Samstag, Juli 27, 2024

Interview – Was tun gegen die Inflation?

Interview

Alles wird spürbar teurer – die Inflation ist so hoch wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Was das für die Menschen bedeutet und was man dagegen tun kann, erklärt GPA-Inflationsexperte Robin Perner.

Wien, 22. April 2022 |

ZackZack: In Österreich wurde eine Generation erwachsen, die hohe Inflation gar nicht kennengelernt hat. Verändert sich da gerade Grundsätzliches?

Robin Perner: Ja, wir sind da einigen Veränderungen ausgesetzt. Begonnen hat alles mit der Coronakrise und der wirtschaftlichen Erholung, die als Preistreiber wirkte. Deshalb haben wir schon gegen Ende letzten Jahres hohe Inflationsraten gesehen. Aber auch die geopolitische Situation, die wir in ähnlicher Form lange nicht erlebt haben, heizt die Inflation an. Da kommen also mehrere Faktoren zusammen.

ZZ: Glauben Sie, dass sich die Inflation verfestigen wird? Werden wir wieder eine jahrzehntelange Phase steigender Preise erleben?

RP: Das hängt davon ab, was man dagegen tut. Es gibt ja Dinge, die man machen kann: Preisdeckel bei bestimmten Gütern, oder Dämpfungen bei Mieterhöhungen zum Beispiel. Aber ein großer Teil der Inflation wird durch Importgüter verursacht, vor allem Energieträger. Da kann nur helfen, so rasch wie möglich auf erneuerbare Energie umzusteigen und aus der Abhängigkeit von Importen zu kommen.

ZZ: Werden Löhne und Gehälter mithalten? Und falls ja, kann das zu einer Preisspirale führen?

RP: Die Löhne müssen mithalten! Es ist auch unsere gewerkschaftliche Aufgabe, das zu bewerkstelligen. Es ist ja nicht so, dass aus dem nichts heraus die Löhne ansteigen und damit eine Spirale in Gang setzen. Lohnerhöhungen sind immer Antworten auf die gestiegenen Preise des Vorjahres. Wir sind also mit unseren Lohnforderungen oft sogar noch weit entfernt von den aktuellen Inflationsraten. Die Behauptung, Lohnverhandlungen würden die Inflation befeuern, ist einfach nicht richtig.

Die aktuelle Inflation wird ja durch die Angebotsseite verursacht, nicht durch zu große Lohnerhöhungen bei den Konsumenten.

ZZ: Das Hinterherhinken von Lohnerhöhungen hinter der Inflation spüren die ArbeitnehmerInnen also, wenn sie ihre Rechnungen bezahlen?

RP: In den letzten 40 Jahren hatten die Unternehmensgewinne erheblichen Anteil an den steigenden Preisen. Ja, warum machen denn die Unternehmen nicht einfach weniger Gewinne, anstatt ständig die Preise zu erhöhen? Solange die Preise drohen, den Löhnen davonzulaufen, müssen wir höhere Löhne einfordern. Und genau das werden wir auch tun. Aber in Situationen wie aktuell, wo die Preise sogar zwischen den Monaten deutlich steigen, können wir über Lohnverhandlungen den Kaufkraftverlust gar nicht abdecken. Deshalb ist es Aufgabe der Regierung, Abhilfe zu schaffen.

ZZ: Welche Maßnahmen sollen das konkret sein? Gefordert wurden zum Beispiel ein erneutes Aussetzen der Mietanpassung, Einmalzahlungen für kleine Pensionen und einiges mehr. Was sind Ihre Vorschläge?

RP: Ja, diskutiert wird viel. Es wird aber nur ein kleiner Teil der Teuerungen tatsächlich ausgeglichen. Laut Berechnung der Arbeiterkammer ist der durchschnittliche Haushalt aktuell mit 1.400 Mehrbelastung im Jahr konfrontiert. Durch die bisherigen Maßnahmen der Regierung wird nicht einmal die Hälfte abgedeckt.

Die Mieten sind ein spezielles Thema. Die hohen Energiepreise tragen ohnehin die Haushalte. Welche Rechtfertigung bieten steigende Energiepreise den Vermietern, auch noch die Mieten zu erhöhen? Das ergibt einfach keinen Sinn. Da könnte man eigentlich von einer Mietpreisspirale sprechen. Die Menschen müssen mehr fürs Heizen bezahlen, dadurch steigt der Verbraucherpreisindex. Mit ihm steigen die Mieten. Natürlich erzeugt das eine höhere Inflation.

Es ist unbedingt nötig, da einzugreifen. Leider wurde das bisher nicht getan. Die Richtwertmietenerhöhung ist mit April in Kraft getreten. Wir hoffen, dass die Regierung da noch etwas macht.

ZZ: Was heißt „etwas machen“ konkret? Die Mieten vom Verbraucherpreisindex entkoppeln?

RP: Genau. Man könnte einen anderen Index heranziehen, zum Beispiel einen, der die Instandhaltungskosten von Immobilien abbildet. Aber ausgerechnet der Index, in dem die Energiepreise stecken, macht keinen Sinn.

ZZ: Was gibt es sonst noch an Maßnahmen?

RP: Die Einmalzahlungen müssen dringend erhöht werden. Eine Maßnahme, die schnell helfen würde – und wir brauchen schnelle Hilfe –, wäre die Senkung von Steuern auf Energieträger. Und selbst die EU-Kommission denkt über einen Preisdeckel auf Energie nach. Es lägen genügend Vorschläge auf dem Tisch.

Stattdessen hat die Regierung einfach das recht unfaire System der Pendlerpauschale ausgebaut. Dabei bräuchte das eine Neugestaltung. Die Pendlerpauschale müsste anstatt eines Freibetrags ein Absetzbetrag sein. Dann würden unabhängig vom Einkommen alle gleich viel bekommen.

Es könnte so viel getan werden! Dazu braucht es aber den politischen Willen.

ZZ: Und sehen Sie den? Könnte sich die Regierung bewegen?

PS: Aktuell sehe ich den politischen Willen nicht. Auf die Vorschläge der Sozialpartner reagierte die Regierung mit Schweigen. Es wurde nur ein Treffen mit dem Finanzminister angekündigt. Aber immerhin soll sich am 25. April zum ersten Mal die Teuerungskommission treffen. Die war ein Vorschlag des ÖGB. Ich hoffe, dass die Regierung dann erkennt: Das, was sie bisher getan hat, war zu wenig.

ZZ: Die Teuerungskommission – eine typisch österreichische „Lösung“?

RP: Der Sinn liegt darin, dass wir in Österreich viel zu wenig darüber wissen, was die Teuerung eigentlich ausmacht. Der Verbraucherpreisindex ist einfach nicht repräsentativ für unterschiedliche Einkommensgruppen – soviel wissen wir. Wir wissen aber nicht, in welchem Ausmaß. Wir wollen uns einfach genauer anschauen können, welche Preise steigen.

Das ist wichtig, um zielgerichtetere Maßnahmen setzen zu können. Zurecht wurde beim Energiekostenausgleich kritisiert, dass der nach dem Gießkannenprinzip funktioniert. Aber wir können gar nicht anders! Wir wissen nicht im Detail, welche Personengruppen von den aktuellen Preissteigerungen am meisten betroffen sind, da es mit dem VPI genau eine Zahl gibt, die für die Messung der Preissteigerung herangezogen wird. Auf der anderen Seite profitieren ja auch Teile der Wirtschaft von den Preissteigerungen, aktuell zum Beispiel im Energiesektor. Solche Dinge gehören unterbunden.

ZZ: Was kann man geldpolitisch machen? Klassisches Mittel zur Inflationsdämpfung waren Zinserhöhungen. Liefe man da Gefahr, das Wachstum abzuwürgen?

PS: Damit wäre ich aktuell sehr vorsichtig. Die Wirtschaft hat noch nicht einmal das Niveau vor der Coronakrise erreicht. Die eigentlich guten Prognosen wurden den Ukrainekrieg zunichte gemacht. Geldpolitisch kann man derzeit nicht eingreifen, ohne das Wirtschaftswachstum zu gefährden.

Und da ist die Gefahr des Dreifach-Hammers: Die Menschen wurden durch die Coronakrise getroffen, leiden jetzt unter der Inflation und wenn nun auch noch die Zinsen steigen, sind sie vielleicht nicht mehr in der Lage, ihre Kredite zurückzuzahlen.

Gesamtwirtschaftlich wäre eine Zinserhöhung vielleicht machbar, aber man darf die sozialen Folgen für bestimmte Gruppen nicht aus dem Blick verlieren.

ZZ: Sie sprachen schon davon, dass die Inflation angebotsseitig verursacht würde. Lieferketten sind unterbrochen, manche Produkte sind Mangelware. Wann wird sich das bessern?

RP: Ich glaube leider, dass wir uns an den Mangel an Rohstoffen und Produkten gewöhnen müssen. Das betrifft bestimmte Branchen stärker als andere, vielleicht aber auch Konsumgüter. Es ist denkbar, dass die Wirtschaft in eine andere Phase kommt als in den letzten Jahrzehnten, wo jederzeit alles verfügbar war.

ZZ: Das Ende der Unschuld?

RP: Gewissermaßen. Viele wollen es noch nicht wahrhaben. Aber wir haben auch nicht mit Debatten über steigende Rüstungsausgaben gerechnet.

ZZ: Kommen wir noch einmal zu den Energiepreisen: Bei den Energiekonzernen herrscht Goldgräberstimmung, auch bei denen, die erneuerbare Energie anbieten. Wieso steigen denn da die Preise?

RP: Das liegt am Design unseres Strommarktes. Um den Strombedarf zu decken, werden Kraftwerke nach ihren Stromproduktionskosten gereiht ans Netz geschaltet – das billigste zuerst und dann immer teurer. Das letzte Kraftwerk, das Energie ins Netz einspeist, um den Bedarf zu decken, bestimmt dann den Strompreis. Das nennt sich Merit Order-System.

Das ist von der Idee her gut. Es ist nämlich für die Anbieter ein Anreiz, Strom möglichst billig anzubieten. So können sie ihren Strom verkaufen, steigen aber nicht schlechter aus als der letzte, der noch zum Zug kommt. Das Problem ist nur, dass wir in Österreich immer noch von Gaskraftwerken abhängig sind. Und wenn ein Gaskraftwerk ans Netz geht, bestimmt es damit den Strompreis für alle.

Wenigstens für die Dauer der aktuellen Krise sollte man also über Alternativen nachdenken. Derzeit lukrieren die Stromanbieter laut europäischer Energiebehörde EU-weit rund 200 Milliarden Euro an Übergewinnen. Die EU-Kommission hat eine Möglichkeit angesprochen, dagegen vorzugehen: Eine Steuer auf Gewinne, die über den Gewinnen eines normalen Geschäftsjahres liegen. So könnte man die Kosten wieder fair verteilen.

Robin Perner ist Ökonom in der Grundlagenabteilung der Gewerkschaft GPA.

Titelbild: APA Picturedesk

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