Das Gründen von „Lerngruppen“ im Falle einer Anmeldung zum häuslichen Unterricht sei „nicht erlaubt“, behauptete Bildungsminister Faßmann. Einige Anwälte meinen, das stimmt nicht. ZackZack hat sich umgehört.
Wien, 02. September 2021 | Über 5.600: Österreichs Schulen verzeichnen fast doppelt so viele Anmeldungen zum häuslichen Unterricht (HU) wie im Vorjahr – das österreichische Bildungssystem verliert immer mehr Schüler. Mit einem “Beratungsangebot” für Eltern, die ihr Kind zum HU anmelden wollen, versucht ÖVP-Bildungsminister Heinz Faßmann jetzt händeringend, die Kinder in den Schulen zu behalten.
Am Mittwoch behauptete er, dass das Gründen von Lerngruppen verboten sei. ZackZack sprach mit Juristen: Verboten sind Lerngruppen offenbar nicht. Rechtsanwalt Gerold Beneder ist Teil der aufgrund ihrer Kritik an der Coronapolitik umstrittenen “Rechtsanwälte für Grundrechte”. Er kündigte gegenüber ZackZack ein Schreiben an die Bildungsdirektionen mit der Aufforderung, „die Eltern nicht zu verunsichern und Klarstellungen durchzuführen“, an.
Staatsgrundgesetz: Recht auf häuslichen Unterricht
Jeder Staatsbürger hat das Recht auf häuslichen Unterricht: Dies ist im Staatsgrundgesetz, Artikel 17, geregelt. Das Gesetz beginnt mit dem allgemein bekannten Zitat “Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei”.
Screenshot aus dem Staatsgrundgesetz.
Seit Corona berufen sich immer mehr Erziehungsberechtigte auf dieses Recht. Die jeweiligen Bildungsdirektionen der Länder stellen dazu notwendige Formulare auf ihren Webseiten zum Download zur Verfügung. Voraussetzung: Eine jährliche Prüfung über den Schuljahres-Stoff muss extern an einer öffentlichen Schule abgelegt werden.
Die Behörde, bei der der häusliche Unterricht vor Schulbeginn eingereicht werden muss, hat allerdings ein Vetorecht und kann diesen nach Überprüfung untersagen.
Gesetz für häuslichen Unterricht über 150 Jahre alt
Ein häufiges Argument gegen den häuslichen Unterricht (HU) ist, dass das soziale Lernen im Klassenverband durch diesen unterlaufen würde. Doch dem genannten Argument gehe laut einem Rechtsanwalt die mittlerweile veraltete Vorstellung voraus, dass HU isolierter Unterricht im 1:1-Setting bedeutet.
Damals sei es beim HU unter anderem auch darum gegangen, die eigenen Standesgrenzen zu wahren und die Kinder mittels eigenem Hauslehrer unterrichten zu lassen, erläutert Rechtsanwalt Georg Rihs, der unter anderem auf Schulrecht spezialisiert ist. Doch die Situation heute sieht anders aus: Eltern seien meist beide berufstätig und hätten keine Zeit, ihre Kinder zu unterrichten, geschweige denn Geld, sich einen Hauslehrer zu leisten.
Faßmann: Lerngruppen „nicht erlaubt“
Eltern und Erziehungsberechtigte bilden jetzt vermehrt sogenannte „Lerngruppen“ (ZackZack berichtete). ZackZack hat beim Bildungsministerium nach der Grundlage für die Aussage des Ministers in “oe24” gefragt: Dazu müsse das Privatschulgesetz herangezogen werden, so die Auskunft aus dem Bildungsministerium, das folgende Definition einer Schule aus dem Gesetz zitiert:
„Schulen (…) sind Einrichtungen, in denen eine Mehrzahl von Schülern gemeinsam nach einem festen Lehrplan unterrichtet wird, wenn im Zusammenhang mit der Vermittlung von allgemeinbildenden oder berufsbildenden Kenntnissen und Fertigkeiten ein erzieherisches Ziel angestrebt wird.“
Das Bildungsministerium begründet Faßmanns Äußerung daher wie folgt: „Die Errichtung einer Privatschule ist gemäß §7 PrivSchG mindestens drei Monate vor Eröffnung der Schulbehörde anzuzeigen. Wer eine Privatschule ohne Anzeige führt, begeht eine Verwaltungsübertretung. Demnach ist es nicht zulässig, eine Lerngruppe wie eine Privatschule ohne Öffentlichkeitsrecht zu führen, weil die ja eben nicht bei der Behörde gemeldet wird.“
Jurist hält dagegen
Das Faßmann-Ministerium legt Lerngruppen demnach als Privatschulen aus, die anzeigepflichtig sind. Tatsächlich käme das Privatschulgesetz zum Tragen, sobald mehrere Kinder gemeinsam mit einem Lehrplan und „erzieherischem Ziel“ unterrichtet würden, erklärt Georg Rihs gegenüber ZackZack.
Screenshot aus dem Privatschulgesetz.
Doch dies treffe auf Lerngruppen nicht zwangsläufig zu. Georg Rihs dazu: „Ist eine Lerngruppe so lose organisiert, dass es sich nicht um eine Privatschule im Sinn des Privatschulgesetzes handelt, dann wäre es ok. Erreicht die Lerngruppe aber einen Organisationsgrad, der die Kriterien einer Privatschule erfüllt, dann muss dem entsprechend die Errichtung und Führung einer Privatschule angemeldet werden mit laufender Aufsicht durch Schulbehörde“, so der Jurist. Er sagt: Verboten ist das Gründen von Lerngruppen nicht. Doch der Staat wolle die Kinder lieber im beaufsichtigten Bereich behalten. Dafür bietet das Gesetz auch Handlungsspielraum, erläutert Rihs die derzeitige Debatte:
„Die Bildungsdirektionen sind Einrichtungen an der Schnittstelle von Politik und Verwaltung. Die Rechtslage zielt darauf ab, dass alternative Formen von Unterricht wie häuslichen Unterricht außerhalb der Schulaufsicht nicht zu sehr ausufern: Durch die Möglichkeit der Schulbehörden, den häuslichen Unterricht vorab zu untersagen und die begleitenden Strafbestimmungen bei Verletzung der Schulpflicht können die Behörden darauf hinwirken, dass Kinder in erster Linie in staatlicherseits anerkannten und beaufsichtigten privaten oder öffentlichen Schulen unterrichtet werden“, so Rihs, der das Schulrecht als „komplex und umfangreich“ beschreibt.
Rechtsanwalt Beneder mit Appell an Bildungsminister
Rechtsanwalt Beneder kritisiert die Ausführungen von Faßmann: Lerngruppen „kann gemäß derzeitiger Rechtslage niemand verbieten“.
“Irgendetwas zu behaupten, was nicht stimmt, das in die Welt zu setzen, und dann nicht richtigzustellen, das beobachten wir jetzt seit eineinhalb Jahren gehäuft. Das ist inakzeptabel“, kritisiert Beneder grundsätzlich die Politik.
Bei ihm und Anwaltskollegen der Rechtsanwälte für Grundrechte würden die Telefone heiß laufen. Es kämen Anrufe von Eltern und Lehrern, die Faßmanns Corona-Politik „nicht mehr tragen wollen“: „Der Bildungsminister und die Bildungsdirektionen geben einen Erlass raus, der in vielen Punkten unerträglich ist für Schüler wie Lehrer – und dann wundern sie sich, warum sich so viele abmelden. Jetzt wollen sie den häuslichen Unterricht den Leuten schwer machen.“, so Beneder. Doch dagegen werden zahlreiche Eltern wie Lehrer – mit seiner Unterstützung und seitens der Rechtsanwälte für Grundrechte – vorgehen.
Beneder stellt klar: „Die Eltern wollen Lerngruppen machen, das kann ihnen niemand verbieten. Diese Lerngruppen haben keinen gemeinsamen festen Lehrplan. Hier wird Privatschule mit Lerngruppe vermischt – aber Lerngruppen können sie nicht verbieten. Lerngruppen haben keine festen Lehrpläne. Bei Lerngruppen gibt es auch keine Anstellungsverhältnisse. Der Bundesminister möge Unterlagen vorlegen, woraus sich ergeben soll, dass Lerngruppen unzulässig sein sollen!“
(lb)
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