Freitag, September 20, 2024

Scharfe Kritik an Nehammer-Reise zu Putin – »Niemand hat darauf gewartet«

»Niemand hat darauf gewartet«

Die Reise Karl Nehammers zu Wladimir Putin sorgt für scharfe Kritik am Bundeskanzler in- und außerhalb von Österreich. Die Sorge ist groß, dass Bilder mit Nehammer der Putin-Propaganda nützen. Russland-Experte Gerhard Mangott meint, dass in der EU niemand auf diesen Besuch gewartet habe.

Wien, 11. April 2022 | Bereits die Verkündung der Reise von Bundeskanzler Karl Nehammer zu Russlands Präsidenten Wladimir Putin sorgte für Verstimmungen. Der Kanzler erzählte österreichischen Medien bereits am Sonntag in einem Hintergrundgespräch, dass er tags darauf nach Moskau reisen werde. Der Kanzler versah, diese Meldung mit einer Sperrfrist von Montag 11 Uhr für die anwesenden Medien.

Bild-Zeitung schießt Kanzler-Sperrfrist ab

Doch die “Bild”-Zeitung kam der Kanzler-Sperrfrist dazwischen. Das deutsche Boulevard-Blatt hatte die Information aus einer anderen Quelle erfahren. “Bild”-Vize-Chefredakteur Paul Ronzheimer, der sich seit Wochen in der Ukraine aufhält und aus dem Kriegsgebiet berichtet, verkündete bereits am Sonntagnachmittag Nehammers Putin-Besuch. Nicht lange ließ scharfe Kritik an Nehammer auf sich warten. Die Sorge ist groß, dass Putin den Besuch eines westlichen Regierungschefs für seine Propaganda ausnützt. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz haben aus eben jenem Grund seit Kriegsbeginn auf ein Treffen mit Putin verzichtet.

Vize-Bürgermeister von Mariupol entsetzt über Nehammer

Der Vize-Bürgermeister der schwer zerstörten ukrainischen Stadt Mariupol Sergej Orlow sagte der “Bild” zur Nehammer-Visite: „Das gehört sich nicht zur heutigen Zeit. Die Kriegsverbrechen, die Russland gerade auf dem ukrainischen Boden begeht, finden weiterhin statt. Das, was wir in Butscha gesehen haben – das ist möglicherweise in Mariupol noch schlimmer gewesen, auch wenn die russische Armee sich bemüht, die Verbrechen zu verschleiern. Ich verstehe nicht, wie in dieser Zeit ein Gespräch mit Putin geführt werden kann, wie mit ihm Geschäfte geführt werden können.“ Generell wirkt man in der Ukraine mit dem Treffen Nehammers mit dem russischen Präsidenten nicht glücklich. Ukraine Präsident Wolodymyr Selenskyj hat bis jetzt noch nichts zum Besuch des österreichischen Bundeskanzler in Kiew getwittert. Selenskyj informiert über seinen Twitter-Kanal fast täglich über Besuche und Telefonate mit Staatsoberhäuptern.

Opposition und Grüne nicht erfreut

Auch in Österreich sorgte der Besuch für harsche Kritik. Der Grüne Koalitionspartner zeigte sich überrascht von Nehammers Reise nach Moskau. Abgeordneter Michel Reimon twitterte kurz nachdem Ronzheimer die Reise publik machte, dass er im Vorfeld nichts davon wusste. Die Grüne Abgeordnete Ewa Ernst-Dziedzic zeigte sich wenig erfreut. Nehammers Besuch habe nichts mit Diplomatie zu tun. Zurückhaltender gab sich Vize-Kanzler Werner Kogler. Vorausgesetzt, die Reise sei mit der EU abgestimmt, “könnte es einen Versuch wert sein”, reagierte Vizekanzler Werner Kogler am Montag.

Die NEOS warnen eindringlich vor Nehammers Reise. Parteichefin Beate Meinl-Reisinger richtet sich per Aussendung an den Bundeskanzler: „Der Besuch von Bundeskanzler Nehammer beim russischen Präsidenten Putin darf nicht dazu führen, dass Österreich den gemeinsamen europäischen Weg verlässt.“ Besonders die Bilder, die beim Besuch des Kanzlers entstehen werden, bereiten Meinl-Reisinger Sorge: „Insgesamt besteht die Sorge, dass das Treffen Putin letztlich mehr nutzt als der Ukraine. Schließlich kam es schon vor, dass sich Österreichs Politiker vor den russischen Propaganda-Karren spannen ließen“.

Skeptisch gab sich auch die SPÖ. “Dialog zu führen und mit allen im Gespräch zu sein, ist wichtig, aber genauso wichtig ist auch, ein klar definiertes Ziel für dieses Gespräch mit Putin zu haben und innerhalb der EU gut abgestimmt zu sein”, meinte SPÖ-Europasprecher und Vizeklubchef Jörg Leichtfried am Montag. Die Strategie der österreichischen Regierung seit Kriegsbeginn sei weder nachhaltig noch durchdacht, meinte FPÖ-Chef Herbert Kickl.

Russland-Experte: “Keine kluge Entscheidung”

Nehammer kündigte hingegen an, er werde Putin gegenüber “nicht moralisch neutral” sein, er werde die “Kriegsverbrechen” in der Ukraine ansprechen, versicherte er. “Reden heißt nicht, seine Position aufzugeben”, befand Nehammer, “ganz im Gegenteil, ich sage sie ihm (Putin, Anm.)”. Nehammer habe mit Putin Spielregeln für den Besuch vereinbart. So werde das Vier-Augen-Gespräch in Putins Residenz abgehalten, es soll auch nur ein Foto von diesem Treffen entstehen. Ö1-Journalist Hartmut Fiedler hatte im Morgenjournal am Montag jedoch seine Zweifel daran, “dass die Russen sich daran halten und es nicht ganz nach ihren Belieben inszenieren, dagegen ist Nehammer natürlich nicht gefeit”.

Die Zweifel an einem Erfolg sind jedenfalls groß. Der Russland-Experte Gerhard Mangott von der Uni Innsbruck kritisierte am Sonntagabend in der ZiB 2 den am Montag stattfindenden Putin-Besuch scharf:”Ich halte diesen Besuch für keine kluge Entscheidung.” Auf einen Brückenbauer habe in der EU keiner gewartet, die Osteuropäer kritisierten diesen Schritt bereits scharf, sagte Mangott. Russlands Präsident Wladimir Putin habe die Macht über die Bilder dieses Besuches und werde diese zu nutzen wissen.

Sorge um russische Instrumentalisierung des Nehammer-Besuchs

Der österreichische Kanzler habe nicht genug Gewicht in Europa, um etwas zu bewegen. Das wisse man auch in Moskau. Das von Nehammer genannte Ziel eines Waffenstillstands werde von der Ukraine von Beginn an gefordert, sagte der Russland-Experte. Es gebe keinen Grund, warum Putin das auf Vermittlung Nehammers machen sollte. Auch der Zeitpunkt dieser Reise sei unglücklich angesichts dessen, dass Russland gerade einen Großangriff in der Ostukraine vorbereite. “In Moskau will keiner über einen Waffenstillstand reden oder auch nur denken”, so Mangott. Gespräche über die Schaffung von humanitären Korridoren sollten auch besser zwischen Russland und der Ukraine geführt werden, dazu brauche es keine Vermittlung durch Österreich.

“Es ist schwer nachvollziehbar, was sich der Kanzler von dieser Reise erwarte. Er hat nicht die Macht über die Bilder.” Diese werde das russische Fernsehen zeigen und für Propaganda nutzen. Nehammer werde Putin Bilder verschaffen, die sagen: “Ich bin nicht isoliert, es gibt Länder im Westen, die mit uns kooperieren.” Der französische Präsident Emmanuel Macron und der deutsche Kanzler Olaf Scholz würden mit Putin telefonieren, aber sie würden ihm nie diese Bilder verschaffen, kritisierte Mangott.

Es sei auch unverständlich, dass Nehammer zwei Tage nach seinen Solidaritätsbekundungen in der Ukraine nach Moskau reise. “Das passt in der Kommunikation von vorne bis hinten nicht zusammen”, so Mangott.

(bf/apa)

Titelbild: APA Picturedesk

Autor

  • Benedikt Faast

    Redakteur für Innenpolitik. Verfolgt so gut wie jedes Interview in der österreichischen Politlandschaft.

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