Montag, August 26, 2024

Gottes Werk und Reagans Beitrag

Nach versuchten Attentaten auf US-Präsidenten wiederholen sich dieselben argumentativen Muster in Medien und Parteien. Es war zwar ein Einzeltäter, der schon längst hätte entwaffnet werden sollen, aber seine Tat wird sofort politisch instrumentalisiert. So wird Betroffenheitsrhetorik zur politischen Waffe.

Am 22. September 1975 versuchte Sara Jane Moore in San Francisco den amerikanischen Präsidenten Gerald Ford zu erschießen. Dem US-Geheimdienst war sie nicht unbekannt, wurde aber als ungefährlich eingestuft. Einen Tag vor dem Anschlag wurde sie wegen illegalen Waffenbesitzes festgenommen, doch gleich wieder auf freien Fuß gesetzt.

Als ungefährlich eingestuft

Augenzeugen berichteten, dass sechs Schüsse aus einer Entfernung von etwa drei Metern auf das Gefolge des Präsidenten abgefeuert wurden. Der Angreifer hatte sich zwischen den Fernsehkamerateams und Reportern positioniert, die sich vor einem Hotelausgang versammelt hatten. Die Behörden nahmen einen 25-jährigen Mann aus Colorado, John W. Hinckley Jr., noch am Tatort fest. Er wurde später wegen des Versuchs eines Attentats auf den Präsidenten und des Angriffs auf einen Bundesbeamten verhaftet.

Diese Zeilen schrieb Howell Raines in der New York Times am 31. März 1981 nach einem versuchten Attentat auf den damaligen Präsidenten Ronald Reagan. Die Untersuchungen, die Hinckley im Umfeld von Neo-Nazis verorteten, wurden bald wieder eingestellt. Und wie bei Sara Jane Moore musste auch bei ihm festgestellt werden, dass behördliches Einschreiten den Mordversuch verhindern hätte können. Philip Taubman am 31. März 1981 in der New York Times:

Der Verdächtige wurde als John W. Hinckley Jr. identifiziert, der in letzter Zeit in psychiatrischer Behandlung gewesen sein soll. Nach Angaben der Polizei von Nashville wurde er am 9. Oktober letzten Jahres in Nashville wegen des Besitzes verdeckter Waffen festgenommen und nach Zahlung einer Geldstrafe von 62,50 Dollar wieder freigelassen.

Parteipolitische Instrumentalisierung

Bis jetzt wissen wir nicht viel über Thomas Crooks, der Medienberichten zufolge am Samstag auf Präsidentschaftskandidat Trump geschossen hat. In der New York Post heißt es noch am selben Tag:

Der Schütze, der am Samstag versuchte, den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump zu ermorden, wurde als der 20-jährige Thomas Matthew Crooks identifiziert, so Quellen gegenüber The Post. Crooks aus Bethel Park, Pennsylvania, feuerte mindestens fünf bis sieben Schüsse ab – von denen einer Trump am Ohr streifte – bei einer Kundgebung im Freien in Butler, etwas außerhalb von Pittsburgh, wie die Polizei mitteilte. Den Quellen zufolge kroch Crooks auf das Dach einer Produktionsstätte, die mehr als 130 Meter von der Bühne auf dem Gelände der Butler Farm Show entfernt war.

Versuche parteipolitischer Zuordnung laufen sofort. In einem Artikel von Jessie Yeung auf der Webseite von CNN heißt es:

Laut einem Eintrag in der Wählerdatenbank von Pennsylvania, der mit seinem Namen, seinem Alter und einer Adresse in Bethel Park übereinstimmte, die die Strafverfolgungsbehörden am Samstagabend durchsuchten, war er als Republikaner registriert und in öffentlichen Aufzeichnungen mit Crooks verbunden. Die diesjährige Präsidentschaftswahl wäre die erste gewesen, bei der er alt genug war, um zu wählen. Aufzeichnungen der Bundeswahlkommission zeigen, dass ein Spender, der als Thomas Crooks mit derselben Adresse aufgeführt ist, im Januar 2021 15 Dollar an ein politisches Aktionskomitee der Demokraten mit dem Namen Progressive Turnout Project gespendet hat.

Rhetorische Munition

Die Waffe, mit der auf Trump geschossen wurde, war ein ArmaLite AR-15, ein halbautomatisches Sturmgewehr. Eine solche Waffe sollte niemand besitzen. Es ist ein symptomatisches Problem der USA, gegen das seit Jahrzehnten nichts getan wird. Und so sind die Reaktionen auf diese grauenhafte Gewalttat wieder nichts als Bigotterie. Im Wahlkampf aber geht man so weit, sie sofort zur rhetorischen Munition gegen den politischen Gegner umzumünzen. Auf NBC-News heißt es:

“Der heutige Tag ist kein isolierter Vorfall”, sagte Senator JD Vance, R-Ohio. “Die zentrale Prämisse der Biden-Kampagne ist, dass Präsident Donald Trump ein autoritärer Faschist ist, der um jeden Preis gestoppt werden muss. Diese Rhetorik führte direkt zu Präsident Trumps versuchter Ermordung”.

Senator Tim Scott, R-S.C., ein Kandidat für Trumps Vizepräsidentschaftskandidatur vor dem GOP-Kongress in dieser Woche, schrieb auf X: “Jahrelang haben die Demokraten und ihre Verbündeten in den Medien rücksichtslos Ängste geschürt und Präsident Trump und andere Konservative als Bedrohung für die Demokratie bezeichnet. Ihre hetzerische Rhetorik setzt Leben aufs Spiel.

Politisches Kleingeld und weltpolitisches Großkapital

Im letzten Satz wird klar, dass Scott den bei dem Anschlag Getöteten – laut Medienberichten ein 50-Jähriger namens Corey Comperatore – bereits vergessen hat und nur mehr vom leicht verletzten Donald Trump spricht. Die hier bemühte Schlussfolgerung, dass Trump nicht autoritär sei, weil auf ihn geschossen wurde, ist typisch für autoritäre Rhetorik. Allerorten wird versucht, die Gewalttat für Umkehrschlüsse und Revisionismus zu nutzen.

Die Schauspielerin Patti Davis, Tochter von Nancy und Ronald Reagan, schrieb am Sonntag einen Gastkommentar in der New York Times. Nun wäre nichts dagegen einzuwenden, dass Davis davon erzählt, wie sie persönlich das Hinckley-Attentat auf ihre Vater erlebt hat. Doch münzt auch sie die Gewalttat in politisches Kleingeld, ja in weltpolitisches Großkapital um. In ihrem Artikel mit dem Titel A Shooting Changes a Family – And It Can Change a Nation heißt es:

Mein Vater glaubte, dass Gott ihn aus einem ganz bestimmten Grund verschont hat, nämlich um den Kalten Krieg mit der Sowjetunion zu beenden und zu versuchen, eine Art Abkommen über Atomwaffen zu erreichen. Es ist möglich, dass das, was er und Michail Gorbatschow erreicht haben, nicht geschehen wäre, wenn er nicht angeschossen worden wäre.

“God spared him for a reason”

Das heißt also, dass Gott den Fall des Kommunismus bewirkt hat, indem er John Hinckley auf Ronald Reagan schießen, ihn aber nicht töten ließ. Eine mehr als bizarre Sichtweise. Leider haben Gott und Reagan weder etwas gegen Atomwaffen getan, noch strenge Waffengesetze in den USA verabschiedet, die künftige Gewalttaten und Anschläge verhindern hätten können. Leider haben sie den meisten Nachfolgestaaten der kommunistischen Länder keine Demokratie gebracht. Und leider haben sie nicht verhindert, dass die USA zur Zeit Reagans den Irak, den Iran, die rechten Kontrarebellen in Nicaragua und die Taliban in Afghanistan bis an die Zähne bewaffnet haben.

Ob Gott auch Donald Trump verschont hat und ob ihn das Attentat verändern wird, kann auch Frau Davis nicht beantworten:

Amerika ist heute viel wütender und gewalttätiger als 1981. Ich weiß nicht, ob dieses Ereignis irgendetwas davon abschwächen wird. Ich weiß nicht, ob die Familie Trump die gleiche Erfahrung machen wird wie ich – die Erfahrung einer Nation, die die Politik beiseite lässt und einfach auf menschliche und humane Weise antwortet. Ich weiß auch nicht, ob und wie diese Erfahrung Mr. Trump verändern wird.


Alle Zitate wurden aus dem Englischen übersetzt

Titelbild: ROBERT JAEGER / APA / picturedesk.com, MANDEL NGAN / AFP, Montage ZackZack

Autor

  • Daniel Wisser

    Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.

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