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EU-Lieferkettengesetz: »Großes Potenzial aber Nachschärfungsbedarf«

EU präsentierte Gesetzesvorschlag

Die EU hat einen Gesetzesvorschlag für ein Lieferkettengesetz präsentiert. Das sei ein großer Schritt sagen Kritiker, Hintertüren sehen sie aber vor allem bei den Themen Verantwortung und Haftung.

Wien/Brüssel, 24. Februar 2022 | Kinderarbeit, Umweltverschmutzung, Verstöße gegen Menschenrechte – entlang globaler Lieferketten liegt vieles im Argen. Wenn es darum geht, darauf zu achten, dass Tochterunternehmen und Lieferanten gewisse Mindeststandards einhalten, werden Unternehmen bis dato kaum in die Pflicht genommen, obwohl NGOs und Gewerkschaften seit Jahren verbindliche Regeln in diesem Bereich fordern.

Doch in den letzten Jahren tut sich etwas. Als erstes europäisches Land hat Frankreich 2017 ein Lieferkettengesetz eingeführt, in Deutschland tritt das kürzlich beschlossene Lieferkettengesetz 2023 in Kraft. In Österreich fehlt die Diskussion zu diesem Thema auf staatlicher Ebene eher.

Nach zwei Jahren ist jetzt der erste Entwurf für ein EU-Lieferkettengesetz da. Am Mittwoch hat die EU-Kommission einen Gesetzesvorschlag präsentiert. Erstmals sind Sanktionen für Unternehmen vorgesehen, die nicht darauf achten, dass entlang ihrer Lieferketten bestimmte Mindeststandards eingehalten werden. Ein zivilgesellschaftliches Bündnis aus NGOs, ÖGB und Arbeiterkammer tritt in Österreich dafür ein. Das Bündnis begrüßt den Gesetzesvorschlag als „ambitioniert“ und „notwendigen ersten Schritt“. Positiv sei zum Beispiel, dass in dem Entwurf eine Zivilhaftung vorgesehen ist und dass es Verwaltungsstrafen bei Nichteinhalten geben soll. Es gäbe allerdings großen Nachschärfungsbedarf, damit das Gesetz nicht zahnlos ausfällt.

Die meisten Unternehmen wären nicht betroffen

Konkret gibt es drei Schlupflöcher. Erstens: Es sind zu wenige Unternehmen betroffen. Denn das Lieferkettengesetz soll nur Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern und einem Nettoumsatz von mehr als 150 Millionen Euro pro Jahr betreffen. In Branchen, die eher mit Verstößen gegen Arbeits- und Umweltstandards rechnen müssen, soll die Grenze bei 250 Mitarbeitern liegen. Das beträfe etwa Bekleidungs-, Schuh-, Lebensmittel- und Chemieindustrie.

Damit wären aber die meisten Unternehmen, nämlich kleine und mittlere, vom Lieferkettengesetz ausgenommen. In der gesamten EU müssten nur 0,2 Prozent aller Unternehmen mit Sanktionen rechnen, in Österreich sogar nur 0,06. Das sei unverständlich, sagt AK Wien-Expertin Julia Wegerer: „Die Anzahl der Mitarbeiter und die Höhe des Umsatzes als Kriterien sind nicht aussagekräftig, was das Risiko in der Lieferkette angeht und ob dort Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung stattfinden.“

Verantwortung auf andere abschiebbar

Zweitens sei in der bisherigen Fassung völlig unklar, wie die Betroffenen bei Verstößen zu ihrem Recht kommen, sagt Claudia Saller, General Director der European Coalition for Corporate Justice, Brüssel. Hürden sind etwa Verfahrenskosten und der Umgang mit Beweisen. Auch sei nicht klar, wer vor Gericht gehen darf und ob das etwa NGOs oder Privatpersonen dürfen. Ebenfalls zu beachten sei die Verjährung. Solche Verfahren würden nämlich dauern, sagt Michaela Krömer, Rechtsanwältin für Klima-,Umwelt- und Verfassungsrecht.

Drittens, so Claudia Saller, können Unternehmen die Verantwortung durch Vertragsklauseln einfach auf ihre Lieferanten schieben, indem sie etwa „diese ein Papier unterschreiben lasse, dass sie sich an die Menschenrechte halten und dann selbst nicht haftbar wären“. Diese Hintertür trage klar die Handschrift der Industrielobby.

Ein weiteres Problem seien die langen Fristen, sagt Bettina Rosenberger vom Netzwerk Soziale Verantwortung: „Im aktuellen Vorschlag würde das Gesetz erst nach zwei Jahren implementiert werden. Gerade jetzt ist die Kinderarbeit wieder am Ansteigen und wir diskutieren das seit zwanzig Jahren. Da ist keine Zeit noch länger zu warten.“ Der Vorschlag sehe auch nicht vor, “dass Gewerkschaften beim Sorgfaltspflichtenprozess einbezogen werden müssen. Eine verpflichtende Einbindung der Gewerkschaften werden wir unbedingt fordern”, sagt außerdem ÖGB-Betriebswirtin Miriam Baghdady.

Nationaler Spielraum, aber gegen Fragmentierung

“Es gibt von unserer Seite hohe Erwartungen an die Österreichische Bundesregierung!” , heißt es vom Bündnis, dass die Regierung aufruft, sich auf EU-Ebene für Nachschärfungen einzusetzen. „Nichts hindert Österreich daran strengere Regeln, als in der Richtlinie zu machen“ meint etwa Michaela Krömer. Stefan Grasgruber-Kerl von Südwind sagt, man müsse sich zuerst darum kümmern, dass die Richtlinie auf EU-Ebene sinnvoll nachgeschärft werde, dann könne man sich Gedanken über die nationale Umsetzung machen.

EU-Parlament-Vizepräsident Otmar Karas betonte, dass die EU als größter Binnenmarkt der Welt nicht zulassen dürfe, dass es zu einem nationalen Fleckerlteppich unterschiedlicher Regelungen komme. Dafür werde sich das EU-Parlament einsetzen. Das ist auch im Sinne des Bündnisses. ÖVP-Wirtschaftsminiserin Margarete Schramböck will sich die EU-Richtlinie “sehr genau ansehen”. Viele Unternehmen nähmen ihre Verantwortung im Bereich der Menschenrechte schon jetzt wahr, meint Schramböck, es dürfe nicht zu viel Bürokratie entstehen. Die Grünen begrüßen den Gesetzesvorschlag. Er biete “eine Riesenchance für unsere Betriebe”, so Wirtschaftssprecherin Elisabeth Götze, vor allem für ökologisch wirtschaftende. “Es ist einer der wichtigsten Schlüssel, um nachhaltig und konsequent gegen Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörungen vorzugehen”, so SPÖ-Europapolitikerin Bettina Vollath. Dazu brauche es aber auch ein “entschlossenes Handeln” der österreichischen Regierung, forderte SPÖ-Justizsprecherin Selma Yildirim.

(sm)

Titelbild: APA Picturedesk/ Future-Image via ZUMA Press

Stefanie Marek
Stefanie Marek
Redakteurin für Chronik und Leben. Kulturaffin und geschichtenverliebt. Spricht für ZackZack mit spannenden Menschen und berichtet am liebsten aus Gerichtssälen.
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2 Kommentare

  1. Mit der schwarzen Brut in der Regierung wird da orginalgar nix passieren. Die verhindern lieber mit allen Mitteln. Es könnten ja Grosspender betroffen sein und Gewinnrückgang drohen…….

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