Uni Wien distanziert sich
Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) sorgte am Donnerstag mit der Präsentation einer „Islamlandkarte“ für große Empörung. Die Grünen sind „irritiert“. Die FPÖ sieht sich bestätigt.
Wien, 28. Mai 2021 | Die „Dokumentationsstelle politischer Islam“ sorgt für Ärger innerhalb der türkis-grünen Regierung. Integrationsministerin Susanne Raab präsentierte am Donnerstag eine Landkarte mit muslimischen Organisationen und Kultusgemeinden in Österreich – inklusive Adressen. Mehr als 600 Einrichtungen wurden darin erfasst.
„Integrationsmaßnahme“
Ursprünglich war die Landkarte ein Projekt der Universität Wien gewesen. Nach der Kooperation mit der Dokumentationsstelle will die Universität Wien aber umgehend aussteigen. Rektor Heinz Engl untersagte bereits die Nutzung des Logos der Universität.
Die Karte, die es bereits seit einigen Jahren gibt, wurde von Integrationsministerin Susanne Raab als neu präsentiert und sorgt für vernichtende Kritik. Während die Ministerin die Karte als „Integrationsmaßnahme“ verkaufe, würden alle Muslime in Österreich unter „Generalverdacht“ gestellt werden, so die Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen (IMÖ). Tatsächlich organisiert auch die rechtsextreme „Identitäre Bewegung“ ein ähnliches Projekt, wo Namen, Adressen und Moscheen von Menschen gelistet werden, die von den „Identitären“ als islamistische „Gefährder“ eingestuft werden.
Ein Angriff der ÖVP auf den kleinen grünen Koalitionspartner, der von der Raab-Präsentation wohl überrumpelt wurde. Regierungsmitglieder und der grüne Klub wären im Vorfeld weder eingebunden noch informiert gewesen. Man sei „irritiert“ und distanziere sich vom „kontraproduktiven“ Projekt. Der grüne Sicherheitssprecher Georg Bürstmayr nennt die Karte angesichts steigender Angriffe auf muslimische Gruppe „unverantwortlich“. Die grüne Integrationssprecherin Faika El-Nagashi kündigte ihrerseits einen runden Tisch mit Communitys und Experten an.
Wissenschaftler verteidigt sich
Die Islamlandkarte sei aber keine Landkarte, die nur den politischen Islam zeigt, wie der Leiter des Forschungsprojekts der Universität Wien, Ednan Aslan, am Donnerstag sagte: “Wir haben 623 Verbände, Organisationen und Moscheen erfasst und beschrieben.”
Auf der anderen Seite zeige man aber auch “gefährliche Tendenzen” auf, so Aslan: “Wir wollen die Politik darauf aufmerksam machen.” Schließlich litten auch die Mehrheit der Muslime letztlich unter radikalen Tendenzen.
Neben der Karte habe die Dokumentationsstelle auch drei Dossiers der größten Dachverbände islamischer Vereine in Österreich erarbeitet, nämlich ATIB, Millî-Görüs und die Grauen Wölfe, erläuterte Mouhanad Khorchide, Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats der Dokumentationsstelle. In diesen Papieren werden neben der Herkunft und dem ideologischen Verständnis auch die Strukturen und Netzwerke oder etwaige Verbindungen ins Ausland der Dachverbände analysiert.
Bei ATIB, dem mehr als 60 Moschee-Einrichtungen hierzulande zuzuordnen sind, stelle sich etwa die Frage nach der Unabhängigkeit zur türkischen Politik. Und Millî-Görüs sei der prominenteste Vertreter des politischen Islam mit Nähe zur Muslimbruderschaft, so Khorchide. Millî-Görüs ist laut dem Dossier in Österreich aktuell mit 48 Einrichtungen vertreten, 29 Moscheevereine sind den Grauen Wölfen zuzurechnen.
Sehr scharfe Kritik an dem – wie sie berichteten alten, nämlich schon seit 2012 verfolgten – Projekt, übten die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ), die Grünen, die SPÖ und die NEOS.
Für die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich zeugt die “Islamlandkarte” nach dem Anti-Terror-Paket erneut von der “evidenten Absicht der Regierung, pauschal alle in Österreich lebenden Muslime und Musliminnen als potenzielle Gefahr zu stigmatisieren”. Die Kampagne befeuere den Rassismus und setze die muslimischen Bürger “einem massiven Sicherheitsrisiko aus”, betonte IGGÖ-Präsident Ümit Vural in einer Aussendung.
Die seit Gründung der Dokumentationsstelle bestehende Befürchtung einer politischen Einflussnahme und Instrumentalisierung der Wissenschaft hat sich für ihn bestätigt. Vural kritisierte auch, dass die IGGÖ nie in das seit 2012 laufende Projekt – das teils stark veraltete und unrichtige Informationen enthalte – eingebunden gewesen und ihre jetzt eingeholte Stellungnahme nicht berücksichtigt worden sei: “Eine tatsächliche Dialogbereitschaft darf daher angezweifelt werden.”
Die NEOS erachten die “Islamlandkarte” als das “nächste türkise Ablenkungsmanöver” angesichts der Korruptionsvorwürfe und Ermittlungen gegen Kanzler Sebastian Kurz. Die FPÖ sieht sich in ihrer Politik bestätigt.
(ot)
Titelbild: APA Picturedesk