Kommentar zu den ÖVP-Ministerspielen
Im Angesicht der Krise müssen Bürger ein unwürdiges Kasperltheater beobachten, für das sie mit ihren Steuern teuer bezahlen. Wenn Köstinger tatsächlich einen früheren Rücktritt plante, sollte sie ihre letzten Ministergehälter an Bedürftige spenden.
Benjamin Weiser
Wien, 10. Mai 2022 | Es muss vernünftig arbeitenden ÖVP-Funktionären (es gibt ein paar davon) wehtun, was ihre hochbezahlten Parteispitzen aufführen. Eine Ministerrochade nach der anderen, der Kanzler wirkt kurz vor dem Parteitag überrumpelt, gar gedemütigt. Und doch ist es zu einfach, einer Handvoll Kurz-treuer Putschisten die Chaostage umzuhängen. Für den desolaten Zustand der Kanzlerpartei tragen alle Verantwortung. Er ist Folge jahrelanger Kurz-Huldigung von Wien bis Bregenz. Solange Sebastian Kurz den Platz an der Sonne mutmaßlich gekaufter Umfragen sicherte, waren die Mittel allen egal. Jetzt bekommt die Volkspartei, von solide arbeitenden bis staatszersetzenden Amtsträgern, die Quittung.
Schlimm ist das nicht nur aus demokratiepolitischer Sicht, sondern auch für die meisten Geldbörserl in der Republik. Die ÖVP hält sich aus purem Eigeninteresse an der Macht. Wie die Bürger die Inflation bei gleichbleibenden Löhnen meistern sollen, bleibt ein gut gehütetes Staatsgeheimnis. Derweil verdienen sich die Schausteller der türkisen Kasperlbühne ein goldenes Näschen. Wenn es stimmt, dass Elisabeth Köstinger ihren Rücktritt längst geplant hat, aber jetzt erst vollzieht, sollte sie ihre letzten Gehälter an Bedürftige spenden. Ein Ministergehalt beträgt über 18.000 Euro pro Monat. Zum Vergleich: Nach 35 Dienstjahren erhält eine diplomierte Pflegekraft etwa 2.900 Euro brutto pro Monat. Und das ist die Verdienstspitze, denn die Einstiegsgehälter in der Pflegebranche liegen weit darunter.
Was war Köstingers Leistung? Eine Berateraffäre rund um die schlecht organisierten Tourismus-Coronatests, einschließlich Vertuschungsversuchen; das Schließen der Bundesgärten in der Coronakrise im Rahmen eines Kleinkrieges gegen Wien und seine zwei Millionen Einwohner; Lobbying für die Agrarindustrie; das Festhalten am Vollspaltenboden. Ihre jetzt ebenfalls ehemalige Kollegin Margarete Schramböck konnte gut mithalten: Vom gescheiterten Kaufhaus Österreich bis ausgedruckten Digitalisierungsprojekten war nahezu alles dabei, was man einer Wirtschaftsministerin niemals zugetraut hätte.
Man hört, dass der von konservativen Medien hochgelobte Martin Kocher Superminister für die beiden Häuser Arbeit und Wirtschaft werden soll. Das wäre nur konsequent, denn dann wäre die arbeitnehmerfeindliche Politik in einem Haus gebündelt. In der aktuellen Lohnabschlussrunde lagen die Kollektivvertragsabschlüsse bei lediglich 3,5 bis 4 Prozent – die Inflation lag im April bei über 7 Prozent. Garniert wird diese Politik mit einer neuen Peitsche für Arbeitslose (Arbeitslosengeld soll weniger werden), während die Partei fieberhaft überlegt, welcher Funktionär das nächste Zuckerbrot bekommt. Kolportiert werden zumindest zwei neue Staatssekretäre für den Superminister in spe und ein Statthalter Tirols im Landwirtschaftsministerium. Da gegen Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner ermittelt wird, muss wohl bald auch ein Ersatz für Finanzminister Magnus Brunner (ein Vorarlberger) her. Mit Sicherheit wird es jemanden geben, der diesen Job ohne Kompetenz und Verantwortungsbewusstsein antreten möchte.
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