Samstag, Dezember 7, 2024

Polen lenkt bei Justizreformen ein, um EU-Milliarden zu bekommen

Polen will die politisch besetzte Disziplinarkammer am Obersten Gericht jetzt doch abschaffen. Damit ist ein erster Schritt für die Freigabe der EU-Corona-Milliarden getan. Präsident Duda verwies zuvor auf die „schwierige internationale Situation“ – meinte aber wohl auch die eigenen Finanzen.

Wien, 27. Mai 2022 | Polen lenkt im Streit mit der Europäischen Union (EU) ein. Die Abgeordneten des polnischen Parlaments, der „Sejm“, beschlossen mit 231 Ja-Stimmen zu 208 Nein-Stimmen und 13 Enthaltungen die Auflösung der umstrittenen Disziplinarkammer am Obersten Gericht. Am Zug ist nun die zweite Kammer, der Senat. Worum geht es?

Polen braucht dringend Geld

Die EU sieht unzulässigen Polit-Einfluss auf das Höchstgericht. Die Mitglieder des Gremiums wurden vom sogenannten Landesjustizrat ernannt. Der unterliegt politischer Kontrolle und ist de facto ein Vehikel der rechtsnationalen Regierungspartei PiS. Aufgrund der Weigerung Polens, die Disziplinarkammer aufzulösen, verurteilte der Europäische Gerichtshof das Land zur Zahlung von einer Million Zwangsgeld pro Tag.

Mittlerweile ist man bei über 200 Millionen Euro Strafe angelangt. In Zeiten der Krise ein schmerzhafter Betrag für Polen, zumal die wertvollen EU-Coronahilfen wegen der Posse um die Disziplinarkammer bislang zurückgehalten werden. Das Geld braucht man sowohl zur Abfederung der Krisenfolgen, als auch zur Finanzierung der Ukrainehilfen. Warschau unterstützt das Nachbarland nicht nur mit Waffenlieferungen, mit mehr als 3,5 Millionen ukrainischen Geflüchteten (Stand 3. Mai) liegt man mit Abstand vor allen anderen Aufnahmeländern.

Präsident zwingt Regierung zum Handeln

Dass sich Polen mit überbordendem Polit-Einfluss auf die Justiz offensichtlich selbst schadet, fiel nicht etwa der Regierung, sondern Präsident Andrzej Duda auf. Der PiS-Mann war auch Treiber des Umschwenkens, denn von ihm stammt der Gesetzesentwurf zur Auflösung der Disziplinarkammer. Kurz vor Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine sagte er: „Wir können keinen Konflikt mit der Europäischen Kommission gebrauchen. Denn wir sind gerade in einer schwierigen internationalen Situation.”

Anstelle der umstrittenen Disziplinarkammer soll eine neu geschaffene „Kammer für berufliche Verantwortung“ eingerichtet werden. Unter allen Richtern des Obersten Gerichts, mit Ausnahme des Gerichtspräsidenten, sollen 33 Personen ausgelost werden. Der Staatspräsident, derzeit Duda, wählt aus diesem Pool je elf Richter für eine Fünfjahres-Amtszeit aus. Der Gesetzesentwurf sieht zudem die Prüfung der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit der Richter vor.

Oppositionsführer skeptisch

Unterdessen bleibt die polnische Opposition skeptisch. Warschaus Bürgermeister Rafał Trzaskowski, führender Kopf der größten Oppositionspartei Bürgerplattform (liberal-konservativ), gehen die Schritte der PiS-Regierung nicht weit genug. „Polen braucht dieses Geld und es ist ein Skandal, dass wir das Geld durch die unverantwortliche Politik der PiS-Regierung noch nicht erhalten haben“, so Trzaskowski, der gegen Duda bei der Präsidenten-Stichwahl vor zwei Jahren nur knapp unterlag (48,97 Prozent).

Ministerpräsident Mateusz Morawiecki gibt sich derweil optimistisch. So tönte er, beim baldigen Besuch der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wolle man die Zusage für die Hilfsgelder gleich mit einer Unterschrift verbrieft haben. Ohne die noch ausstehende Zustimmung des Senats wird das aber eher nicht passieren. Von der Leyen wird für 2. Juni in Warschau erwartet.

(wb)

Titelbild: APA Picturedesk

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