Gerichtsreportage:
Weil er IS-Inhalte gepredigt und Treffen zwischen IS-Befürwortern organisiert haben soll, wurde ein 24-Jähriger nicht rechtskräftig zu einer Gefängnisstrafe wegen terroristischer Vereinigung verurteilt. Gegen ihn wird wegen einer Verbindung zum Wien-Attentat ermittelt. ZackZack war beim Urteil.
Stefanie Marek
Wien, 12. Oktober 2022 | Der Prozess ist vorbei und Argjend G. steht schwungvoll aus seinem Sessel auf. Er ist schuldig gesprochen worden, aber er weiß, die Handschellen, in denen er von den schwerbewaffneten Justizwachebeamten in den Gerichtssaal geführt wurde, werden ihm nicht mehr angelegt – er kann gehen. Seinen Freunden hinten im Saal deutet er „bis später“ und wechselt noch ein paar Worte mit seinem Anwalt.
Am 03. November 2020, wenige Stunden nach dem Attentat in der Wiener Innenstadt, bei dem vier Menschen getötet und der Attentäter von der Polizei erschossen wurde, war der 24-jährige Argjend G. verhaftet worden. Zwei Jahre saß der Kontaktmann des Attentäters in Untersuchungshaft, bis er am Dienstag diese Woche schließlich aus dem Gefängnis entlassen wurde. Unmittelbar davor war er am Wiener Straflandesgericht wegen terroristischer Vereinigung und krimineller Organisation schuldig gesprochen und zu 19 Monaten Haft verurteilt wurde. Die hat er durch seine lange Zeit in U-Haft inzwischen bereits abgesessen.
Treffen zwischen Radikalen
Dass er direkt am Attentat oder an dessen Vorbereitung beteiligt war, konnte ihm bisher nicht nachgewiesen werden. Ein Ermittlungsverfahren dazu ist noch offen. Angeklagt war er, weil er dem Attentäter, mit dem er laut Anklage befreundet war, das „geistige Rüstzeug“ für den Anschlag geliefert haben soll. Er soll laut Anklage außerdem die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) unterstützen und das Ziel gehabt haben, ein dschihadistischer Prediger in Österreich zu werden.
All das bestreitet der 24-Jährige. Er hatte im Sommer 2020 eine Wohnung in St. Pölten gemietet und dort zweimal wöchentlich Treffen abgehalten, zu denen auch der Attentäter einige Male kam – das letzte Mal knapp eine Woche vor dem Anschlag. Laut dem Angeklagten und mehreren anderen jungen Männern ging es dabei nur um gemeinsames Beten, Diskutieren über Religion, „Chillen“ und Arabischlernen. Laut Richter und Schöffen handelte es sich eindeutig um Treffen zwischen IS-Befürwortern, bei denen der 24-Jährige IS-Inhalte predigte. Es gibt Chats, Memos und Gutachten, die diese Einschätzung stützen.
Richter: „Sie sind ein IS-Mann“
Dass er “geistiges Rüstzeug” für den Anschlag geliefert haben soll, sah das Gericht nicht so, er wurde aber verurteilt, weil er die Treffen veranstaltete. Außerdem habe er sich an der Übersetzung und am Versand von Büchern beteiligt, deren Inhalte der Linie des IS entsprechen, und man fand IS-Medien und Bilder von Exekutionen auf seinem Handy. Er habe nur wissen wollen, ob der IS wirklich Menschen ertränkt und verbrennt und lehne das klar ab, so der Angeklagte.
Das glaubt ihm das Gericht schlussendlich nicht. „Wir sind der Überzeugung, dass Sie ein Dschihadist sind, der dem IS zuzuordnen ist, ein IS-Mann“, begründet der Richter das Urteil am Ende des dritten Prozesstages. Die Eltern des 24-jährigen Angeklagten sind anderer Meinung. „Das stimmt alles nicht, was die da drin sagen“, sagt der aufgebrachte Vater am Ende des Prozesses im Vorbeigehen zu den Medien vor dem Saal. Sein Sohn hatte sich während aller Verhandlungstage als missverstandener Unschuldiger präsentiert, der den IS ablehnt.
Angeklagter bedauert Attentat
Er sei Salafist, aber kein Dschihadist – das beteuert er auch am dritten Prozesstag. Über zehn Minuten lang verteidigt er sich in seinem Schlusswort, seine vorbereiteten Notizen braucht er dabei kaum. Auch auf den Anschlag nimmt er Bezug und kritisiert, dass er erst von den Medien damit in Verbindung gebracht wurde: „Der Gott, an den ich glaube, der will nicht, dass jemand durch die Straßen geht und Menschen erschießt.“ Er bedauere, was bei dem Anschlag passiert sei, hätte er im Vorhinein irgendetwas davon gewusst, hätte er das gemeldet.
„Der Gott, an den ich glaube, der will nicht, dass jemand durch die Straßen geht und Menschen erschießt.“
Urteil angenommen
„Dass mein Mandant nach Hause gehen kann, war das Wichtigste“, zieht Verteidiger Sascha Flatz am Ende des Prozesses zufrieden Bilanz. Er begrüßt das „milde Urteil in Anbetracht des Schuldspruches“, auch wenn er sich einen „Freispruch auf ganzer Linie gewünscht hätte“. Auf terroristische Vereinigung stehen bis zu zehn Jahre Haft. In einigen kleinen Punkten wurde der 24-Jährige freigesprochen. Er nimmt das Urteil an, die Staatsanwaltschaft gibt vorerst keine Erklärung ab. Das Urteil ist somit nicht rechtskräftig.
In der kommenden Woche wird der Prozess rund um den Terroranschlag von Wien starten, ebenfalls am Landesgericht. Angeklagt sind sechs Männer, die den Attentäter im Vorfeld unterstützt haben sollen, jedoch nicht direkt am Anschlag beteiligt gewesen sein sollen. Argjend G. ist nicht darunter.
Titelbild: ZackZack/Stefanie Marek