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Kronzeugenregelung steht vor dem Aus

Das ist ein Unterüberschrift

Mit Jahresende läuft die Kronzeugenregelung aus, sofern sie nicht vom Parlament verlängert wird. Wird Österreich in zehn Wochen überhaupt noch eine Kronzeugenregelung haben?

Wien, 15. Oktober 2021 | „Es soll die Möglichkeit geben, dass einer die Karten auf den Tisch legt.“ So beschreibt Walter Geyer, ehemals Leiter der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, das Ziel einer Kronzeugenregelung. Wer der Staatsanwaltschaft hilft, ein Verbrechen aufzuklären, kann selbst straffrei davonkommen.

Seit 10 Jahren gibt es eine solche Möglichkeit im österreichischen Strafrecht. Bald nach Einführung war sie überarbeitet worden, denn die Vorgaben des ursprünglichen Gesetzes waren so streng, dass es einfach nicht zur Anwendung kam. Am 31. Dezember 2021 läuft das Gesetz aus. Es enthält eine sogenannte Sunset-Klausel, endet also zu einem vorgegebenen Datum, wenn es nicht verlängert wird.

Der Grund: Man habe sich die Regelung erst einmal ansehen wollen, wie Experten sagen – für Österreich war das ganze Konzept völlig neu gewesen. In knapp zehn Wochen könnte Österreich also wieder ohne Kronzeugenregelung dastehen. Wird sie auf den letzten Metern noch verlängert? Und bleibt sie, wie sie ist, oder wird sie ausgeweitet?

Experten wollen Ausweitung

Genutzt wird der Paragraf 209a der Strafprozessordnung nämlich bis heute kaum. Er besagt, dass Personen, gegen die ermittelt wird, mit der Staatsanwaltschaft einen Deal aushandeln können. Wer hilft, eine besonders schwere Straftat aufzuklären oder eine kriminelle Vereinigung auffliegen zu lassen, kann ohne Strafe davonkommen. In Anspruch nehmen kann das, wer von sich aus seinen Beitrag zu solchen Straftaten gesteht und Informationen oder Beweise liefert, die neu sind und einen „wesentlichen“ Beitrag zur Aufklärung leisten.

Aber die Regelung habe bisher „keine entscheidende Rolle gespielt“ erklärt Geyer. Er ist, wie Richter Oliver Scheiber, einer der Proponenten des Antikorruptionsvolksbegehrens. Die Initiatoren des Volksbegehrens wünschen sich „auf jeden Fall eine Verlängerung“, aber auch eine Ausweitung der Regelung, sagt Scheiber.

Ein Problem besteht für Walter Geyer darin, dass häufig weder Ermittler noch Verteidiger über den jeweiligen Nutzen der Regelung nachdächten. „Die Kronzeugenregelung ist in der Kultur des österreichischen Strafrechts noch nicht verankert.“ Das sei beispielsweise in Italien anders, wo sich eine Kronzeugenregelung in Mafiaprozessen bewährt habe. Die Parlamentsparteien sollten also ausländische Experten beiziehen, um eine Reform der Regel in Österreich anzugehen.

Opposition geschlossen für Verlängerung, Ausgang offen

Für SPÖ-Justizsprecherin Selma Yildirim ist „selbstverständlich“, dass die Regelung verlängert werden soll und zwar diesmal „unbefristet.“ Auch Yildirim geht die derzeitige Regelung nicht weit genug, weil sie kaum angewendet wird. Unter den Justizsprechern der Parlamentsparteien sei aber bisher nicht einmal die Verlängerung Thema gewesen.

Harald Stefan, FPÖ-Justizsprecher, drängt auf eine Evaluierung des Gesetzes. Er kann sich eine Flexibilisierung vorstellen, damit die Regelung attraktiver würde. Stefan möchte das Thema auch gegenüber Justizministerin Alma Zadic ansprechen. Die ist am Dienstag zu einer allgemeinen Aussprache im Rahmen des Justizausschusses eingeladen.

Bleibt bis Jahresende denn überhaupt genügend Zeit für eine Reform? „Wenn der Wille da ist, wenn allen Parteien Korruptionsbekämpfung ein ehrliches Anliegen ist, dann geht sich das aus,“ ist Selma Yildirim überzeugt.

Johannes Margreiter, er ist Justizsprecher bei den NEOS, sieht das ebenso. „Wenn ein übereinstimmender Wille da ist, geht es sich aus.“ Aktuell sei die Regelung totes Recht. Margreiter wünscht sich, dass sie „in die Praxis überführt und verlängert“ wird, aber: „Knackpunkt ist die ÖVP.“ Wenn die sich querlege, sei nichts zu machen. Justizsprecherin Alma Zadic (Grüne) wäre laut Margreiter „sicher im Boot“.

Von Grünen-Justizsprecherin Agnes Sirkka-Prammer und – noch entscheidender – ihrem Pendant bei der ÖVP, Michaela Steinacker, war am Freitag kurzfristig keine Stellungnahmen zu bekommen.

Das Schicksal der Kronzeugenregelung ist also inmitten der Inseratenaffäre völlig offen.

(tw)

Titelbild: APA Picturedesk

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