Samstag, Juli 27, 2024

Die Lage im Kosovo: Alles zu den Spannungen mit Serbien

Die Situation an der kosovarisch-serbischen Grenze ist angespannt, einige Meldungen in Sozialen Medien stellten sich aber als pure Spekulation heraus. Um was es bei dem Grenzstreit geht, was die Beteiligten sagen und was in der Nacht auf Montag passiert ist.

Pristina/Belgrad, 01. August 2022 | Am Sonntag überschlugen sich Gerüchte, zunächst vorwiegend in Sozialen Medien, wonach serbische Kräfte die kosovarische Grenze überschritten hätten und Schüsse fielen. Auch von Luftalarm in Kosovo war die Rede. Schnell wurden Parallelen zur Ukraine gezogen, einige Profile streuten jedoch gezielt Desinformation.

Was ist passiert?

Fakt ist: Die Lage ist angespannt, das war sie aber auch schon zuvor. Hintergrund ist ein alter Grenz- und Einreisestreit, der sich derzeit wieder zuspitzt, weil der Kosovo ursprünglich ab Montag eine in Serbien umstrittene Richtlinie umsetzen wollte. Demnach wollte man Serben nur noch mit provisorischen Personaldokumenten einreisen lassen – eine Maßnahme, die auf Gegenseitigkeit beruht.

Im überwiegend serbisch bewohnten Nord-Kosovo reagierten militante serbische Gruppierungen am Sonntag mit einer Grenzblockade. Gerüchte von bewaffneten Grenzübertritten machten schnell die Runde, stellten sich allerdings als falsch heraus. Richtig ist: Es gab Luftalarm im Kosovo. Auch die Schüsse in Richtung kosovarische Polizisten fielen tatsächlich, allerdings gibt es laut Angaben der Behörden keine Verletzten.

Was sagt Kosovo?

Die kosovarische Regierung um den sozialdemokratischen Premier Albin Kurti verurteilte die Vorgänge und verschob die geplante Maßnahme um 30 Tage nach hinten. Man habe sich diesbezüglich vor allem mit dem US-Botschafter im Kosovo, Jeff Hovenier, abgestimmt. Aus dem Büro von Kurti heißt es gegenüber ZackZack, man habe eigentlich schon vor längerer Zeit angekündigt, dass „Reziprozität vis-a-vis Serbien“ eingeführt werden soll.

Kosovos Premier Albin Kurti bei einem ZackZack-Gespräch im November 2021. Bild: zVg/Kosovarische Regierung.

Heißt: Ab dem 1. August hätten serbische Staatsangehörige bei ihrer Einreise gleiche bürokratische Prozeduren (man bekommt ein Dokument ausgestellt, das besagt, man habe seinen eigentlichen Pass verloren) hinnehmen müssen wie kosovarische Staatsbürger bei Ein- oder Durchreise nach Serbien. Das sei „übrigens eine Maßnahme, die schon 2011 im Dialog vereinbart wurde, die wir aber nicht umgesetzt haben“, wird vonseiten der kosovarischen Regierung betont. Serbiens Präsident Aleksandar Vučić wirft man Aufhetzung und gezielte Panikmache vor.

In der Nacht auf Montag habe Kosovos Premier Kurti dann zugestimmt, dass „falls Serbien die Blockaden entfernt, wir die Maßnahme um einen Monat verschieben, sodass sich alle Serben darauf vorbereiten können“, wie gegenüber ZackZack erklärt wird.

Was sagt Serbien?

In serbischen Medien wurde ordentlich getrommelt, beispielsweise war die Rede von „Kosovo bedroht Serbien mit Krieg“ oder gar von einem angeblichen Progrom. Politkreisen zufolge könnte die serbische Regierung das Spiel mit dem Feuer als Vorwand für die Stabilisierung der rechtsnationalen Ausrichtung des Vučić-Kabinetts nutzen. Serbiens Präsident beteuerte zwar, man wolle keinen Krieg.

Serbiens Präsident Aleksandar Vučić bei einer Pressekonferenz mit Deutschlands Kanzler Olaf Scholz im Juni. Bild: APA Picturedesk.

Andererseits sei der Kosovo Vučićs Ansicht nach weiterhin „Teil Serbiens“. Schließlich goss er in seiner Rede an die Nation weiter Öl ins Feuer: „Das Regime in Pristina will sich zum Opfer stilisieren und die Putin-Karte spielen, mit Kurti in der Rolle des Selenskyj“, so Vučić, der mit Ungarns Viktor Orban als Putin-Brückenkopf in Europa gilt. Beide, Vučić und Orban, hatten sich erst vor wenigen Tagen getroffen, um die enge Zusammenarbeit bei verschiedenen Themen zu betonen.

In den Reihen der serbischen Regierung fiel gestern auch das Wort „Entnazifizierung“, ähnlich des russischen Kriegs-Vorwands in der Ukraine. In ukrainischen Medien wurde umfassend über die Ereignisse im Kosovo berichtet, Russland-nahe Internet-Trolle wiederum verbreiten schon länger Gerüchte rund um eine weitere „Befreiung“. Fragwürdig war auch ein Statement des serbischen Verteidigungsministeriums, das betonte, man sei „bis jetzt“ noch nicht über die Grenze marschiert.

Welche Rolle spielen USA, NATO, EU und Russland?

Die NATO ist seit Juni 1999 mit einer Friedensmission im Kosovo stationiert. Der fast ausschließlich von Albanern bewohnte Kosovo hatte früher zu Serbien gehört, beanspruchte aber nach dem Krieg die Unabhängigkeit, die 2008 auch erklärt wurde. Serbien erkennt diese nicht an. International haben sich klare Fronten gebildet: Die USA unterstützen die Unabhängigkeit des Kosovo, während Russland dies nicht tut. China mischt im Hintergrund mit, Serbien nimmt die Hilfe gerne an.

Der Balkan gilt seit jeher als umkämpfte Puffer-Region, geopolitische Interessen spielen eine große Rolle inmitten der immer noch nicht aufgearbeiteten jüngeren Geschichte. Am Sonntag warf das russische Außenministerium dem Kosovo „Provokationen“ vor.

Vonseiten der NATO-Mission hieß es, man sei alarmiert und im Zweifel auch bereit zur Intervention, sollte die „Stabilität im Nord-Kosovo gefährdet werden“. Gleichzeitig unterstütze man den Normalisierungs-Prozess zwischen Serbien und Kosovo voll.

EU-Außenbeauftragter Josep Borrell erklärte über Twitter, er erwarte, „dass alle Blockaden sofort entfernt werden“. Brüssel nehme eine Vermittlerrolle ein. Serbien und Kosovo wollen beide in die EU, könnten dies aber nur bei einer echten Normalisierung der bilateralen Beziehungen.

Serbien ist seit 2012 offizieller Beitrittskandidat, während sich der Kosovo bis Ende 2022 auf einen Beitrittsantrag vorbereitet. Innerhalb der EU gibt es für diesen Schritt breite Zustimmung, aber auch Skepsis. Gerade Spanien tritt beim Kosovo angesichts der Angst vor einer Unabhängigkeit Kataloniens auf die Bremse. Auf der anderen Seite gilt Serbiens Vučić, der bei den Konservativen mächtig lobbyiert, als trojanisches Pferd Wladimir Putins.

(wb)

Lesen Sie hier das große ZackZack-Interview mit Kosovos Premier Kurti vom November 2021.

Titelbild: APA Picturedesk

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