Ein Senner packt aus
Warum gibt es im Hotel im nahegelegenen Tourismusgebiet keinen Käse aus der Region? Hat sich seit Corona wirklich was in den Köpfen in Sachen Regionalität verändert? Und was können wir von echten Bauern lernen? Der Kärntner Senner Josef Warmuth (51) packt im ZackZack-Interview aus: Wie er als Bauer lebt, und warum er einen Pick auf die Landwirtschaftspolitik und auf die Hotellerie und Gastronomie in seinem Tourismusgebiet Nassfeld hat.
Wien, 03. August 2021 | Josef Warmuth betreibt mit seiner Frau einen Selbstversorger-Bauernhof samt Almwirtschaft im Kärntner Gailtal. Er ist bereits die neunte Generation am Hof und hält alte Bauerntradition nicht nur in seiner Lebensweise aufrecht: Der Gailtaler Almkäse, den er in den Sommermonaten auf der unteren Bischofsalm produziert, ist ein Jahrhunderte altes Produkt. ZackZack hat den Bauern gefragt, was ihn derzeit am meisten beschäftig.
ZackZack: Dir ist nachhaltige Landwirtschaft ein Anliegen.
Josef Warmuth: Ja, ich sehe das als kleinen Mosaikstein in der globalen Klimaschutzdiskussion. Seit der Betriebsübernahme vor 25 Jahren arbeiten wir biologisch. Gerade jetzt, wo gerade erst der Welterschöpfungstag war – das hat mir wieder zu denken gegeben. Der Welterschöpfungstag für Österreich war ja schon im April, also es ist eigentlich ein Wahnsinn, was wir Menschen aufführen auf diesem Planeten.
ZZ: Bestimmte Entwicklungen wie die Klimaerwärmung, Starkregen usw. betreffen uns
JW: Ich bin jetzt nicht der Mensch der als Moralprediger durch die Lande zieht und sagt es müssen alle bio machen, aber allein die Naturkatastrophen in den letzten Wochen zeigen doch dass es wichtig ist dass der Boden einen Humusgehalt und Wasserspeicherfähigkeit hat, um im Falle von Starkregen Wasser aufnehmen zu können, und dass nicht das Wasser nur oberflächlich abrinnt und es dann zu so Katastrophen führt wie wir sie jetzt in Deutschland und Österreich erlebt haben. Humusgehalt-Aufbau im Boden funktioniert aber mit intensiver Landwirtschaft, mit Kunstdünger und Spritzmittel, einfach nicht.
ZZ: Biobauern entscheiden sich freiwillig gegen hochgiftige Spritzmittel wie Glyphosat und zeigen, dass es auch anders geht. Gesetzlich gibt es aber für die Landwirtschaft in Österreich derzeit immer noch kein Glyphosatverbot.
JW: Allein die Diskussion übers Glyphosat ist meines Erachtens nach beschämend. Ich habe Verständnis dafür, dass ein intensiver Bauer vor den Kopf gestoßen ist, wenn so ein Wirkstoff verboten wird und er dann nicht weiß, wie er in der Organisation von der Bewirtschaftung seiner Äcker tun soll. Aber dass man zumindest mal einen Ansatz in die Richtung macht und sagt, in fünf oder zehn Jahren wird dieser Wirkstoff verboten, und liebe Spritzmittelindustrie, jetzt habt ihr fünf Jahre Zeit für Forschung, um was anderes auf den Markt zu bringen, oder irgendwas – aber einfach nur zu sagen “Nein, das geht nicht, wir brauchen das” – das ist ein bisschen zu wenig in der heutigen Zeit. Aber wir haben halt den Bauernbund, der – Kärnten ist da mit 50 Prozent die große Ausnahme – in den Bundesländern 70 bis 80 Prozent hat. Die Dominatoren im Bauernbund sitzen in Niederösterreich, dort wird der Ton für die Politik angegeben, und da bekommt natürlich die ökologische Berg-Landwirtschaft im Westen von Österreich nicht so großes Gehör.
ZZ: Gleichzeitig wirbt das Landwirtschaftsministerium auf seiner Webseite: „Österreich ist weltweit Bio-Land Nummer 1“, mit 23 Prozent der Betriebe und 26 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche.
JW: Vor 25 Jahren, als wir den Betrieb übernommen haben, waren wir noch die Spinner, aber mittlerweile hat sich die Form der biologischen Landwirtschaft schon etabliert. Ich sag‘ immer, wir werden ein bisschen missbraucht von der Politik: Wir sind das Feigenblatt nach außen hin: „es ist eh alles super bei uns da, und wir haben eh so viele Bio-Bauern und es lauft eh gut.“
ZZ: Die Realität vieler kleiner landwirtschaftlicher Betriebe in Österreich ist, dass ein Auskommen ohne Zuverdienst außerhalb der Landwirtschaft gar nicht möglich ist. Wie kommt ihr über die Runden?
JW: Bei uns im Dorf sind wir noch 20 Landwirtschaftsbetriebe und wir sind der einzige, wo meine Frau und ich im Vollerwerb daheim am Hof sind. Bei allen anderen Betrieben geht zumindest ein Ehepartner auf die Arbeit außerhalb des Hofs. Man muss halt den Lebensaufwand anpassen und entscheiden, was man für sich haben will und was nicht. Ich hab keinen Pick-Up wie zehn andere Haushalte bei uns im Dorf, obwohl ich ihn eigentlich am ehesten brauchen würde mit der Almwirtschaft. Jeder hat andere Prioritäten – uns ist einfach wichtig, dass unser Gemüsegarten so und so viele Quadratmeter hat und wir uns da mit gutem Essen selbst versorgen können. Und wir bringen‘s trotzdem zusammen, dass wir jedes Jahr mit den Kindern fünf Tage auf Urlaub fahren. Natürlich setzen wir uns da nicht in den Flieger und fliegen irgendwohin, sondern alles was wir in einem Autoradius gut erreichen kann. Wir sind zufrieden damit.
Der gesellschaftliche Druck ist heutzutage ganz ein anderer als früher – da ist entscheidend, was für ein Auto du hast und wohin du auf Urlaub fährst. Als unsere kleine Tochter im Kindergarten war wurde sie von einem anderen Kind gefragt, warum sie heute wieder das gleiche Gewand wie gestern anhat. Unsere Kinder haben erst in der 8. Schulstufe ein Handy bekommen. Da gabs zu Hause oft Tränen. Das sind so Sachen, wo man sich halt gegen den gesellschaftlichen Druck wehrt, aber immer kann man es auch nicht durchziehen. Ganz gegen den Strom schwimmen geht halt auch nicht.
ZZ: Ihr macht da eine Gratwanderung – wie würdest Du diese beiden Pole benennen?
JW: Zwischen Otto-Normalverbraucher-Gesellschaft und … Ich sag‘ immer, Bauer sein heißt in Generationen denken. Das ist das, was unserer Gesellschaft und auch der Wirtschaft fehlt. Die Wirtschaft investiert heutzutage in irgendein Projekt, und das muss sich innerhalb von fünf oder zehn Jahren rechnen. Ich als Bauer treffe Entscheidungen und mache Investitionen, die 20 und 30 Jahre lang reifen. Unser ganzes Handeln, das wir am Hof setzen, ist immer darauf ausgelegt, auch schon an die nächste Generation zu denken – dass die auch eine Lebensgrundlage findet, um auch so wie wir eine Familie davon ernähren zu können.
ZZ: Ein bisschen mehr bäuerliches Gedankengut würde der Gesellschaft gut tun.
JW: Dass uns das fehlt, spiegelt sich 1:1 in dem Welterschöpfungstag wider. Wenn wir anfangen nachzudenken und sagen hoppla, wir müssen schauen, dass die Menschheit in 100 Jahren auch noch so eine tolle Erde vorfindet, wie wir sie haben, dann müssten wir unseren Lebenswandel drastisch ändern. Ob uns das so schnell gelingen wird, wie sich das Klima verändern wird? Da ist jetzt für mich angesichts der derzeitigen Klima- und Wetterveränderungen die Frage, ob der Mensch das schaffen wird, da mitzuwachsen. Ich frage mich: Welche Pflanzen werden wir auf den Wiesen ansäen, um Futter für unsere Tiere zu haben? Welche Pflanzen können mit Trockenperioden im Sommer zurechtkommen und auf der anderen Seite mit großen Regenmassen, die dann in kurzer Zeit herniederfallen?
Ein Kollege von mir hat das so gut beschrieben: Wir fahren mit 150 mit einem Dieselauto auf eine Mauer zu. Unsere Strategie ist jetzt, wir nehmen statt dem Diesel- einen Elektromotor. Aber wir fahren trotzdem mit 150 auf die Mauer zu. Wir können nicht sagen, wenn der Verbrennungsmotor weg ist und der Elektromotor da ist, dann passt wieder alles. Das ist zu wenig. Glaub ich halt, ich weiß es ja auch nicht, bin ja nur ein einfacher Bauer mit einer einfachen Schulbildung, und kein studierter Uniprofessor. Aber ich nehme das auf, was ich draußen in der Natur sehe. Und da macht man sich halt so seine Gedanken.
ZZ: Gerade was nachhaltigen Lebenswandel betrifft kann uns ein Bauer wohl mehr beibringen als ein Uniprofessor.
JW: Ja, aber Strategie aus dieser Entwicklung auszusteigen habe ich auch keine. Wenn man hergeht und sagt die Gesellschaft muss sich nur um 20 Prozent ändern, das ist ja nahezu undurchführbar. Das wirds in Zukunft aber sein müssen, es kann ja nicht sein, dass wir auf Kosten von der anderen Halbkugel der Erde leben, und das tun wir jetzt schon seit der Kolonialisierung.
ZZ: Auch zu Lasten der österreichischen Landwirte, wenn Lebensmittel aus Übersee bei uns verkauft werden.
JW: Ja, da ist die Landwirtschaft ein Paradefall. Wenn ich heute sag, dass 20 Prozent der Milch in Österreich mit Futtermittel produziert werden, die in Südamerika wachsen – da müssen wir uns ja schämen.
Wenn ich das in unserem Tal betrachte: vor 40 Jahren hat jeder Betrieb seine zwei bis drei Schweine gefüttert fürs eigene Fleisch, und hat zehn Hühner gehabt für die eigenen Eier, und einen Gemüsegarten. Heutzutage ist jeder Betrieb auf irgendwas spezialisiert, entweder er hat nur Milchkühe oder betreibt nur Rindermast, aber diese Vielfältigkeit und Versorgungsstrategie ist vielfach verlorengegangen. Das ist unter anderem auch dem geschuldet, dass ein Ehepartner arbeiten gehen muss: Vielfalt braucht natürlich Zeit.
ZZ: Dass ein Auskommen mit nur Landwirtschaft oft nicht möglich ist, liegt auch an den geringen Lebensmittelpreisen.
JW: Vor 120 Jahren, 1900, hat die Durchschnittsfamilie in Österreich 57 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel aufgewendet. 1970 waren es noch 25 Prozent, und jetzt sind wir mittlerweile bei zwölf Prozent. Das ist das Problem in unserem Wirtschaftskreislauf, dass die Lebensmittel so billig gehalten werden müssen, damit noch genügend Geld da ist, um den anderen Wirtschaftskreislauf in Schwung zu halten, dass ich mir alle drei Jahre eine neue Garten-Sitzgarnitur kaufen kann, oder sonst irgendeinen Firlefanz, den ich zehn Jahre lang auch nutzen könnte.
In meiner Kindheit hat es im Juni und Juli Kirschen gegeben, und es hat in der Adventzeit Mandarinen und Orangen gegeben. Heutzutage gibt es die Erdbeeren das ganze Jahr, und das sind halt auch so Sachen, die natürlich zu Kosten von der ganzen Erde gehen. Und diese Geiz ist geil-Mentalität, dieses zahl zwei und kauf drei, brauchen tust aber sowieso nur eins – das ist halt schwierig.
ZZ: Eine Frage noch, viele haben die Hoffnung gehabt dass mit Corona auch das Bewusstsein für Regionalität mehr in die Köpfe durchdringt. Hast Du das bemerkt?
JW: Schwer zu sagen. Ich habe jetzt nicht neue Kunden, die ich vorher noch nicht hatte. Was auch so ein Punkt ist, ist die Gastronomie und Hotellerie. Kein Bauer von uns versteht das: dass es nicht möglich ist, dass auf der Speisekarte steht, das Schnitzel ist vom Schwein vom Huber-Bauern, weil hinten auf der Weinkarte steht auch oben, der Wein ist vom Weingut Huberbauer aus dem Burgenland, oder aus Frankreich. Nur bei den normalen Lebensmitteln ist das vorne auf der Speisekarte nicht möglich.
Ich spreche da aus leidvoller Erfahrung, wir sind hier im Gailtal mitten im Tourismusgebiet, das größte Skigebiet Kärntens, das Nassfeld, ist 25 Kilometer von mir entfernt. Es gibt die Vereinigung der Gemeinschaft der Gailtaler Almesennereien, da sind wir 13 Almen, die diesen Gailtaler Almkäse erzeugen, und ich frage jedes Jahr bei der Sitzung einmal: Wie schauts aus, wie viel Käse wird in die Hotellerie geliefert? Nahezu nichts. Das sind genau diese Punkte, wo ich sag‘ – das kann nicht sein! Vorne am Frühstücksbuffet, da haben sie dann einen halben Kilo Gailtaler Almkäse liegen für den Gast, und hinten in der Küche wird dann der Käse um 3,50 Euro von weiß der Kuckuck woher verarbeitet. Und das Ei kommt aus dem 20 Liter-Kanister raus, aus ukrainischer Käfighaltung.
In so einem hoch zivilisierten Land wie bei uns in Österreich ist das beschämend. Und auf der anderen Seite schicken Sie uns im Sommer die Hotelgäste auf die Alm und sagen, „da ist eine super alte traditionelle Almkäserei, das müssts Euch anschauen“. Da sind so Widersprüche drin, wo wir gegen Windmühlen laufen.
Auch in der hochpreisigen Hotellerie: Da wird der Kochlehrling in der Spargelzeit nach hinten ins Lager geschickt, um die Sauce Hollandaise aus dem 5 Liter-Pack zu holen. Und das rühmt sich dann als Vier-Sterne-Hotel: dann ist ja meine Frau daheim eine Fünfhaubenköchin. Und die Leute, die in diesen Hotels absteigen, glauben dann auch noch, weiß Gott was Gutes sie da konsumieren. Das ist schon sehr fadenscheinig, was da betrieben wird. Man kann natürlich nicht alle in einen Topf werfen, aber die große Masse läuft in dieser Richtung ab.
ZZ: Danke für das Gespräch!
Das Interview führte Larissa Breitenegger
Titelbild: APA Picturedesk