Sonntag, September 8, 2024

Wer sind die Linken in Österreich?

Die Bezeichnung »Die Linken« wird inflationär falsch verwendet. Ist es Hetze oder Revisionismus? Angesichts der österreichischen Geschichte sollte man mit dem Begriff jedenfalls sorgsamer umgehen.

Inflationär verwendet die Presse dieser Tage wieder den Begriff: »Die Linken«. Ob unbedacht oder in hetzerischer Absicht – das sei dahingestellt. Fakt ist, dass die österreichische Presse fast zur Gänze in der Hand von ÖVP-Redakteuren oder ÖVP-nahen Redakteuren ist. Mit dem Eintritt Rainer Nowaks in die Kronen Zeitung ist nun auch der gesamte Boulevard in der Hand ÖVP-naher Redakteure. Kann man ihnen trauen, wenn sie den Begriff links und vor allem das hetzerische linkslink verwenden?

Die Realität ist: Es gibt keine Linken in Österreich. Es gibt eine Hetze gegen die Sozialdemokratie, sogar mit geschmackvollen Namenswitzen über ihren Vorsitzenden, wie in Der Standard mit »Der Turmbau zu Babler«. Die Mitautorin dieses Jokes legt am 7. November nach: »Andreas Babler kann die SPÖ nicht einen«. Es handelt sich bei solchen Artikeln um Propaganda. Ihr Ziel ist die Ausrottung der Mitte, wie sie die ÖVP intern bereits fast abgeschlossen hat. Die Sozialdemokratie, eine Bewegung der Mitte, ist Ziel dieser Angriffe. Personen werden als Linke, Linkslinke und Marxisten bezeichnet – was sie nicht sind.

Leider verführt die Propaganda auch kluge Köpfe, wie den von mir hoch geschätzten Michael Köhlmeier, zur Übernahme ihrer Begriffe, wie es schon mit der unsäglichen »illiberalen Demokratie« passiert ist. Köhlmeier schreibt am 2. November 2023, indem er – völlig zurecht – einen Mangel an ausgesprochener Solidarität mit den Opfern des Hamas-Terrors beklagt: »Das wird auch als die große Schande der Linken in die Geschichte eingehen«. Wer sind bitte »die Linken«? Eine Antwort darauf gibt es nicht und kann es nicht geben. Ich versuche daher in zwei Teilen der Frage nachzugehen, ob es in Österreich überhaupt Linke gibt oder nur Anti-Links-Propaganda.

Verbot linker Parteien

Die Kommunistische Partei Österreichs wurde im Jahr 1933 verboten. 1934 wurde die SDAPDÖ, die Vorgängerpartei der heutigen SPÖ, und der Verkauf ihres Mediums Arbeiter-Zeitung verboten. Beide Verbote erfolgten unter der Regierung des christlich-sozialen Diktators Engelbert Dollfuß. Und sie erwiesen sich als Bärendienst am scheinbaren Widerstand gegen den Nationalsozialismus, der eher ein Sich-Angleichen einer vormals bürgerlichen Partei an die Nazis war. (So wie ja auch heute der scheinbare Widerstand der ÖVP gegen die FPÖ dazu führt, dass sie sich dieser angleicht.) Die letzten Linken Österreichs verließen 1934 dieses Land; wenige waren im Untergrund tätig.

Als Österreich 1945 wieder erstand, schlug die SPÖ einen Weg ein, der sich vom Weg der Zwischenkriegszeit unterschied. Die beschloss, in Zusammenarbeit mit der ÖVP, der Nachfolgerin jener Partei, von der sie einst verboten und verfolgt worden war, dieses Land wieder demokratisch aufzubauen. Der Staatsvertrag, die Neutralität und die Mitgliedschaft in der Europäischen Union sind Ergebnisse dieses Konsens.

Der Fall Olah

Dieser Konsens stieß nicht immer auf Begeisterung in der SPÖ. Zwar war sie bei Bundespräsidentschaftswahlen mit ihren Kandidaten erfolgreich. Vor 1970 aber schaffte es die SPÖ nie, die ÖVP bei Nationalratswahlen zu überholen. Der Unmut darüber entlud sich besonders, als eine Person versuchte, die Macht in der Partei an sich zu reißen: Franz Olah. Olah, der Innenminister, Nationalrat und sogar eine Zeit lang Zweiter Nationalratspräsident, Vizepräsident des ÖGB und von 1959 bis 1963 dessen Präsident gewesen war, hatte mit einer geheimen Finanzierung die Gründung der Kronen Zeitung unterstützt.

Olah wollte, ohne sich mit der Partei zu beraten, eine kleine Koalition mit der FPÖ einfädeln. Öffentlich trat er diffamierend gegen Parteigenossen auf, vor allem gegen Josef Afritsch, Christian Broda und seinen Nachfolger als ÖGB-Chef Anton Benya, und die Kronen Zeitung unterstützte ihn mit Attacken gegen diese Politiker. Irgendwann wurde es der SPÖ zu viel: Ein Schiedsgerichtsverfahren wurde eingeleitet. Das hatte es bis dahin seit 1945 nur zweimal gegeben. Eines davon endete mit dem Parteiausschluss von Erwin Scharf, das zweite mit dem Parteiaustritt von Anton Holzinger, der eine Rede für die Narvik-Kämpfer im Zweiten Weltkrieg gehalten hatte; er kam seinem Parteiausschluss zuvor.

Der ÖVP-Wahlsieg von 1966

Die bürgerliche und rechte Presse hatte mit dem Fall Olah ihre Freude, sah sie doch eine mögliche Spaltung der Sozialdemokratie. 75 Jahre nach dem Gründungsparteitag in Hainfeld, so schrieb man, sei die Partei zerstritten, keine Partei mehr, nicht mehr demokratisch strukturiert usw. Man witterte einerseits die Möglichkeit der Spaltung, wollte aber auf das verbale Ausholen gegen die Sozialdemokratie als der »roten Gefahr«, die aus dem Osten kommt (wie es die ÖVP damals in Wahlkämpfen plakatierte), nicht verzichten. Ein Kommentator – Hans T. Porta – schrieb sogar (und ich zitiere ihn hier wortwörtlich): »Die Marxisten jeglicher Schattierung leben in der Überzeugung ihres Endsieges [sic!].«

1964 wurde Franz Olah aus der SPÖ ausgeschlossen. Er gründete ein Jahr darauf eine eigene Partei, die DFP. Und obwohl er den Einzug in den Nationalrat bei der Wahl 1966 nicht schaffte, hatte er etwas Einfluss: Die ÖVP erreichte mit knapp über 48 Prozentpunkten eine Mandatsmehrheit im Nationalrat. Es folgen vier Jahre einer ÖVP-Alleinregierung.

Das Jahr 1967

Doch schon 1967 bewegte sich etwas in der SPÖ: Bruno Kreisky wird mit einer von der Presse als magerem Ergebnis kolportierten Zustimmung von 69 Prozent Parteivorsitzender. Auch damals fragte man laut, ob Kreisky die Partei »einen« könne. Und auch damals stand Kreisky einer stramm-konservativen Presselandschaft gegenüber.

Im selben Jahr, 1967, machte ORF-Generalintendant Gerd Bacher den Journalisten Alfons Dalma zum ORF-Chefredakteur. Alfons Dalma, der eigentlich Stjepan Tomičić hieß, war in den Vierzigerjahren Redakteur von Propagandazeitungen des faschistischen und Nazi-treuen Ustascha-Regimes gewesen. Gegen Ende des Kriegs war er, von den Faschisten hoch dekoriert, Presseattaché in Berlin. Er leitete von 1967 bis 1974 die politische Berichterstattung des ORF. Warum das noch wichtig werden sollte, erfahren Sie in der Fortsetzung nächsten Donnerstag…


Weiterführende Links: https://www.derstandard.at/story/3000000194022/babler-kann-die-sp214-gar-nicht-einen

https://www.derstandard.at/story/3000000180047/turmbau-zu-babler-kann-die-neuaufstellung-der-spoe-noch-gelingen

https://www.derstandard.at/story/3000000193579/michael-koehlmeier-ist-denn-jeder-moralische-kompass-verlorengegangen

Titelbild: Miriam Moné

Autor

  • Daniel Wisser

    Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.

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