden Wirklichkeiten außer dieser Gartenzwergenwelt ausblendet. Die Wiederholung der Blindheit der medialen Öffentlichkeit, bereits zum zweiten Mal seit 2022, führt ein beschämendes Versagen vor Augen: Was wichtig ist, dringt nicht durch. Die Blindheit aller unserer verbündeten Nachrichtendienste wurde uns jetzt zusätzlich vor Augen geführt. Die Dienste, die wir bezahlen, damit sie Unheil abwenden, indem sie Informationen sammeln und rechtzeitig warnen können, waren allesamt blank und blind. Und jedes Land hat mindestens drei solcher Dienste. Das ist beschämend. Für jeden einzelnen Dienst. Das nächste Systemversagen.

    Beschämend ist auch, mit welcher Energie und welcher Wut rassistisch vorgegangen wird, einmal gegen “die Palästinenser”, dann gegen “die Israelis”, die kaum mehr verhohlen als gegen “die Juden” adressiert sind. Beschämend ist, dass sich all diese Schuldzuweiser gegen “die Ausländer” einig sind – dies kristallisiert sich bereits heraus. Beschämend ist dies auch deswegen, weil es vermutlich dieselben sind (darauf deuten Sprachführung und hetzerische Tonalität hin), die “die Neutralität” Österreichs vor kurzem noch so hochgehalten haben, nun so parteiisch gegen “die Anderen” auftreten. Als Mitglied des Gartenzwergenlandes beschämt mich das. Plötzlich nicht mehr neutral.

    Mich beschämt, dass die vielen Toten, die Putin mittlerweile schon in der UA geschaffen hat, im Ansatz nicht die gleichen Reaktionen hervorrufen. Wer Krieg führt, will töten. Das ist der Zweck des Krieges. Einen Krieg zu beginnen, ist immer ein Mordaufruf. Also geplant und vorbereitet möglichst viele Tote “herstellen”. Wer sich nicht abschlachten lassen will und nicht fliehen kann, muss im Krieg zum Mörder werden. Wer morden besser kann, überlebt im Kampf. Kaum jemand möchte unter Beweis stellen müssen, dass er der bessere Mörder ist. Mich beschämt, dass die Toten eine Weiterverwendung finden, zur Abfallverwertung der Propaganda werden: die einen bauschen die eigenen Todeszahlen auf, um sich Mitgefühl zu erpressen, die anderen verniedlichen die eigenen Todeszahlen, um sich weiter Unterstützung in der Bevölkerung zu sichern. Dieser respektlose Umgang mit Toten beschämt mich.

    Auf welcher Seite man stehen muss, ist eigentlich klar: Wer alles versucht in einem Krieg, um die eigenen Menschen bestmöglich zu schützen, dem selbst in einem Krieg Leben noch irgendeinen wert hat, dass er versucht, die eigenen Leute zu schonen, auf deren Seite muss man stehen. Auf der anderen Seite sind die, die ihre eigenen Leute ohne Ausrüstung, ohne Versorgung kaltblütig in den Fleischwolf schicken, sie also in den sicheren Tod führen, um den Feind “aufzuhalten” oder ihre Leute schutzlos als Schutzschilder missbrauchen, hinter denen sie sich feig verstecken. Auf deren Seite darf man nicht stehen. Es ist beschämend, dass man das überhaupt sagen muss.

    Putin hat eine neue Dimension des asymmetrischen Krieges eröffnet. Während er selbst kaltblütigst Menschen opfert, Menschenrechte, die UN-Charta mit Füßen tritt, verlangt seine Propaganda bei uns, dass die, die er angreift und vernichten, auslöschen will, einen humanen Krieg zu führen haben. Mich beschämt, dass diese perfide Asymmetrie nirgends angesprochen wird. Auch die Hamas operiert mit dieser Dimension des asymmetrischen Krieges. Der Ukraine und Israel wird viel abverlangt in diesen Zeiten.

    Wir sehen an den Ausrüstungen, dass Demokratien sehr viel Aufwand betreiben, um den Schutz ihrer Menschenleben bestmöglich sicherzustellen. Wir sehen an den Ausrüstungen auch, wie wenig Diktaturen darauf Gewicht legen, alles Geld wird zur Zerstörung “der Anderen” aufgewendet, für den Schutz “der Eigenen” nichts. Beschämt in einer Demokratie zu leben, dessen politischer Führung es wichtig ist, dass mein Leben auch im Kriegsfall bestmöglich geschützt ist, nehme wahr, dass dem nicht so sein muss, dass es sein kann, dass eine andere politische Führung micht mit einer MP im Rücken zwingt mit einer Mistgabel gegen einen Granatenwerfer vorzugehen: Dann kann ich mir nur mehr aussuchen, wer mich umbringen soll. Und das nicht mehr lange.

  9. Warum hat man bei dieser Regierung Angst das die auf die Idee kommt den Palästinensern der Hamas hier Asyl zu gewähren um Frieden in Israel zu schaffen?

    • Mich beschämt auch, dass der Krieg in einem anderen Land dazu missbraucht wird, parteitaktischen Gewinn zu machen. Das ist beschämend.

  10. Sehr geehrter Herr Misik!
    Ihren Artikel habe ich nicht gelesen, da ich denke, daß Sie sich als Wiener Sozialist nicht mit Israel beschäftigen sollten. Ihre Wiener Genossen versagen in vielen realpolitischen Themen!
    Die Ghettobildung in der Stadt wäre eines der Themen die sie verfolgen sollten! Ein schleichendes aber mittlerweile unaufhaltbares sozialistisches Problem! Damit einhergehend übrigens auch der Antisemitismus!
    Ein weiteres, latentes Problem in der Stadt, mit dem Sie sich primär beschäftigen sollten, ist das kranke Wiener Gesundheitssystem! Auch zackzack sollte sich diesem bisher vernachlässigten Thema widmen!
    Dieses Thema sollte in Ihrem Focus stehen! DAS WIENER GESUNDHEITSSYSTEM KOLLABIERT GERADE!

    • In der EU kollabiert so manches. Angefangen von einem nicht Zustandegekommenen Sozialpakt, der Möglichkeit in einem sogenannten EU-Parlament ein Zensurgesetz zu beschließen, einer irrwitzigen Energiepolitik, der – wie ich meine abgesprochenen – Aushöhlung der Gesundheitssysteme (das ist keine Erfindung von Wien), einer selbstmörderischen Expansionspolitik in die Ukraine (seit 2013), nicht-vorhandenen Investitionspolitik im IT-Sektor (zB), etc. etc. etc.
      Ja, die Soziakdemokratie (in Ö und anderswo, bzw. ein Mythos, der schon lange nicht mehr diesen Namen verdient) hat sich selbst die Hände gebunden, und ist willfähriger Mitspieler mit dem transnationalen Konzernen und dem Finanzsektor geworden.
      Na, was wollen sie da. Israel ist nur eine der riesigen Baustellen, ua weil noch von einem alten Antisemitismus geträumt wird, als die Partei noch was zu sagen hatte. Aber das ist schon lange vorbei.
      Übriggeblieben ist nur das “sozial”, aber auch nur in dem Sinne, dass sie marginal sozialer sind als ÖVP oder FPÖ.

  11. Die 2 Staaten Lösung wurde schon vor vielen Jahren begraben. Kann sich jemand – geographisch – vorstellen wie der Gaza-Streifen mit einem – sagen wir wiederhergestelltem – West-Jordan-Land verbunden werden soll?
    Es geht nur mit internationalem Druck und wie in Nord-Irland mit dem Wille einer Zusammenarbeit in einem Land. Jeder muss nachgeben.

  12. Gab es am Anfang der Menschheitsgeschichte Krieg (Hobbes “des Menschen Wolf”) oder Frieden (Augustinus)? Durch Habgier und Raub kam der Krieg, der jeweils neuen Krieg hervorruft. Durch die negativen Umstände veränderten sich die Triebe und neigen daraufhin (K. Lorenz, S. Freud) zu jener maßlosen Gewaltanwendung, die in Kriegen herrscht. Sokrates und Jesus versuchten, die dem Menschen adäquate gerechte und friedliche Grundhaltung zu fördern. Weil dies als systemstörend empfunden wurde, wurden beide hingerichtet. Sokrates wandte sich primär an den Intellekt der Gebildeten, Jesus an das Empfinden der durchschnittlichen Leute, weshalb sich, trotz der raschen Beseitigung Jesu, die von ihm ausgelöste Bewegung recht konsequent verbreitete. Während die realhistorische Überlieferung in der Antike keinen Zustand eines Friedens am Anfang kannte, wurde in der Dichtung und Mythologie beschrieben, dass am Anfang Frieden geherrscht habe; aber dieser Anfang wurde als mythische Vorzeit aufgefasst, über die man eigentlich kein näheres Wissen besäße. Schon Sokrates wollte den Menschen beibringen, wirklich gerecht zu sein, dann werde zwischen Staaten eher Friede herrschen. Aber seine Schüler rebellierten und sagten, niemand auf der Welt wolle und könne wirklich gerecht sein, jeder versuche nur, solange es vorteilhaft sei, nach außen gerecht zu erscheinen. Platon lässt in seinem Werk „Der Staat“ einen Schüler namens Glaukon, als konsequentesten Gegenredner gegen Sokrates, folgendes sagen: Wenn es je auch nur einen einzigen wahrhaft Gerechten geben werde, so werde dieser in der Welt so sehr auf Widerspruch stoßen, dass er „gegeißelt, gefoltert, gebunden werden wird, dass ihm die Augen ausgebrannt werden, und dass er zuletzt nach allen Misshandlungen gekreuzigt werden“ würde. Die Kreuzigung war damals eine besonders demütigende Hinrichtungsart, die zum Beispiel für aufständische Sklaven zur Anwendung kam.

    Friede ist (negativ definiert) die Abwesenheit von Gewalt, also ein Verhältnis zwischen Staaten, sozialen Gruppen und Personen, in dem keine gewaltsame Konfliktaustragung erfolgt. Was Krieg ist lässt sich leichter aussagen, als was Friede ist.

    Aufschlussreich ist die beschönigende Definition des bekannten Kriegstheoretikers Carl von Clausewitz: „Der Krieg ist also ein Akt der Gewalt, um einen Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen“. Demgemäß setzt jeder Staat voraus, dass er einen Krieg
    beginnen kann, wann immer er will, und jeder Kriegsführende ist im Prinzip überzeugt, erfolgreich zu sein. Karl Kraus (im WKI) rechnete damit und sagte: „Krieg ist zuerst die Hoffnung, dass es einem besser gehen wird, hierauf die Erwartung, dass es dem anderen schlechter gehen wird, dann die Genugtuung, dass es dem anderen auch nicht besser geht, und schließlich die Überraschung, dass es beiden schlechter geht.“ Johan Galtung, Pionier der Friedensforschung, spricht davon, dass Gewalt nicht nur direkt, sondern auch strukturell und kulturell bestehen kann. Demnach werden Verhältnisse, die nach einer formellen Definition als Friede gelten, in eine Grauzone zwischen Krieg und Frieden verschoben. Friede im engeren Sinn ist auch frei von struktureller Gewalt.

    Sigmund Freud erklärte, dass die Tötung von Feinden eine triebhafte Neigung befriedigt. Ist der Mensch also von seiner Natur her zum Krieg geboren? Freud selbst verneint dies: „Wir sind Pazifisten, weil wir es aus organischen Gründen sein müssen.“ Man „muss“ zwar – von
    der organischen Natur her – Pazifist sein, aber die menschlichen Triebe besitzen die „Neigung“, Feinde zu töten. Konrad Lorenz hingegen behauptete, dass der Mensch das Triebleben aus der Tierwelt mitnahm, wenn auch nur in verkümmerter Form, und dieses führe zwar zur Aggression, aber diese werde bei den Säugetieren im Normalfall durch eine natürliche „Tötungshemmung“ gegenüber Artgenossen gebremst. Die Massentötung von Artgenossen käme bei Tieren kaum in dem Ausmaß wie bei menschlichen Kriegen vor und entstehe erst durch die Fehlleitung der Triebe.

    Verdrängung ist eigentlich ein Krieg der Person oder des Kollektivs gegen sich selbst. Störfaktoren werden bekämpft, um das herrschende System nicht zu schädigen. Daher schafften die Repräsentanten des alten Systems alle potentiellen Verunsicherungen beiseite. Je mehr Angst vor einem möglichen Zusammenbruch aufkommt, desto eher kommt es zur Tötung von Widersachern und umso mehr auch zu zusätzlicher Brutalität. Krieg unterdrückt nicht nur die sogenannten äußeren Feinde, sondern die Gewalt und der Mord verändern auch den Täter, er verliert die naturgegebene Aufrichtigkeit, Menschlichkeit und Friedfertigkeit. Die Verdrängung des natürlichen Mitleids – in seiner extremsten Form: der Hass” – benötigt Energie und bindet Energie. Der Mord wendet sich gegen das Prinzip des Lebens überhaupt, auch gegen das Prinzip der eigenen Existenz. -> Hass tötet – auch sich selbst (zumindest in Teilen)

    Quelle: Erwin Bader (Auszüge aus “Die Wurzel von Krieg und Frieden” – Essay)

    • Kleine Ergänzung zu Freud: Dass wir als Menschen diesen Trieb haben, aggressiv gegen andere vorzugehen wie jedes andere Tier, ist auch der Antrieb zum Krieg. Tiere haben nicht die Mittel Schlachten zu Kriegen auszudehnen. Wir schon. Deswegen schlägt Freud vor die aggressiven Triebe zu sublimieren, damit es niemanden zu solchen aggressiven Handlungen treibt.

      Während des WKII schrieb Einstein an führende Wissenschafter:innen einen Brief mit der Bitte darzulegen, ob die Menscheit angesichts dieser Bedrohungen überleben werde. So auch an Freud. Freud zeigte sich pessimistisch, dass es dauerhaft gelingen werde, da eine große Zahl an Menschen meint, die aggressiven Triebe verleugnen zu müssen, sodass es ihnen unmöglich wird, dass sie diese sublimieren. Zum Überleben der Menscheit müssen wir Pazifisten sein und werden. Wir, das ist jeder einzelne Mensch.

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