Samstag, Dezember 7, 2024

Das letzte Gefecht

Nehammer und sein Schutzpatron:

Karl Nehammer will ganz anders sein: offen, ehrlich, anständig – der Antikurz. In seinem Schatten hat sein neuer Innenminister begonnen, die Nehammer-Linie auszuheben. 2022 droht der ÖVP-U-Ausschuss im Parlament. Bis dahin müssen alle Brückenköpfe gesichert und alle Verteidigungspositionen besetzt sein. Die ÖVP steht vor ihrem letzten Gefecht.

 

Wien, 12.12.2021. Gerhard Karner hat als Innenminister eine Entschuldigung: „Ich bin Betriebswirt“. Daher kann er nicht beurteilen, ob sein Nachbar Engelbert Dollfuss Austrofaschist war. Damit können wir uns auf einiges gefasst machen:

„Herr Innenminister, was sagen Sie zur Bedrohung durch islamische Fundamentalisten?“

„Gar nichts, ich bin Betriebswirt.“

„Und zu den rechtsextremen Zellen auf den Impfgegner-Demos?“

„Auch nichts, weil ich Betriebswirt bin.“

„Und was werden Sie gegen die COVID-Hooligans unternehmen?“

„Als Betriebswirt…“

Aber was ist ein „Betriebswirt“? Die niederösterreichische Zerlegung des Wortes bringt die Lösung: „Betrieb“ – das ist die ÖVP und „Wirtschaft“ ist Parteibuchwirtschaft. Gerhard Karner ist also kein Innenminister, er ist ein ÖVP-Parteibuchwirt, aber nicht irgendeiner: Gerhard Karner hat seine Ausbildung zum Parteibuchwirt in ÖVP, Innenministerium und Land Niederösterreich mit Auszeichnung absolviert.

Damit ist die Frage nach Karners sachlicher Eignung geklärt und die nächste Frage ist an der Reihe: Warum braucht die ÖVP im Innenministerium jetzt statt eines Experten für öffentliche Sicherheit einen Parteibuchwirt? Auch darauf gibt es eine einleuchtende Antwort. Das über Jahrzehnte bewährte System aus Parteibuchwirtschaft, Parteienfinanzierung, Auftragsvergaben und Regierungsinseraten braucht Schutz.

Der Schwarze Block

Zwei Jahre lang ist aus Justizministerium, Oberstaatsanwaltschaft Wien und Bundeskriminalamt ein Angriff nach dem anderen auf die WKStA gestartet worden. Es war ein Wettlauf mit der Zeit. Die Korruptionsermittler verfolgten türkise Spuren. Hausdurchsuchungen und Handy-Sicherstellungen näherten sich immer mehr dem Zentrum der Macht, Sebastian Kurz und seinen Jüngern Steiner, Bonelli und Fleischmann. Mit der Hausdurchsuchung im Kanzleramt war der Wettlauf entschieden. Kurz wurde entsorgt, und die ÖVP begann, sich auf ihre Verteidigungslinien zurückzuziehen. Jetzt geht es um die Verteidigung des Machtzentrums der ÖVP: des Schwarzen Blocks.

Der Block besteht aus zwei Systemen: dem System „Pilnacek“ in der Justiz und dem System „Kloibmüller“ im Innenministerium. Mit Pilnacek und seinem Mastermind Ex-Justizminister Wolfgang Brandstetter hat der Justiz-Block zwei wichtige Köpfe verloren. Aber das System hält weiter Schlüsselpositionen. Pilnacek-Vertrauensmann Johann Fuchs kontrolliert über die OStA Wien die wichtigsten Verfahren. Einer seiner Vertrauten sitzt als Aufpasser in der WKStA und erledigt das Eurofighter-Verfahren. Wiener Staatsanwälte stehen Akt bei Fuß, wenn unangenehme Verfahren abgebogen werden sollen. Von Linz bis Eisenstadt funktioniert immer noch alles wie gewohnt.

Im Justizministerium hat die ÖVP die Schlacht um die WKStA verloren. Im Innenministerium fühlt sie sich nach wie vor sicher. Der niederösterreichische Kriminalpolizist Omar Haijawi-Pirchner ist von Minister Nehammer mit Parteibuch und ohne nachrichtendienstliche Qualifikation an die Spitze des neuen Nachrichtendienstes DSN gesetzt worden. Mit Andreas Holzer führt ein bewährter Mann das Bundeskriminalamt. Nur Michael Kloibmüller hat sich vor Jahren nach Niederösterreich zurückgezogen.

Gefahr aus dem Parlament

Jetzt droht auch dem Schwarzen Block im Innenministerium Gefahr. Die ÖVP kann nicht mehr verhindern, dass der zweite Ibiza-Untersuchungsausschuss im Frühjahr 2022 die ersten Zeugen laden wird. Erstmals wird sich ein U-Ausschuss ausschließlich mit dem Machtmissbrauch durch eine einzige Partei befassen. Das System „Pilnacek“ ist durch Wiener Staatsanwälte aufgebrochen worden. Dem System „Holzer“ kann es im Parlament an den Kragen gehen.

Der Ausschuss sucht Antworten auf Schlüsselfragen:

  1. Haben Holzer und seine SOKO Ibiza die Ermittlungen der WKStA behindert?
  2. Haben sie das im Interesse der ÖVP getan?
  3. Haben sie sich mit dem System „Pilnacek“ hinter dem Rücken der WKStA abgesprochen?
  4. Sind dabei Verfahren gegen Holzer niedergeschlagen und Ermittlungen verhindert worden?

Die ersten Antworten erwarten die Abgeordneten in den Akten. Einige davon sind dem ersten Ibiza-Ausschuss vorenthalten worden. Der zweite Ausschuss wird sie bekommen.

Schutzpatron Karner

Gerhard Karner hat von innerer Sicherheit nicht mehr Ahnung als von Austrofaschismus. Aber seine Partei weiß: 2022 braucht ihr Block Schutz von ganz oben. Dafür ist Karner der richtige Mann. Er hat gelernt, für seine Partei zu kämpfen. Er weiß, dass „innere Sicherheit“ die Sicherheit des innersten Kreises um Mikl-Leitner, Sobotka und Nehammer ist. Er soll als Gegenpol zur unzuverlässlichen Justizministerin für klare Verhältnisse sorgen. Die Partei kann sich auf ihn verlassen.

Sebastian Kurz hat der ÖVP die totale Macht versprochen. Wie Viktor Orbán wollte er das Land zum politischen Besitz seiner Partei machen. Nehammer hat nach dem Kurz-Sturz eine andere Aufgabe. Die Nehammer-Linie ist die letzte Stellung, die die ÖVP vor ihrem Sturz aus der Macht verteidigt. Karner hält mit Polizei, Verfassungsschutz und Innenministerium drei der wichtigsten Brückenköpfe. Er ist der letzte Schutzpatron der ÖVP.

Am 11. Juni 2020 sandte Pilnacek eine Botschaft an SOKO-Chef Holzer: „Wenn Sie Unterstützung brauchen, ich bin noch da, Sie sind ein grader Michl.“ Holzer antwortete: „Danke, das freut mich und ich melde mich jedenfalls. Ich schätze Sie ebenfalls so ein.“ Pilnacek war bereit, mit Holzer weiterzuschwimmen: „Dann hoffe ich, dass wir nicht gemeinsam untergehen.“ Holzer war auf das Schlimmste vorbereitet: „Das hoffe ich auch nicht. Wenn, aber mit Stil…“ Pilnacek schloss: „Eben, so sind wir.“

2022 kann es soweit sein.

Titelbild: APA Picturedesk

Autor

  • Peter Pilz

    Peter Pilz ist Herausgeber von ZackZack.

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