Samstag, Juli 27, 2024

Infiltrierte Jan Marsalek das Innenministerium?

Ein Geheimpapier aus Berlin bereitet Sorge für Österreichs Sicherheit: Der flüchtige Wirceard-Manager Jan Marsalek könnte jahrelang Zugang zu geheimen Informationen aus dem Innenministerium gehabt haben.

Wien, 14. Jänner 2022 | Das österreichische Innenministerium (BMI) könnte in einem bislang unbekannten Ausmaß von Jan Marsalek infiltriert worden sein. Der Verdacht: Über Jahre hinweg war das BMI offen wie ein Scheunentor, Ermittlungsschritte könnten von außen überwacht worden sein.

Das ergeben neue Erkenntnisse in Verbindung mit einem Geheimpapier aus Berlin, das ZackZack vorliegt. Es handelt sich um den vertraulichen Bericht des Ermittlungsbeauftragten des Deutschen Bundestags. Demnach stellte Wirecard verdeckten Ermittlern der deutschen Behörden Kreditkarten für Tarnidentitäten zur Verfügung.

Der geheime Bericht an den deutschen Bundestag. Faksimile ZackZack.

Auch in Österreich wickelte Wirecard Kreditkartenzahlungen für das BMI ab, wie parlamentarische Anfragen von NEOS und FPÖ herausfanden. Im Fokus der Oppositionsparteien standen Vergaben des Ministeriums an Wirecard bzw. deren Tochterunternehmen. Ab 2004, also rund 16 Jahre lang, bezog das BMI diverse Dienstleistungen des mittlerweile insolventen Münchner Konzerns.

Marsalek holte sich widerrechtlich Kundendaten

Brisant sind nicht die jährlichen Kosten für das BMI, denn die hielten sich im niedrigen vierstelligen Bereich. Es geht eher um den Service, den Wirecard bereitstellte. Demzufolge wurden vom BMI eine Zahlungssoftware sowie Kreditkartendienste genutzt, etwa für Projekte in den Bereichen Strafregisterauszüge oder Meldedaten. In der Herrengasse wog man sich offenbar in Sicherheit, galt Wirecard doch lange als Premiumanbieter. Das Versprechen: Innovative und sichere Transaktionen. Wie man jetzt weiß, war Wirecard alles, nur nicht sicher.

Laut Aussage von Wirecard-Vorständin Susanne Steidl bei der Staatsanwaltschaft München besorgte sich Marsalek einen „kompletten Jahresdatensatz der Wirecard-Geschäftspartner“, also auch des österreichischen Innenministeriums. Als Grund gab Marsalek an, dass der deutsche Nachrichtendienst BND die Daten haben wolle. Dass Wirecard seine Kundendaten an den Geheimdienst übermitteln wollte, wäre schon schlimm genug. Doch Untersuchungen zufolge hat der BND die Daten „nachprüfbar nicht erhalten“. Der Ermittlungsbeauftragte wirft die Frage auf, wer die Daten dann erhielt.

Es ist also völlig unklar, was Marsalek mit den Informationen über das Innenministerium tat.

Kreditkarten für Tarn-Identitäten auch in Wien?

Der Schaden für Österreichs Sicherheit könnte indes noch viel größer gewesen sein. In Deutschland nutzten BND und Bundeskriminalamt (BKA) Kreditkarten von Wirecard. Während diesbezügliche BND-Unterlagen „wegen des Methodenschutzes“ als geheim eingestuft wurden, räumte das BKA ein, die Karten für Tarn-Identitäten eingesetzt zu haben. Ziel sei es ursprünglich gewesen, Cyberkriminalität aufzudecken. Im Nachhinein betrachtet, habe man aber „den Bock zum Gärtner“ gemacht, heißt es im Geheimpapier von Wieland.

Angesichts der engen Zusammenarbeit zwischen deutschem BKA und Wirecard werde verständlich, weshalb Wirecard-CFO Alexander von Knoop laut „Süddeutsche Zeitung“ vom 05. Februar 2021 gemailt haben soll: „Super-vielen Dank! Wir werden noch zur BKA-Hausbank“.

Die Operation der deutschen Ermittler. Gab es Ähnliches in Österreich? Faksimile ZackZack.

Zugang zu den Kreditkarten- und Zahlungsdaten bedeutet, dass Marsalek die Tarnidentitäten der Ermittler kannte und zumindest die Möglichkeit hatte, Zahlungen nachzuverfolgen. Was, wenn der flüchtige Österreicher auch hierzulande mit den Ermittlern des BMI shoppen ging? Das will das Haus auf Nachfrage nicht beantworten. Auch nicht, ob der Verfassungsschutz (BVT) wie die deutschen Behörden Wirecard-Kreditkarten für verdeckte Ermittler nutzte. Die Fragen würden „zum Teil behördeninterne Vorgänge oder Ermittlungen betreffen“, so ein Sprecher des BMI. Auch seien bereits zahlreiche Fragen zu dem Thema im Rahmen parlamentarischer Anfragen beantwortet worden.

Genutzt wurden vom BMI Zahlungsdienstleistungen „unter Einbeziehung der Kreditkartenmarken Visa/MasterCard, Diners Club, American Express und JCB“ sowie „der Bank Austria Creditanstalt AG, Bank für Arbeit und Wirtschaft AG, Österreichischen Sparkassenverband und der Raiffeisen Bankgruppe“, wie Innenminister Karner (ÖVP) in der Antwort auf die NEOS-Anfrage betont. Die gewählt technische Sprache wirkt, als hätte sich Karner Mühe gegeben, die Sprengkraft der Kooperation zu überdecken. Seine Antworten an NEOS (fragte nach Wirecard AG) und FPÖ (fragte nach Tochterunternehmen) sind teilweise wortident, weichen aber in manchen Punkten voneinander ab – obwohl es offensichtlich um dieselben Dienstleistungen geht.

Eineinhalb Jahre nach dem Zusammenbruch des Wirecard-Konzerns gibt es nun die erste Anklage im Komplex (ZackZack berichtete). Es wird wohl nicht die letzte gewesen sein, bei Ex-CEO und ÖVP-Großspender Markus Braun wird ebenfalls damit gerechnet. Derweil ist das Vertragsverhältnis des BMI mit dem Nachfolger der Konzerntochter Wirecard CEE weiterhin aufrecht, wie Karner zugab.

(wb)

Titelbild: APA Picturedesk

Autor

  • Ben Weiser

    Ist Investigativreporter und leitet die Redaktion. Recherche-Leitsatz: „Follow the money“. @BenWeiser4

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