Nachdem Ex-US-Präsident Trump bereits im U-Ausschuss schwer belastet wurde, nimmt ihn jetzt laut „Washington Post“ auch das US-Justizministerium ins Visier. Am Ende könnte es zu einer Anklage kommen. Eine solche gilt aber als Drahtseilakt.
Washington, 27. Juli 2022 | Der U-Ausschuss, der den Sturm aufs Kapitol vom 6. Jänner 2021 aufarbeitet, hat einiges zutage gefördert. Im Zentrum steht dabei immer mehr die Rolle des damaligen US-Präsidenten Donald Trump selbst. Bis vor einigen Wochen noch hat man sich vor allem den Umtrieben des Trump-Anwalts Rudy Giuliani und anderen Hintermännern gewidmet.
Doch Zeugen belasteten Trump so schwer, dass der womöglich um seine Nochmal-Kandidatur zittern könnte. Zumindest legt das ein Bericht der „Washington Post“ nahe. Demnach verdichten sich die Hinweise auf intensive Untersuchungen des Justizministeriums.
Das bedeutet im Klartext, dass nicht mehr nur die politische, sondern auch die rechtliche Verantwortung Trumps geklärt werden könnte – bis hin zu möglichen strafrechtlichen Schritten.
Hinzu kommt laut „New York Times”, dass eine bislang geheim gehaltene E-Mail-Kommunikation zwischen Trump-Leuten angeblich zeigt, wie klar der Plan zur Aufhebung der Wahl war.
Politischer Drahtseilakt
Jedenfalls steht US-Justizminister Merrick Garland gehörig unter Druck. Ihm wird von so manchem Beobachter eine zu zögerliche Haltung vorgeworfen. Kein Wunder, denn für die Biden-Regierung ist die Aufarbeitung des gescheiterten Putschversuches ein Drahtseilakt.
Trump-Anhänger dürften sich durch etwaige Vorgänge noch mehr in ihrer Sicht, es gebe eine Verschwörung gegen den Rechtspopulisten, bestätigt fühlen. Juristen sehen auch die Gefahr gewaltsamer Unruhen, falls eine Anklage gegen Trump erhoben würde. Die Bilder vom US-Kapitol haben sich in die Köpfe der Amerikaner eingebrannt. Andere wiederum sagen: Genau deshalb muss man dem Nationalisten Einhalt gebieten.
Eine verunglückte Strafverfolgung könnte ihm für eine erneute Kandidatur allerdings in die Karten spielen. So oder so: Die Situation ist hochexplosiv, auf die Staatsanwälte wird schon jetzt enormer Druck ausgeübt.
Beweise für potenzielle Verbrechen gesammelt
Die „Washington Post“ beruft sich in ihrer Enthüllung auf anonyme Quellen, wonach Staatsanwälte einige Zeugen vor einer Grand Jury detailreich befragt hätten, etwa zu Treffen, die Trump im Dezember 2020 sowie Jänner 2021 abgehalten haben soll.
Das betrifft jenen Zeitraum, in dem die Übergabe des Präsidentenamtes an Joe Biden hätte vorbereitet werden sollen – doch Trump hatte stattdessen die Theorie verbreitet, der eigentliche Wahlsieger zu sein. Danach nahm die Geschichte rund um den Kapitol-Sturm ihren Lauf.
Dem „Post“-Bericht zufolge soll die Grand Jury jetzt Beweise für potenzielle Verbrechen sammeln, prüfen und schließlich eine Entscheidung fällen: Wird Anklage erhoben oder nicht? Wenn ja, wäre das wohl das Aus für den erneuten Antritt bei den US-Wahlen im Jahr 2024.
Bereits im April haben die Ermittler Telefonaufzeichnungen aus dem Trump-Umfeld erhalten. Bisher gibt es aber keine offiziellen strafrechtlichen Ermittlungen gegen den Republikaner wegen der Ereignisse im Zuge der US-Wahl 2020 und des Kapitol-Sturms einen Monat später.
Ein Präsident und sein Mob
In den vergangenen Wochen war Trump im Kapitol-U-Ausschuss von etlichen Zeugen schwer belastet worden. So soll er stundenlang nichts unternommen haben, als Mitarbeiter schon verzweifelt versucht hätten, den Mob zu stoppen.
Trump sei ob der Bedenken außer sich gewesen, habe gar dem Fahrer seiner Präsidenten-Karosse das Lenkrad entrissen, um zum Kapitol zu rasen. Dass sein Mob aus Rechtsextremen und Verschwörungstheoretikern teils schwer bewaffnet war, sei dem Republikaner laut Zeugenaussagen bewusst gewesen.
Der U-Ausschuss selbst kann allerdings keine juristischen Schritte einleiten. Am Zug ist deshalb das Justizministerium. „Wir haben die Absicht, jeden zur Rechenschaft zu ziehen, der für die Ereignisse rund um den 6. Jänner oder für jeden Versuch, die rechtmäßige Übergabe der Macht von einer Regierung an eine andere zu behindern, strafrechtlich verantwortlich war“, so Minister Garland im Sender NBC.
Es bleibt abzuwarten, ob die Ermittler den entscheidenden Schritt wagen. Die Plattform „PolitiFact“ schätzt in einer Analyse die Chancen auf Anklage als gering ein.
(wb)
Titelbild: APA Picturedesk