Kurz-Vorbild entgleitet Corona-Politik
Vor wenigen Wochen hatte Israels Premierminister Benjamin Netanjahu seine Bürger noch zum Ausgehen und Konsumieren ausgerufen. Jetzt schickt er sein Land in den zweiten Lockdown. Grund dafür sind die über 4.000 Neuninfektionen von gestern auf heute.
Wien, 11. September 2020 | Im Kampf gegen das Coronavirus beschloss Israel erst am Sonntag, mehrere Städte teilweise zu sperren. Grund: die Ansteckung sollen verlangsamt werden, da die rechtsnationale Regierung von Premier Netanjahu heftiger Kritik bezüglich Krisenbewältigung ausgesetzt ist. Letztes Wochenende hatte das Land die 1.000-Todesfälle-Marke überschritten, was zu Protesten gegen Netanjahus Krisenmanagement führte.
Wie das israelische Gesundheitsministerium am Donnerstag verkündete, ist ein landesweiter Lockdown angesehen, die Menschen dürfen sich nicht weiter als 200 Meter von ihrem Zuhause wegbewegen. Schulen und Kindergärten sollen geschlossen werden, genauso wie Restaurants, Cafés und Geschäfte. Gebete dürfen nur noch im Freien stattfinden. Der Lockdown soll vor dem jüdischen Neujahrsfest am kommenden Freitag beginnen und zwei Wochen lang dauern. Zuvor war die Pandemie in Israel noch einigermaßen moderat verlaufen. Nach den raschen Lockerungen im Mai stiegen die Fallzahlen jedoch wieder in die Höhe.
Corona-Infektionen in Israel geraten außer Kontrolle
Die Titelseite der in Israel meistverkauften Zeitung „Yediot Aharonot“ wurde letztes Wochenende den Corona-Todesopfern gewidmet, und zwar mit dem Titel:
„Das schändliche Scheitern der Krisenbewältigung seit Mai“.
Seit Juli-Beginn ist die Zahl der Infizierten von 10.000 auf knapp 34.000 angestiegen. Israel ist zurzeit auf Platz 5 der Corona-Fälle weltweit pro Millionen Einwohner (derzeit 16.821 Fälle/Mio. – im Vergleich: die USA hat nur knapp 3.000 Fälle mehr pro Mio.), für den Zeitraum der letzten zwei Wochen. Insgesamt sind in Israel knapp 34.000 aktive Fälle gemeldet. 489 befinden sich auf der Intensivstation.
Allerdings ist auch die Zahl der Corona-Tests deutlich höher als zuvor, in der vergangenen Woche wurden etwa eine Million Tests durchgeführt, das sind rund 143.000 am Tag. Netanjahu befürchte jetzt schon eine Überlastung der Krankenhäuser.
Wieder Überwachung durch Geheimdienst?
Die Regierung hat für die Eindämmung der Corona-Pandemie das Sammeln von Handy- und Kreditkartendaten veranlasst. Per Notstandsverordnung legte Netanjahu Mitte März die Überwachung der Bürger in die Hände des Inlandsgeheimdiestes Shin Bet. Netanjahu gestattete diesem den Einsatz von Technologien, die normalerweise im Anti-Terror-Kampf eingesetzt werden.
Laut Medienberichten wurde neben GPS-Daten vierzehn Sensoren von Smartphones ausgewertet, die zum Beispiel Bewegung, Beschleunigung oder die Lichtverhältnisse messen sollen. Es wurden sogar Auskünfte eingeholt, welches WLAN-Netz genutzt werde oder ob sich ein Bluetooth-Gerät in der Nähe befinde – ein tiefer Eingriff in die Privatsphäre aller in Israel lebenden Menschen.
Zusätzlich wurde sogar die Kreditkartennutzung überwacht. Da klingeln die Alarmglocken sämtlicher Datenschützer, die sich auch fragen, was wohl mit den Daten nach dem Einsatz passiert. Wie die “Süddeutsche Zeitung” im Juli berichtete, soll der israelische Geheimdienst auch nach dem ersten Lockdown mittels Überwachung gegen das Coronavirus “gekämpft” haben.
Ziemlich beste Freunde – Beziehung zwischen Kurz und Netanjahu
Sebastian Kurz pflegt enge Verbindungen mit dem Premierminister, der jetzt im eigenen Land unter Druck steht. Zuletzt war Kurz im Parlament negativ aufgefallen, als er sich nicht mehr daran erinnern konnte, was genau er mit “Vorbild” Netanjahu am Telefon besprochen hatte – Zackzack berichtete über das „Corona-Telefonat“.
Laut „Kurier“ hatte Kurz in kleinen Runden die Erzählung gestreut, die Beschränkungen in Österreich wären möglicherweise nicht oder zumindest nicht so schnell beschlossen worden, hätte er nicht zweimal mit „Bibi“ Netanjahu telefoniert. Lässt sich Kurz nun weiterhin von seinem Freund beraten?
(jz)
Titelbild: APA Picturedesk