Montag, November 11, 2024

Kindeswohlkommission: Kinderrechte immer noch kein Anliegen der Politik

Kindeswohlkommission:

Ein Jahr nach dem Bericht der Kindeswohlkommission wurden kaum Maßnahmen für mehr Kindeswohl im Asyl- und Bleiberecht umgesetzt. 

Wien, 13. Juli 2022 | Vor einem Jahr legte die Kindeswohlkommission ihren Bericht mit zahlreichen Handlungsempfehlungen an die Politik vor. Das Gremium rund um die ehemalige OGH-Präsidentin Irmgard Griss war nach der rechtswidrigen Abschiebung der Schülerin Tina nach Georgien eingesetzt worden. Es prüfte vor allem die Stellung von Kinderrechten in Asyl- und Bleiberecht.

Das damalige Fazit: In puncto Kinderrechte und Kindeswohl gibt es in Österreich eine Menge zu tun – auch abseits des Asylrechts. Jetzt, ein Jahr später, ist für die Kommission klar: Das ist noch immer so, denn die Politik habe kaum eine der Forderungen im Abschlussbericht umgesetzt.

Kaum Verbesserungen für Kinder

Im Innenministerium (BMI) scheint man das anders zu sehen. Dor verweist man darauf, man habe bereits mehr als die Hälfte der Empfehlungen umgesetzt.

Bei einer Pressekonferenz am Mittwoch betonte Griss, dass die Forderungen, die umgesetzt wurden, nur Unterpunkte seien. So habe das Bundesverwaltungsgericht etwa Richtlinien für die Kindeswohlprüfung bei Verfahren erarbeitet. Es gibt jetzt auch Fortbildungen zum Thema Kindeswohl für Richter und Richterinnen. Die seien jedoch freiwillig und daher wenig effektiv.

Die zentralen Forderungen seien nach wie vor unangetastet, so Griss, die statistischen Daten um die Probleme einschätzen zu können, fehlen: „Es bleibt noch viel zu tun.“

Griss fordert Kinderrechte-Monitoring

Ihre zentrale Forderung: Es müsse eine Institution mit eigenem Budget geschaffen werden, die dauerhaft beobachtet, ob Kinderrechte und -interessen in Österreich gewahrt werden. Denn die Kindeswohlkommission selbst hatte ihre Aufgabe mit der Abgabe des Berichtes vor einem Jahr erfüllt.

Griss gründete danach mit anderen Mitgliedern das Bündnis „Gemeinsam für Kinderrechte“. Notwendig wäre jedoch eine Anlaufstelle von staatlicher Seite, so Griss. Sie verweist auf eine ähnliche Stelle für Menschen mit Behinderung. Seit es diese gebe, habe sich die Situation für Menschen mit Behinderung verbessert, meint Griss.

Keine Initiativen für Kindeswohl in Asylgesetzen

Ein weiterer Kritikpunkt: Immer noch sei Tirol das einzige Bundesland, in dem unbegleitete Kinder, die nach Österreich kommen, sofort von der Kinder- und Jugendhilfe betreut würden. Im restlichen Österreich sei niemand von Beginn an für diese Kinder zuständig. Die Kinder seien auf sich allein gestellt.

Außerdem müsse das Kindeswohl in der Asylgesetzgebung stärker verankert werden. Dazu kenne Griss aber keine Initiativen. Bei Abschiebungen gebe es weiter eine oft nicht kindgerechte Behandlung der Betroffenen.

Höchstgerichte bestätigen Urteile gegen Kinder

Wilfried Embacher, Tinas Anwalt im Verfahren rund um deren Abschiebung, findet, dass das Bundesverwaltungsgericht immer noch zu viele problematische gerichtliche Entscheidungen bestätigt. Um Kinderrechte zu wahren, sollten die Höchstgerichte problematische Urteile im Sinne der Kinder korrigieren, so Embacher.

Fälle wie jene von Tina, bei denen bestens integrierte Kinder abgeschoben werden, bezeichnet er trotzdem als “Ausreißer”. Das Kindeswohl werde oft viel gewissenhafter geprüft.

Kinder kommen nicht zu Wort

Ein weiterer Kritikpunkt: Die Kinder selbst kommen in den Asylverfahren oft gar nicht selbst zu Wort, obwohl das sehr wichtig sei. Zu oft würden sie nur als Anhängsel der Eltern gesehen werden. In Abschiebungsverfahren gehe es laut Emacher nicht um die beste Lösung für alle, sondern um Abwehr. Man fürchte sich davor, dass auch die Eltern mehr Rechte bekommen, sobald den Kindern mehr davon zugestanden wird.

Eine positive Veränderung für Embacher rund um Kinderrechte und Abschiebungen: „Es wird genauer hingeschaut. Die Zivilgesellschaft ist sich da sehr einig und verfolgt ein gemeinsames Interesse.”

Kampf gegen Kinderarmut

Michael Häupl, Präsident der Volkshilfe Wien, verwies einmal mehr darauf, dass es bei Kinderarmut um alle Kinder in Österreich gehe, nicht nur um Geflüchtete oder von Abschiebung Betroffene. Vor allem der Kampf gegen Kinderarmut in Österreich müsse ein Grundbestandteil im Kampf für Kinderrechte sein: “Kinderarmut ist wohl der größte Widerspruch zu Kindeswohlfahrt. Es ist ja wohl das letzte, dass sich Kinder in einer reichen – jetzt leider immer ärmeren – Gesellschaft entscheiden müssen, ob sie eine Jause kaufen oder ein Schulheft.” Eine Kindergrundsicherung, also eine Erhöhung der bereits bestehenden Hilfen, sei das beste Mittel gegen Kinderarmut.

Ein weiteres Thema, das bei der Pressekonferenz angeschnitten wurde: die Staatsbürgerschaft. Es gehe gegen das Kindeswohl, dass hier geborene Kinder keine österreichische Staatsbürgerschaft haben. Dass das so ist, habe einen einfachen Grund: Bei der Politik, wie sie aktuell beim Thema Staatsbürgerschaft gemacht werde, gehe es um Ausgrenzung, so Embacher, und das sei das Grundproblem. Gruppen, die nicht dazu gehören sollen, sollen auch nicht mehr Rechte bekommen.

(sm)

Titelbild: Pixabay

Autor

  • Stefanie Marek

    Redakteurin für Chronik und Leben. Kulturaffin und geschichtenverliebt. Spricht für ZackZack mit spannenden Menschen und berichtet am liebsten aus Gerichtssälen.

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