Das ist ein Unterüberschrift
Anpatzen war gestern. Eine beliebte Taktik Präsident Trumps und seiner Berater ist: Jede Auseinandersetzung, die eine Gefahr darstellt, so massiv zu stören und mit Dreck zu bewerfen, bis niemand mehr klar sehen kann. Die ÖVP tut gerade dasselbe mit dem Ibiza-Untersuchungsausschuss, der ab Mittwoch wieder tagt.
Wien, 30. Juni 2020 | Am Sonntag war schönes Wetter. Gut so, denn ich war bei einer Grillparty eingeladen. Am Tisch: Ein Dutzend Menschen mit guter (Aus-)Bildung, guten Jobs – Lehrer, leitende Angestellte; die Mittelklasse unter sich. Natürlich wurde über den Ibiza-U-Ausschuss gesprochen. Der generelle Tenor lautete: Der Aufklärungswille ist ja löblich, aber da kommt sowieso nichts raus, das kostet nur Geld.
Kein Vertrauen in den Ausschuss
Die anekdotische Erfahrung dürfte durchaus repräsentativ sein. Eine Unique-Research-Umfrage für die Tageszeitung Heute ergab, dass sich nur 36 Prozent der Befragten durch den aktuellen U-Ausschuss neue Erkenntnisse erhoffen. 2011 waren es laut OGM-Umfrage für den Kurier noch 58 Prozent.
Ist der Pessimismus am Ende gerechtfertigt? Was sind denn bisher die Erkenntnisse aus dem Ibiza-Untersuchungsausschuss, die als Eindruck in die breite Öffentlichkeit, zu den Wählern, durchgedrungen sind? Die FPÖ ist korrupt bis auf die Knochen, die ÖVP auch, aber dabei viel geschickter. Die öffentliche Empörung bleibt aus, weil der Nachrichtenwert fehlt: Wussten wir eh schon immer. Diesen Frame kann die Opposition nicht durchbrechen, auch wenn die in dieser Hinsicht völlig unverdächtige Steffi Krisper zurecht sagt: „Wir sind nicht so, zumindest nicht alle.“ Auch der Bundespräsident erklärte angesichts des Ibiza-Videos: “So sind wir nicht.“
Weil es eh schon wurscht ist
„Doch, genau so sind die!“, sagen viele Wähler und meinen die Politik insgesamt. Die ÖVP hat inzwischen gemerkt, dass ihr niemand mehr den „neuen Stil“ abnimmt. Folgerichtig setzt sie, genau wie FPÖ, alles daran, eine differenzierte Betrachtung zu erschweren. Je präziser der Ausschuss die politische Verantwortung für Korruption und Postenschacher bezeichnen kann, desto schlimmer. Also gibt es Störfeuer, Nebelgranaten und allgemeine Zerstörung des Diskurses. Mittelfristig wird so zwar aus der türkisen Aufbruchsbewegung eine „Weil es eh schon wurscht ist“-Nichtbewegung; doch einstweilen sind die Ablenkungsmanöver ein probates Mittel.
Der Ausschussvorsitzende ist für alle Welt ersichtlich befangen, weicht aber „keinen Millimeter“. Wann immer eine Befragung Fahrt aufnimmt, grätscht Sobotka im Doppel mit ÖVP-Fraktionsführer Wolfgang Gerstl dazwischen. Politisch wird Sobotka das beschädigen, aber wurscht.
Gernot Blümel kann sich an gar nichts erinnern, nicht einmal daran, ob er bei der Arbeit einen Laptop verwendet. Ist das bei einem Finanzminister vertrauenerweckend? Egal. Sebastian Kurz löscht angeblich alle Textnachrichten und rückt seinen Terminkalender nicht heraus, was erstens lächerlich, zweitens gesetzeswidrig und drittens vor allem vollkommen wurscht ist.
Wenn die Angelegenheit einmal wirklich unangenehm wird, hält man der Öffentlichkeit ein Stöckchen zum Drüberspringen hin. Zum Beispiel ein Heeresreform-Ablenkungsmanöver. Im Zweifelsfall findet sich immer irgendein Lapsus der Opposition, der sich aufbauschen lässt. „Widerwärtiges Luder“ ist bekanntlich zärtlich gemeint, aber wenn Steffi Krisper ein völlig alltäglicher Fluch herausrutscht, sind die Zeitungen voll damit.
Wie man Forellen fängt
Die Sache hat System. Von Donald Trumps ehemaligem Chefberater Steve Bannon ist folgende Faustregel überliefert: „The real opposition is the media. And the way to deal with them is to flood the zone with shit.” Das ließe sich höflich übersetzen als: “Die wirkliche Opposition sind die Medien. Man wird mit ihnen fertig, indem man das Gebiet mit Dreck flutet.“
In Franz Schuberts „Die Forelle“ fängt der Angler die wachsame Beute, indem er das Wasser trübt: „er macht‘ das Bächlein tückisch trübe. Und eh’ ich es gedacht, so zuckte seine Rute; das Fischlein zappelt dran; und ich, mit regem Blute, sah die Betrog‘ne an.“
Der US-amerikanische Journalist Sean Illing erklärte angesichts des Impeachment-Verfahrens gegen Trump im Online-Medienmagazin „Vox“: „Meine Befürchtung im Februar war, dass die Dreckflutung eine mediale Umgebung erzeugen würde, in der die Fakten des Impeachment-Verfahrens völlig bedeutungslos wären. Egal, wie das Verfahren ausginge, egal was aufgedeckt würde, keine Version der Wahrheit wäre akzeptiert worden. Leider kam es exakt so.“
Man ersetze im Zitat „Impeachment-Verfahren“ durch „Unterschungsausschuss“, um zu verstehen, was gespielt wird. Maggie Haberman von der New York Times stellte fest: Solange Trump mit Reportern streitet, kann er von den Versäumnissen der Regierung ablenken. Genau das tat Sebastian Kurz am Montag im Puls24-Sommergespräch, als er jede Recherche pauschal zum „medialen Spin“ erklärte.
Zum Angeln gehören zwei
Wie Journalismusprofessor Jay Rosen von der New York University in seinem Blog pressthink.org erklärt, funktioniert diese Taktik nur, wenn Journalisten über jeden „Dreck“ berichten, den die Regierung verlautbart. „Unser Job ist, euch mitzuteilen, was geschieht. Ihr entscheidet, was ihr daraus macht.“ Diese journalistische Grundregel kann, wie Rosen feststellt, zur Ausrede werden. Denn klarerweise entscheiden Journalisten immer aktiv, worüber sie berichten – die Scheinneutralität macht es nur leichter, die getroffenen Entscheidungen nicht rechtfertigen zu müssen. „We report – you decide“ ist nicht zufällig das offizielle Motto von Trumps Lieblingssender Fox News.
Nur weil das Wasser so dreckig ist, muss die Forelle nicht nach jedem Köder schnappen. Das gilt natürlich nur für jene, die sich gar nicht fangen lassen wollen, obwohl der Inseraten- und Sonderförderungsköder so verlockend ist. Umso gewitzter müssen die Journalisten mit ausgeprägtem Freiheitsdrang sein.
Thomas Walach
Titelbild: APA Picturedesk