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Münchner Justiz will Marsalek-Auslieferung – Skandalvorstand in Moskau vermutet

Skandalvorstand in Moskau vermutet

Die Jagd nach Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek wird immer spannender. Zumindest letztes Jahr soll sich der österreichische „Most Wanted“ unter FSB-Obhut in Russland aufgehalten haben. Jetzt macht die Münchner Justiz ernst.

Moskau/Berlin, 19. April 2022 | Zumindest bis vor kurzem war das deutsche Boulevardblatt „Bild“ nicht für ausgiebige Wirecard-Berichterstattung bekannt. Das hat sich jüngst geändert, denn das Blatt will Informationen über den Aufenthaltsort vom flüchtigen Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek haben. Demnach soll sich Marsalek zumindest Anfang 2021 in einer geschützten Nachbarschaft in einem Moskauer Außenbezirk aufgehalten haben.

Jetzt interessiert sich auch die deutsche Justiz für die Story und will „Bild“-Informationen zufolge eine Auslieferung Marsaleks nach Deutschland erwirken. Die Vorwürfe gegen Marsalek: unter anderem gewerbsmäßiger Bandenbetrug, besonders schwerer Fall der Untreue und Bilanzfälschung.

Rechtshilfeersuchen an Kreml geschickt

Die in der Affäre ermittelnde Staatsanwaltschaft München I soll vor Ostern noch den Kreml kontaktiert haben. Es gebe ein sogenanntes Inhaftnahmeersuchen. Ziel: Marsalek soll in München vor Gericht gestellt werden. Von der russischen Justiz wird verlangt, den seit Juni 2020 flüchtigen Ex-Manager zu inhaftieren und im Anschluss auszuliefern. Das Ersuchen soll übrigens die genauen Koordinaten des mutmaßlichen Aufenthaltsorts enthalten.

Schon am 11. April hatte „Bild“ enthüllt, dass Marsalek „bei Putin“ untergetaucht sei, und zwar unter Obhut des Inlandsgeheimdienstes FSB. Gut geschützt dürfte man den mutmaßlich Schwerkriminellen aber nicht haben. So soll der Österreicher in Moskau rund um dubiosen Handel mit dem Impfstoff Sputnik V aufgeflogen sein. Ob Marsalek selbst oder ein Mittelsmann mit dem Stoff gedealt hat, ist unklar.

Die Informationen stammen aus den Reihen des deutschen Auslandsnachrichtendienstes BND. Der habe die brisanten Erkenntnisse an die ihm übergeordnete Behörde, das Bundeskanzleramt (damals unter Kanzlerin Merkel), weitergeleitet. Die Münchner Ermittler, die immerhin öffentlich um Fahndungshilfe bitten, seien aber zunächst leer ausgegangen. Das wollten die nicht auf sich sitzen lassen. So kam es, dass kürzlich ein Tross der Staatsanwaltschaft in der Berliner BND-Zentrale eintrudelte, um die geheimen Akten einzusehen.

Gerüchte um Aufenthaltsort nicht neu

Gerüchte, wonach sich Marsalek in Russland aufhalten könnte, gibt es seit seiner Flucht. Die startete vom Kleinflughafen in Bad Vöslau, wobei sich die Spur in Belarus verlor. Seitdem wird gerätselt: Wo hält sich der „Most Wanted“ auf? Die Zeitung „Die Welt“ etwa berichtete schon im Juni 2021 von „glaubwürdigen und plausiblen Hinweisen“ des BND, der schon damals Moskau als Marsaleks Versteck auf dem Schirm gehabt haben will. Zuvor hatte das „Handelsblatt“ unter Berufung auf Diplomaten- und Unternehmerkreise über eine heiße Spur nach Russland berichtet.

Eine vermeintliche Schwäche der „Bild“-Hinweise ist indes der Zeitraum des Auffliegens, nämlich Anfang Jänner 2021. Spekuliert wurde deshalb auch über einen möglichen neuen Unterschlupf. Gerüchte in Richtung Dubai, Südamerika oder Frankreich schwirren seither durch die Berliner Medienszene – freilich ohne Belege. Suggeriert wird in der „Bild“-Enthüllung aber, dass sich Marsalek auch jetzt noch in seinem schmucken Moskauer Häuschen aufhält. Das dürften auch die Münchner Ermittler so sehen.

Sicher ist: im Herbst nimmt sich die Staatsanwaltschaft Ex-Wirecard-Boss Markus Braun vor. Der ÖVP-Großspender sitzt dann auf der Anklagebank. Dem Milliardär werden gewerbsmäßiger Bandenbetrug, Veruntreuung, Bilanzfälschung und Markmanipulation vorgeworfen. Braun drohen bis zu zehn Jahre Haft. Dass Marsalek bis zuletzt von der Bildfläche verschwunden war, kam Markus Braun entgegen. Der Ex-CEO behauptet, selbst Opfer betrügerischer Handlungen seines ehemaligen Vorstandspartners geworden zu sein. Ehemalige enge Mitarbeiter – ZackZack konnte mit einem davon ausführlich sprechen – sehen das ganz anders. Auch andere Belege weisen auf einen engen Umgang der zwei Österreicher hin. Für Braun und Marsalek gilt die Unschuldsvermutung.

(wb)

Titelbild: Wirecard

Autor

  • Ben Weiser

    Ist Investigativreporter und leitet die Redaktion. Recherche-Leitsatz: „Follow the money“. @BenWeiser4

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